Formel-1-König Max VerstappenNach stundenlangem Hin und Her: Erst jetzt ist der Weltmeister klar
In der letzten Runde schnappt sich Max Verstappen noch Lewis Hamilton und den Sieg. Doch erst spätabends steht fest: Er ist auch der neue Champion.
Es ist eine Stunde vor Mitternacht, als in Abu Dhabi noch einmal Jubel ausbricht bei Red Bull. Das Rennen ist seit viereinhalb Stunden vorbei, doch die Entscheidung steht erst jetzt: Max Verstappen ist Weltmeister. Es wäre ein gar unwürdiges Ende gewesen, wäre am Grünen Tisch doch noch Lewis Hamilton zum Sieger ernannt worden. Erst recht nach diesem Grand Prix, der an Dramatik nicht zu überbieten ist.
Wahnsinn trifft es nicht. Irrsinn? Nicht ansatzweise. Für das, was in den Vereinigten Arabischen Emiraten passiert, in der Schlussphase dieses Formel-1-Finals, muss erst noch ein Adjektiv erfunden werden.
Lewis Hamilton sieht wie der sichere Sieger aus, als Nicholas Latifi, ein Hinterherfahrer von Williams, alles auf den Kopf stellt und für den verrücktesten Schluss sorgt, den dieser Sport je gesehen hat.
Das Safety Car kommt auf die Strecke, fünf Runden sind noch zu fahren, das Feld rückt zusammen. Doch zwischen dem führenden Hamilton und dem zweitplatzierten Max Verstappen, den beiden grossen Figuren dieser WM, die punktgleich zum letzten Rennen gereist sind, liegen fünf überrundete Fahrer. Dann die Entscheidung: Sie dürfen ihre Runde nicht aufholen, würden also bei einem Neustart weiter zwischen den beiden stehen und mit grosser Sicherheit verhindern, dass Verstappen, der noch neue weiche Reifen geholt hat für die letzten Runden, irgendwie am siebenfachen Weltmeister vorbeiziehen und sich erstmals die Krone aufsetzen kann.
Höhnischer Funk von Verstappen
Am Funk kommentiert der Niederländer höhnisch: «Das war ja klar. Absolut typische Entscheidung. Ich bin nicht überrascht.» Es ist nicht das erste Mal in dieser Saison und in diesem Rennen, dass er sich von der Rennleitung benachteiligt fühlt.
Dann kommt die vorletzte Runde und ist alles anders: Die fünf Fahrer dürfen am Safety Car vorbeiziehen, der Weg ist frei für ein letztes grosses Spektakel in dieser denkwürdigen Saison. Und dieses liefert Verstappen. Schon bevor der Sicherheitswagen verschwunden ist, setzt er sich neben Hamilton, provoziert diesen und riskiert damit beinahe noch eine Strafe. Als der Brite dann beschleunigt, ist er dicht dahinter, greift bald an und zieht vorbei. Hamilton, dieser Popstar der Königsklasse, versucht zu kontern. Es gelingt nicht. Verstappen wird mit 24 Jahren erstmals Weltmeister. Oder doch nicht?
Hamilton jedenfalls sagt noch bevor er über die Ziellinie fährt in den Funk: «Das wird doch manipuliert, Mann!» Sein Team Mercedes legt denn auch gleich nach dem Rennen zwei Proteste ein. Dabei geht es zum einen um die Rolle des Safety Car. Im Reglement steht, dass dieses die Strecke erst eine Runde später verlassen darf, nachdem das letzte überrundete Auto am Führenden und dem Sicherheitswagen vorbeigezogen ist. Das war in Abu Dhabi aber nicht der Fall, er fuhr noch in der gleichen Runde in die Box. Auch durften nur die fünf Fahrer zwischen Hamilton und Verstappen aufholen, die anderen aber nicht. Das Reglement sieht das nicht vor.
Der zweite Einspruch betrifft die Mätzchen von Verstappen hinter dem Safety Car. Mercedes moniert, er habe Hamilton zwischenzeitlich überholt, was nicht erlaubt sei. Letztlich werden beide Beschwerden abgewiesen.
