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Hässliche Szenen in Marseille
Der Steinwurf-Skandal empört Frankreich

A photograph taken at Stade Velodrome in Marseille, southern France on October 29, 2023, shows Lyon's team bus, with one window (L) completely broken and another damaged, after the bus was stoned as it entered the Stade Velodrome ahead of the French L1 football match between Olympique Marseille (OM) and Olympique Lyonnais (OL). Lyon head coach Fabio Grosso was reportedly injured during the incident. (Photo by Christophe SIMON / AFP)
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Die Bilder von Fabio Grosso werden wohl bleiben, wie ein Fanal – als «Point de non retour», wie die grosse französische Sportzeitung «L’Équipe» schreibt, vom Punkt also, von dem es kein Zurück mehr gibt. Tatsächlich? Hat man das nicht schon oft gehört?

Vor dem Fussballspiel zwischen Olympique de Marseille und Olympique Lyonnais am Sonntagabend im Stade Vélodrome hat eine Gruppe mutmasslicher Ultras von Marseille neben Fanbussen (s. Video unten) auch den Teambus der Gästemannschaft aus Lyon angegriffen: mit Pflastersteinen, mit Wurfobjekten aller Art. Zwei doppelt verglaste Scheiben auf der rechten vorderen Seite des Busses gingen in Brüche, an einem der Fenster sass Fabio Grosso, der Trainer der Lyonnais. Das Foto seines blutüberströmten Gesichts sollte gleich darauf um die Welt gehen (diesen Anblick wollen wir Ihnen an dieser Stelle ersparen).

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Als sähe diese Welt nicht schon genug verstörende Bilder von Gewalt und Krieg, stand also einigen sogenannten Fans der Sinn nach einem Überfall aus blankem Hass, nicht zum ersten Mal, muss man dazu wissen. Im Vélodrome sassen 65'000 Zuschauer. 600 Gästefans waren auch da, die Behörden hatten ihre Anreise erlaubt, obschon es in Vergangenheit schon oft Probleme gegeben hatte, gerade mit Steinwürfen.

Denkwürdige Gehässigkeit

In Frankreich nennen sie die Begegnung zwischen den zwei Vereinen, die das Olympische in ihrem Namen tragen, «Olympico» – eine lautmalerische Abwandlung vom berühmteren und anderweitig vergebenen «Clásico». OM gegen OL ist ja auch eine Art Klassiker. Die beiden Städte, die sich um den Titel der zweitgrössten und zweitwichtigsten Stadt im Land messen, weit abgeschlagen von Paris natürlich, tragen auch auf den Rängen eine denkwürdige Gehässigkeit untereinander aus.

Diesmal steckte im «Olympico» eine besondere Note. Bei den Marseillais steht alles kopf, weil die sportlichen Leistungen mal wieder nicht konstant genug die immer überrissenen Ambitionen erfüllen; vor allem aber legt sich ein Teil der Anhängerschaft ziemlich frontal mit der Vereinsführung an, mit absurden Blüten eines verwunderlichen Machtkampfs. Die Lyonnais wiederum, einst sehr erfolgsverwöhnt, wissen gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht: OL, das mittlerweile Amerikanern gehört, ist gerade Letzter der Ligue 1. Drei Punkte aus neun Spielen, drei Unentschieden.

Steinhagel statt Treffen alter Freunde

Darum haben sie Fabio Grosso aus Italien geholt, wo er einige Jahre Frosinone Calcio gecoacht hatte, als hoffnungsfrohen Aufmunterer. Auch OM hört seit kurzem auf einen Italiener, auf Gennaro «Rino» Gattuso. Der «Olympico» sollte auch das sein, ein kleines Duell zweier Weltmeister von 2006, ein Treffen zweier alter Freunde.

Fabio Grosso sass also in einer der vorderen Sitzreihen im Bus, am Fenster, als der nur noch wenige Meter vor dem Stadion entfernt war und der Steinhagel einsetzte. Offenbar traf ihn auch eine Bierflasche. Über seiner linken Augenbraue klaffte eine drei Zentimeter lange Schnittwunde, die sie später mit zwölf Stichen nähen mussten. Auch sein Co-Trainer wurde verletzt. Zunächst machte es den Anschein, als wollte man die Begegnung trotzdem austragen. Doch drei Minuten vor Spielbeginn, als die Bilder Grossos sich schon über die sozialen Medien verbreiteten, verkündete der Stadionsprecher die Annullierung.

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Grosso war so schockiert über den Vorfall, dass er nicht imstande gewesen wäre, seine Funktion am Rand des Feldes auszufüllen. Eine Weile lang fragte man sich, ob er eine Hirnerschütterung erlitten hatte. «Er war nicht mehr ganz bei sich», sagte John Textor, der Präsident des Vereins, er habe versucht, mit ihm zu reden. Für solche Fälle «psychischer oder physischer» Verhinderung eines Hauptakteurs sieht das Reglement vor, dass Spiele abgesagt werden können. Grosso wandte sich mit viel Verbandszeug um den Kopf an seine Spieler, beruhigte sie und wurde dann ins Spital gebracht.

Folgt nun eine exemplarische Strafe?

Und wieder ist die Empörung gross, auf allen Seiten. Der Bürgermeister von Marseille, Benoît Payan, sagt: «Das ist nicht Sport, das ist nicht Fussball.» So weit sind sich wohl alle einig. Die Zeitungen schreiben, der französische Fussball untergrabe sein ohnehin nicht sehr positives Image gleich selbst. Es sei ja kein Wunder, dass der Erwerb der Fernsehrechte an der Ligue 1 kaum mehr interessiere, wie man jetzt wieder sehe, wo sie verhandelt werden. Nach dem Wegzug von Lionel Messi und Neymar Junior, die beide für PSG gespielt hatten, verlor die Liga ganz beträchtlich an Appeal.

OL prüft nun, ob es Anzeige erstattet. OM-Präsident Pablo Longoria gab sich «konsterniert» über den Vorfall, der bereits zu neun Festnahmen geführt hat, schickte aber auch gleich nach, dass er sich ausserhalb des Stadions zugetragen habe – ausserhalb der Vereinsverantwortlichkeit. Longoria war schon in der Abwehrhaltung, da erhielt der französische Fussballverband erst den Rapport aus Marseille. Wäre es ein «Point of no return», wie «L’Équipe» schreibt, müsste man nun eigentlich eine profunde Introspektion erwarten. Und vielleicht eine exemplarische Strafe.