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«Fallen Leaves» im Kino
Eine zarte Liebesgeschichte in Helsinki

Waschechte Kaurismäki-Figuren: Holappa (Jussi Vatanen) und Ansa (Alma Pöysti) in «Fallen Leaves».
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Zum Karaoke will ihn sein Kollege und Kumpel schleppen. Aber Holappa, der es gewohnt ist, das Leben lakonisch und ohne Freitagnachtaktivitäten, aber immer mit viel Schnaps an sich vorbeiziehen zu lassen, erwidert bloss: «Harte Kerle singen nicht.»

Singen tut er dann wirklich nicht; dass er trotz Widerwillen aber doch mitgeht, in den «California Pub», wird sich als glücklicher Zufall herausstellen. Denn natürlich ist dieser Holappa – wie alle guten Figuren von Aki Kaurismäki – alles andere als ein harter Kerl, sondern eine treue Seele, ein sehnsüchtig Suchender, und vor allem ein Mann, der inmitten von Alltagstristesse und düsterer Nachrichtenlage die Hoffnung auf die Liebe nicht aufgibt. Vielleicht also ein wenig wie Kaurismäki selbst.

«Fallen Leaves» trägt dem Titel zum Trotz ganz viel Frühling im Herzen.

Seit vier Jahrzehnten dreht der finnische Regisseur Filme, die den Blick auf sein Heimatland massgeblich mitgeprägt haben. Eigentlich hatte er sich mit dem 2017 auf der Berlinale gezeigten «Die andere Seite der Hoffnung» schon in den Ruhestand verabschieden wollen. Aber nun hat der 66-jährige Altmeister des finnischen Kinos mit «Fallen Leaves» doch noch einen Film gedreht: eine zarte Liebesgeschichte in Helsinki, die zu seinen schönsten Werken gehört und dem Titel zum Trotz ganz viel Frühling im Herzen trägt.

Noch dazu hat Kaurismäki seiner «Proletarischen Trilogie» nun überraschend einen vierten Teil hinzugefügt. Die hatte er eigentlich vor mehr als 30 Jahren abgeschlossen. Aber harte Zeiten verlangen nach den herrlichsten Happy Ends, die das Kino zu bieten hat.

Melancholisch und wortkarg

Die in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnete Geschichte folgt zwei einsamen Seelen, die sich nicht suchen, aber finden, dann verlieren und wiederfinden müssen. Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) leben in der finnischen Hauptstadt vor sich hin, von Tag zu Tag, Job zu Job, am Rande der Gesellschaft, in einer für Kaurismäki typisch zeitlosen Welt, in die die Moderne nur langsam und zögerlich Einzug hält. Sie sortiert in einem Supermarkt die Waren in die Regale, wird aber gefeuert, weil sie ein abgelaufenes Sandwich mit nach Hause nehmen wollte. Er ist Bauarbeiter mit einem Alkoholproblem.

Beide sind waschechte Kaurismäki-Figuren: melancholische und wortkarge Menschen, die stoisch alles ertragen, ob Arbeitslosigkeit oder die bedrückenden Nachrichten über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, die immer wieder im Radio laufen (das Einzige, was den Film in der Gegenwart verortet). Wenn sie den Mund aufmachen, was nicht oft vorkommt, dann kommen nüchtern verknappte Aphorismen heraus. Er sei deprimiert, sagt Holappa einmal im Pub zu seinem Kumpel, weil er so viel trinke. Und er trinke so viel, weil er deprimiert sei. Also: «Lass uns lieber über Fussball reden.»

Die Hauptfiguren ertragen die Widrigkeiten des Alltags stumm und stoisch.

Beim Karaoke-Abend treffen sie dann aufeinander, reden aber natürlich nicht miteinander, sondern tauschen nur verstohlene Blicke aus. Überhaupt müssen unzählige Hindernisse überwunden werden, bis Ansa und Holappa zueinanderfinden. Aber in diesem Film ist alles möglich – und die Liebe am Ende sogar stärker als der Schnaps. Es ist die entzückendste Lohnarbeiter-Lovestory seit Thomas Stubers «In den Gängen».

Im Grunde ist alles wie immer in Kaurismäki-Filmen, das heisst: wunderbar eigen, nüchtern und zugleich entrückt. Immer wieder werden Verweise eingestreut: auf Bresson, Godard, Chaplin und Jarmusch. Fast scheint es, als hätte der Regisseur zum diesmal womöglich endgültigen Abschluss seiner Karriere eine Essenz seines Werkes schaffen wollen. Die Einstellungen sind lang und starr, die Dialoge knapp und die Sets spärlich dekoriert und immer ein bisschen heruntergekommen.

Mit einem Bein in den Achtzigern

Zudem scheint der Film in einer vordigitalen Zeit zu verharren, als wäre er mit einem Bein in den Achtzigern stecken geblieben, in denen Kaurismäkis Stil einst seinen Anfang nahm. Die Festnetztelefone hängen noch am Kabel, die Radios sehen aus wie in den Fünfzigern, und als dann doch mal ein Handy auftaucht, ist es kein iPhone, sondern ein altes Nokia.

Die Liebenden müssen ohne Hilfsmittel das Glück finden. Sie müssen vielen Übeln trotzen: der sozialen Ungerechtigkeit, der Alkoholsucht, der Einsamkeit und dem Krieg. Dennoch gibt es eben immer auch Hoffnung. «Fallen Leaves» ist eine Hommage an die kleinen Momente des Glücks.

«Fallen Leaves», jetzt im Kino.