Das erste umstrittene Manöver
Als Verstappen die Ziellinie überquert, schreit er erst einmal in seinen Helm, während sich der jubelnde Red-Bull-Teamchef Christian Horner die Tränen aus den Augen wischt. Später steht ihr junger Star auf seinem Auto, hüpft herunter, kniet sich hin, stützt seinen Kopf auf dem Reifen seines Autos ab – es dürften auch in seinem Helm die Tränen fliessen. Es folgt die Umarmung mit seinem Vater und strengen Lehrer Jos Verstappen. Während Hamilton lange in seinem Auto sitzen bleibt – und hinterher Grösse beweist, indem er dem Sieger gratuliert. Nachdem er von seinem Vater Anthony Hamilton getröstet worden ist, umarmt dieser Verstappens Vater Jos. Auch das ist eine versöhnliche Szene nach einem oft hitzigen Duell, das in der allerletzten Runde zugunsten von Verstappen ausgeht.
Dabei läuft zunächst so ziemlich alles gegen seinen Herausforderer. Erst verschläft Verstappen den Start und muss den Mercedes vorbeilassen, obwohl er mit weichen und Hamilton mit mittelharten Reifen losgefahren ist. Dann attackiert er seinen Widersacher, indem er in eine Kurve hart reinsticht, die Autos berühren sich beinahe, Hamilton fährt in die Auslaufzone, bleibt vorne und muss die Position nicht zurückgeben. Es ist das erste Mal an diesem Sonntagnachmittag, da sie bei Red Bull eine Verschwörung wittern. Trotz Intervenierens bei Renndirektor Michael Masi muss Hamilton nur den Vorsprung etwas verringern, dann darf er davonfahren.
Diese Entscheidung ist deshalb gerechtfertigt, weil es nur am 36-Jährigen lag, dass es keinen schlimmeren Unfall gab. Verstappen hat ihm schlicht keinen Platz gelassen, weshalb er ausweichen musste. Auf einen Boxenstopp von Verstappen reagiert Hamilton später ebenso mit einem Reifenwechsel, alles läuft für ihn in geordneten Bahnen – auch wenn sich Verstappens Teamkollege Sergio Pérez ihm noch mehrere Kurven lang in den Weg stellt und verblüffend lange aufhält mit seinen alten Pneus.
Nachdem Verstappen noch einmal angehalten hat, um mit dem Mut der Verzweiflung und frischen Pneus diesen brillanten Fahrer im Mercedes doch noch irgendwie unter Druck zu setzen, und zur Aufholjagd startet, wird diese jäh unterbrochen. Von Latifi. Der ein Ende einläutet, das so gut zu dieser aufreibenden Saison passt.
Überraschender «Fahrer des Tages»
Ungewollt eine grössere Rolle kommt auch Antonio Giovinazzi bei seinem letzten Rennen für Alfa Romeo zu. In Runde 35 muss der Italiener sein Auto parkieren – wie neun Runden davor schon sein Teamkollege Kimi Räikkönen, der damit ein unwürdiges Ende seiner schillernden Karriere erlebt. Immerhin sorgt der Finne für eine witzige Randnotiz an diesem Tag, weil er von den Fans zum «Fahrer des Tages» gewählt wird. Zuvor hat er sein Fahrzeug ein letztes Mal in der Box des Schweizer Teams abgestellt, Giovinazzis steht dagegen in der Auslaufzone.
Um es zu bergen, kommt das virtuelle Safety-Car zum Einsatz, die Fahrer dürfen ihre Wagen nur noch langsam über die Strecke bewegen. Entsprechend verlieren sie bei einem allfälligen Boxenstopp weniger Zeit. Verstappen nützt das, um neue Reifen zu holen, es ist das Einzige, was er noch versuchen kann 23 Runden vor Schluss gegen den scheinbar übermächtigen Gegner. Tatsächlich holt der Niederländer rasend schnell auf, die ganze 20 Sekunden vermag er aber nicht wettzumachen. Doch dann hilft ihm das Safety Car.
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