Planted-Chefin im Interview«Fleischproduktion wird stark subventioniert – das schafft falsche Anreize»
Poulet aus Erbsen: Judith Wemmer entwickelt Fleischersatz aus Pflanzen. Im Interview spricht sie über das Fleisch der Zukunft und die Benachteiligung pflanzlicher Proteine.
Judith Wemmer, wann haben Sie Fleisch von Ihrem Speiseplan gestrichen?
Grundsätzlich ernähre ich mich seit etwa drei Jahren vegetarisch. Aus beruflichen Gründen muss ich aber ab und zu in ein Stück tierisches Fleisch beissen.
Erklären Sie.
Unser Ziel ist ja, Flexitariern die Möglichkeit zu geben, ihren Fleischkonsum einfach zu reduzieren. Tierisches Fleisch ist oft mit ganz viel Genuss und Erlebnis verbunden – um das in der Produktentwicklung richtig verstehen und nachbilden zu können, muss ich auch mal einen Biss probieren. Privat kommt bei mir aber kein tierisches Fleisch auf den Teller.
Wie oft essen Sie Fleischersatzprodukte wie Planted?
Pflanzliches Fleisch esse ich hier in unserem Bistro jeden Tag zum Mittag. Manchmal sogar nochmals zum Abendessen.
Sie haben gerade von «pflanzlichem Fleisch» gesprochen. Solche Begriffe missfallen manchem Fleischesser.
Dafür habe ich wenig Verständnis. Auch wenn wir von pflanzlichem Fleisch sprechen, ist immer noch klar, um welche Lebensmittel es sich handelt. Ausserdem hilft es Konsumenten noch sehr, die Verbindung zum tierischen Produkt zu haben. So hat man bereits eine Idee, welche Rezepte man damit ausprobieren könnte. Wenn wir unseren Produkten einfach einen Fantasienamen geben würden, wüssten Konsumenten gar nicht, was sie damit anfangen sollen.
«Für viele Leute ist es eine grosse Freude, Fleisch zu essen – das wollen wir niemandem wegnehmen».
Wäre Fleischverzicht aber nicht auch ohne Fleisch-Imitationen möglich? Man könnte sich die Proteine ja auch über Bohnen oder Linsen holen.
Das stimmt natürlich. Ich bin aber absolut davon überzeugt, dass es etwas Pflanzliches braucht, das nah an tierisches Fleisch herankommt. Für viele Leute ist es eine grosse Freude, Fleisch zu essen – das wollen wir niemandem wegnehmen. Deshalb wollen wir es ermöglichen, von tierischem auf pflanzliches Fleisch zu wechseln, ohne einen Kompromiss beim Geschmack eingehen zu müssen.
Woher bezieht Planted die Zutaten?
Unsere Proteine wie beispielsweise die Erbsen beziehen wir zurzeit aus Westeuropa. Unser Rapsöl ist aus der Schweiz, und das Wasser haben wir direkt hier aus dem schönen Kemptthal.
Mittlerweile hat Planted bereits über 200 Mitarbeiter und beliefert verschiedene Märkte in ganz Europa. Wie lange reicht die Produktion in der Schweiz noch aus?
Es stimmt, dass wir seit unserer Gründung 2019 stark gewachsen sind. Zurzeit produzieren wir im Kemptthal über eine Tonne pflanzliches Fleisch pro Stunde für sechs verschiedene Länder in Europa. Für uns war es von Anfang an sehr wichtig, dass wir unsere Produkte komplett selbst produzieren. Für die Zukunft sind wir bereits auf der Suche nach einem weiteren Produktionsstandort in Europa.
Glauben Sie, dass wir irgendwann mehr pflanzliches als tierisches Fleisch essen werden?
Uns ist es wichtig, dass der tierische Fleischkonsum abnimmt und wir auf umweltfreundlichere Alternativen ausweichen. Es ist absurd, dass die Tierproduktion zurzeit mehr als 14 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht. Wir wollen aber niemandem sagen, dass er kein Fleisch mehr essen darf und von heute auf morgen damit aufhören muss. Das hilft keinem weiter und ist nicht realistisch. Ob wir als Menschheit irgendwann hauptsächlich pflanzliches Fleisch essen werden, ist schwer zu sagen. Wenn, dann wird es noch lange dauern. Verglichen mit der Fleischindustrie sind wir momentan noch ein kleiner Fisch.
Wird In-vitro-Fleisch, also kultiviertes Fleisch aus dem Labor, künftig eine wichtige Rolle in unserer Ernährung spielen?
Ich kann mir schon vorstellen, dass kultiviertes Fleisch irgendwann in der Zukunft relevant sein wird. Bis dahin müssen jedoch noch extrem hohe Hürden – bezüglich Preis, Regulierungen und Akzeptanz der Konsumenten – überwunden werden. Ich bin aber überzeugt, dass es viel mehr Sinn ergibt, pflanzliche Rohstoffe direkt in etwas zu verarbeiten, das lecker, gesund und erschwinglich ist. Ausserdem können wir mit der derzeitigen Lage des Klimas nicht 20 bis 30 Jahre warten, bis zellbasiertes Fleisch irgendeine Marktrelevanz hat. Dann ist es zu spät.
«Wir zahlen für unsere Rohmaterialien etwa so viel wie Fleischproduzenten für das fertige Tier.»
Ein wichtiges Kriterium beim Kauf von Lebensmitteln ist der Preis. Planted ist zurzeit noch etwa gleich teuer wie das tierische Äquivalent. Wieso?
Es ist ein klares Ziel von uns, billiger als tierisches Fleisch zu sein. Dafür haben wir unsere Prozesse verbessert und unsere Preise bereits signifikant reduziert. Ein grosses Problem ist aber, dass die Politik pflanzliche Proteine benachteiligt.
Was meinen Sie damit?
Die Tierproduktion wird sehr stark subventioniert, während klimafreundliche Fleischersatzprodukte keine staatliche Unterstützung bekommen. Wir zahlen für unsere Rohmaterialien etwa so viel, wie Fleischproduzenten für das fertige Tier. Das ist ein absurder Preis, der nur zustande kommt, weil beispielsweise Futtermittel subventioniert werden. Das schafft völlig falsche Anreize für die Gesellschaft. Es ist notwendig, dass es hier zu einer Gleichstellung im Sinne der Nachhaltigkeit und der Umwelt kommt.
Warum macht Planted eigentlich keine grösseren Fleischstücke wie beispielsweise ein Rindssteak?
Die Erwartungshaltung ist bei Lebensmitteln extrem wichtig. Wenn eines unserer Produkte wie ein Steak oder ein Entrecote aussieht, dann hat der Kunde ganz spezifische Erwartungen, wenn er es isst. Werden diese Erwartungen dann jedoch nicht erfüllt, probiert der Kunde es einmal aus und kauft es nie wieder. Wir wollen aber keine Eintagsfliege im Regal sein, sondern Produkte, die man gern wieder kauft. Gerade sind wir auch mitten in der finalen Entwicklung einer Pouletbrust, die wir im Restaurant des Starkochs Tim Raue in Berlin und anderen Lokalen testen.
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