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Paul McCartney zum 80.
Er bleibt sein schlimmster Freund

Der brillante Bassist spielt auch Gitarre. Und Keyboards. Und Schlagzeug. Paul McCartney im Jahr 2020.
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«Mein grösstes Problem ist, dass ich noch lebe», hat er einmal gesagt, und man versteht ihn: Während John Lennon nach seiner Ermordung zum Heiligen umkoloriert wurde, Saint Martin Luther Lennon, wird Paul McCartney nur älter. Und muss dauernd gegen die gegenwärtig gebliebene Vergangenheit ankämpfen, welche die Beatles geschaffen haben, «this nice little Rock‘n‘Roll group», wie er sie mit seiner aufgesetzten Bescheidenheit gerne nennt.  

Er kämpft sich durch die Gegenwart auf seine fleissige Art, hat Dutzende von Alben veröffentlicht von  schwankender Qualität. Und eine Tournee nach der anderen geschoben, alle mit enormem Erfolg. Sein letzter Zürcher Auftritt vor zehn Jahren wurde zwar vom alten Material dominiert. Aber es war trotzdem ein sensationell gutes Konzert, dem man die ganzen zweieinhalb Stunden über anhörte, wie gern McCartney und seine Band auf der Bühne standen. Damals war er 70 Jahre alt, heute wird er 80.

Der elastische Jüngling

Dabei steht ihm das Alter nicht, gerade weil er es so verdrängt, was auf tragische Weise lächerlich wirkt. Sein Gesicht ist geliftet, das Haar sitzt wie eine Perücke, unermüdlich mimt er den elastischen Jüngling mit den hochgestreckten Daumen, dem bäumigen Lachen und diesem aggressiven Optimismus, der einem bei ihm schon immer auf die Nerven ging. 

Dass diese gute Dauerlaune blosse Tarnung ist und sich hinter dem rehäugigen Paul ein McCartney aus Stahl verbirgt, wie ein Journalist des Musikmagazins «Mojo» es formulierte – die Beatles waren die Ersten, die das an ihm erleiden mussten. Seinen brennenden Ehrgeiz, den Hang zur Überkontrolle und zum Perfektionismus, zum Dreinreden und Besserwissen, zur Streberei. Noch im respektvollen Porträt, das Rick Rubin im letzten Jahr über ihn drehte, der ja selber ein überragender Produzent ist, registrierte man vor allem eines: Paul McCartneys alles überstrahlende Eitelkeit. 

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Andererseits, und auch das wussten die anderen Beatles genau: Ohne Pauls Antreibereien wäre die Band vermutlich schon 1967 auseinandergebrochen, also nach dem «Sgt. Pepper»-Album und dem Tod ihres unglücklichen Managers Brian Epstein. Dank McCartney, dem singenden Oberlehrer, blieben die vier zusammen, schrieben Meisterwerke wie das sogenannte weisse Album, «Abbey Road» und das bis heute unterschätzte «Let It Be». Und stimmten bis zuletzt unter grimmigen Bedingungen grossartige Songs an.

Wahrheit traf auf Schönheit

Diese Lieder lebten vom engen, fast telepathischen Zusammenspiel der vier Musiker, wobei George Harrison und Ringo Starr eine weit wichtigere Rolle zukam, als ihnen zugestanden wurde. Aber natürlich profitierte ihre Musik auch vom stilistischen und charakterlichen Kontrast zwischen John Lennon und Paul McCartney.

Der englische Musikwissenschaftler Ian MacDonald hat die Talente der beiden in «Revolution in the Head» beschrieben, seinem Standardwerk über die Beatles, das jedes ihrer über 200 Lieder analysiert. Und er unterscheidet sie so: «Lennon passte seine Melodien der gesprochenen Sprache an und kam mit minimalen Intervallen aus.» Dafür habe er mit unüblichen Metren und häufigen Rhythmuswechseln gearbeitet. McCartneys Kompositionen dagegen verblüfften «durch ihre grossen Intervalle, durch eine natürliche Musikalität und durch sein melodisches Talent».

