75. Filmfestival CannesGala mit Stars, Zombies und Wolodimir Selenski
Der ukrainische Präsident sprach an der Eröffnungszeremonie – er zitierte Charlie Chaplin.
Es waren schon viele besonnene Worte an der Ouvertüre des Filmfestivals von Cannes gefallen, öfter war von «Menschlichkeit» die Rede, und es ging um den Zustand der Welt. Der französische Chansonnier Vincent Delerm hatte den ganzen Saal den Refrain zu Johnny Hallydays «Que je t’aime» mitsingen lassen, was einigen Stars Tränen in die Augen getrieben hatte. Dann kam Selenski.
Mit seiner per Video eingespielten Botschaft hatte niemand gerechnet. Zwar hat das wichtigste Filmfestival der Welt, das nach zwei Pandemiejahren wieder zu alter Grösse zurückfinden will, alle offiziellen russischen Delegationen von der diesjährigen Ausgabe verbannt. Und diverse ukrainische Filme ins Programm genommen. Aber eine klare politische Aussage wurde dabei stets vermieden.
«Wird das Kino stumm bleiben?»
Das besorgte nun Wolodimir Selenski mit seiner Ansprache. «Wir werden weiterkämpfen, wir haben keine andere Wahl», sagte er. Und auf Wladimir Putin gezielt: «Ich bin sicher, dass der Diktator verlieren wird.»
Selenski war sich durchaus bewusst, an welchem Anlass er sprach. Der Präsident zitierte nämlich Charlie Chaplin und seinen gegen das Hitler-Regime gerichteten Film «Der grosse Diktator» aus dem Jahr 1940: «Der Hass der Menschen wird vergehen, die Diktatoren werden sterben, und die Macht, die sie dem Volk abgenommen haben, wird zum Volk zurückkehren.»
Der ehemalige Schauspieler beschränkte sich aber nicht auf Filmhistorie, sondern brachte das Publikum der Gala, in dem unter anderem Oscargewinnerin Julianne Moore sass, auf den Boden der Realität zurück. «Hunderte von Menschen sterben heute», sagte er. Und fragte: «Wird das Kino stumm bleiben?»
Selenski erntete viel Applaus, aber nicht von allen. Und es blieb nicht viel Zeit, um zu diskutieren, ob diese Plattform für ihn angebracht war. Denn schon kurz darauf spritzte Blut auf der Leinwand. Die Besucherinnen und Besucher in den edlen Roben wurden von Zombies angegriffen.
Immer wieder Zombies zur Eröffnung
Seltsamerweise war es schon das dritte Mal in sechs Jahren, dass ein grösseres Filmfestival mit einem Angriff von Untoten eröffnet wurde. Locarno startete 2016 mit dem eher niedlichen «The Girl with All the Gifts». Und 2019 war Jim Jarmusch mit seiner eher blutleeren Zombie-Variante «The Dead Don’t Die» in Cannes an der Reihe.
Im diesjährigen Eröffnungsfilm greifen die lebenden Toten Schauspielerinnen und Techniker einer Filmcrew an, die einen Zombie-Schocker drehen wollen. Seltsam nur, weshalb tragen alle französischen Personen japanische Namen? Und wieso bleibt manchmal die Kamera einfach am Boden liegen und spielt sich die Handlung im Off ab?
Das Rätsel löst sich ab dem zweiten Drittel des Films, und von da an wirds wirklich lustig. Gedreht hat das der Regisseur Michel Hazanavicius, der sich bereits mit seinem oscargekrönten «The Artist» vor einem ganzen Filmgenre – dem Stummfilm – verbeugt hatte. Auch jetzt rückt das Blut, obwohl es im letzten Drittel wieder stark präsent ist, in den Hintergrund. Und der Film wird zur Liebeserklärung ans Kino.
Ist die Filmkunst das Fenster zur Welt, dank dem sich die zerstrittenen Menschen wieder verständigen können, wie es Virginie Efira, die Moderatorin der Eröffnungsgala, formulierte? Oder ist es ein Kampfmittel, wie es Wolodimir Selenski gerne haben würde?
Ein kleines Gefecht hat der ukrainische Präsident schon vor dem Festival gewonnen. Der Eröffnungsfilm hätte ursprünglich «Z (comme Z)» heissen sollen. Weil der Buchstabe zum Symbol der russischen Angriffsarmee geworden war, wurde der Titel auf internationalen Druck umformuliert.
Er heisst jetzt «Coupez!» – Schnitt!
Das Filmfestival von Cannes dauert bis zum 28. Mai. «Coupez!» läuft bereits jetzt in der Westschweiz, der Deutschschweizer Kinostart ist noch offen.
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