Bei Lennon und McCartney, bilanziert McDonald, «kollidierten Horizontalität mit Vertikalität, Dissonanz mit Konsonanz, Ausdruck mit Eleganz, Wahrheit mit Schönheit».

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Lennon mag die radikalere Persönlichkeit gewesen sein, unerschrockener als sein Partner und ein systematischer Provokateur, als Songschreiber immer wieder überraschend. Aber McCartney war ihm als Musiker weit überlegen. Er war auch an der Avantgarde weit mehr interessiert als sein fauler Kollege, der seine Tage in seiner Vorstadtvilla verdämmerte. Und stilistisch vielseitig war McCartney auch. Zwar wird er bis heute zum Balladeur reduziert und mit «Yesterday» identifiziert, dem meistgecoverten Stück der Welt. Es fiel ihm im Traum ein, was einiges über sein Talent aussagt. Und wie viele guten Beatles-Stücke ist es kühn gebaut und klingt doch zum Mitsingen einfach.

Und selbstverständlich stimmt es, dass Paul McCartney ein grossartiger Balladensänger ist, seine langsamen Lieder reihen sich wie Perlen einer Kette aneinander: «Blackbird», «Michelle», «Things We Said Today», «Eleanor Rigby», «You Never Give Me Your Money», «Here, There and Everywhere», «Fixing a Hole», «She’s Leaving Home». Aber auch mehrere Songs aus seinen Solojahren. «Here Today» etwa, seine Hommage an den toten Freund, aber auch Lieder wie «My Valentine», «We Got Married», «Maybe I’m Amazed» und so viele andere.

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Er kann auch schreien

Doch Paul McCartney hat ein dermassen umfassendes Talent, dass er auch als Rocker brillieren kann. Und als Shouter in der ekstatischen schwarzen Gesangstradition von Little Richard, dessen Stücke wie «Long Tall Sally» oder «Lucille» er besser sang als alle anderen der so vielen Kopisten. Ist es nicht ironisch, dass Paul es war, der das brutalste Stück schrieb und sang, das die Beatles je aufnahmen? Und dass dieser Song, «Helter Skelter» aus dem weissen Album, ein prototypisches Heavy-Metal-Stück vor seiner Zeit, den psychotischen Charles Manson zum Morden inspirierte?

Er wird zum Balladeur reduziert, dabei hat er das brutalste Stück geschrieben, das die Beatles jemals aufnahmen.

Von Paul kommen noch andere schnelle, aufregende Rocksongs der Beatles: «Back in the USSR», «I Saw Her Standing There», «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band», das euphorische «Can’t Buy Me Love», das John Lennon begeisternde, obwohl ihn parodierende «I’m Down», das swingend synkopierte «She’s a Woman», das von Fats Domino inspirierte «Lady Madonna», das auf die Motown-Schule verweisende Soulstück «Got to Get You Into My Life». Und so weiter.         

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Auch gehören manche von McCartneys Texte zum besten, was die Beatles veröffentlicht haben. Lennon verhöhnte seinen Hang zum Geschichtenerzählen als «Granny Music», Musik für Grossmütter, und bei manchen Stücken hatte er auch recht.

Aber es war Paul, der zum Beispiel auf «Eleanor Rigby» in schmucklosen und zugleich empathischen Versen von der alten Frau sang, die in einer Kirche aushilft, «wearing the face that she keeps in a jar by the door / Who is it for?». Die das Gesicht trägt, das sie in einem Krug neben der Tür aufbewahrt. Und dann einsam stirbt, der Pfarrer reibt sich den Dreck von den Händen, als er von ihrem Grab geht. Auch «Penny Lane», Pauls Erinnerung an das Liverpooler Quartier, bleibt sowohl als Komposition wie als Text meisterhaft. Und das kann man noch von anderen seiner Lieder sagen.  

Der Bassmann

Schliesslich, um das Offensichtliche noch auszusprechen, ist der Mann auch ein Musiker von grosser Virtuosität. Sein Spiel auf dem Bass wird von allen bewundert, die etwas von Musik verstehen. Er kann aber auch Keyboards und Schlagzeug. Und mehrere der besten, beissend bösen Gitarrensoli auf den Beatles-Alben sind nicht von George Harrison, sondern von Paul McCartney. Kein Wunder, waren seine Mitbeatles so oft frustriert über ihn. Er wusste nicht nur alles besser, er konnte es auch.                          

Allerdings bleibt seine Stärke auch seine grösste Schwäche, darin gleicht er seinem amerikanischen Kollegen Paul Simon: Zu oft erliegt er der Tendenz zur vollendeten Form. Zur störungsfreien Harmonie, zum selbstzufriedenen Wohlklang. «Deine Musik klingt wie Muzak in meinen Ohren, höhnte Lennon dem früheren Freund auf seinem bitteren, ungerechten Song «How Do You Sleep?» entgegen. Wobei es auch John ohne Paul nicht über die ersten beiden, grossartigen Soloplatten hinaus brachte; nachher fiel er als Musiker komplett auseinander.

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Doch Johns Kritik an Pauls Musik spricht etwas Entscheidendes aus: McCartney hat einen fatalen Hang zum Kitsch; dieser macht einen Grossteil seiner Solowerke ungeniessbar. Bei den Beatles musste er diesen Hang noch kontrollieren, weil John jede Süsslichkeit seines Partners mit seinem schneidenden Sarkasmus blossstellte. Aber seit McCartney sein eigener Chef ist, hat er niemanden mehr, der ihn vor sich selber schützt. Und es gibt kaum ein Soloalbum von ihm, auf dem manche Songs nicht an einer Überzuckerung leiden, die einen Diabetiker ins Grab bringen könnten. 

Er braucht Andere

Wie sehr Paul McCartney auf Partner angewiesen bleibt, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, ihn als schlimmsten Freund seiner selber zu bewahren: Das demonstrieren drei der besten Alben, die er in seinen Solojahren aufnahm, aber eben mit anderen. Da ist seine bis heute bekannteste Platte der Zeit nach den Beatles, «Band on the Run» von 1973, die Paul mit seinem damaligen Gitarristen Denny Lane im nigerianischen Lagos unter teilweise lebensgefährlichen Umständen einspielte. Linda war natürlich auch dabei, Pauls über alles geliebte Frau. Eine grossartige Fotografin, eine miserable Musikerin.  

Auch «Flowers in the Dirt» gehört zu Pauls besten Soloalben. Das war jene Platte, die er im Oktober 1989 ins Hallenstadion brachte. Es war sein dritter Auftritt in der Schweiz, in den frühen Siebzigern hatte er mit seinen Wings schon in Montreux und im Zürcher Kongresshaus gespielt. «Flowers in the Dirt» ist deshalb so gelungen, weil McCartney einige der Songs mit Elvis Costello zusammen schrieb, der sich stilistisch und sarkastisch genau so weit weg von Paul bewegt, wie John es tat.

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McCartney ist als Perfektionist gefürchtet, der für seine Ballade «Blackbird» 86 Takes brauchte – und der die Mit-Beatles mit seiner Pedanterie fast in den Wahnsinn trieb. Dass er auch anders kann, zeigt das Album «Electric Arguments», das er 2008 mit dem Bassisten und Produzenten Martin Glover unter dem Namen The Fireman aufnahm.

Und zwar unter Produktionsbedingungen, die das Gegenteil seines Rufs bestätigen. Denn die beiden nahmen sich für jedes Stück der Platte jeweils einen Tag – fürs Schreiben, Arrangieren und Aufnehmen. So etwas konnte nicht einmal John Lennon. Schon darum hätte ihm diese Platte besonders gefallen. Ob Paul das auch weiss?

Hier eine ausführliche Best-of-Playlist von Paul McCartneys Jahren mit den Beatles und danach:

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