Militärparade in NordkoreaElf Achsen für Kim Jong-un
Mitten in der Nacht nimmt Nordkoreas Machthaber eine Militärparade ab. Mit Tränen auf den Wangen entschuldigte sich Kim bei Soldaten – und sendet wichtige Botschaften an die Nachbarstaaten und die USA.
Die grösste Neuheit hat sich Kim Jong-un für das Ende der Militärparade aufgespart, mit der Nordkorea den 75. Gründungstag der Arbeiterpartei beging. Vier gigantische Lastwagen mit jeweils elf Achsen rollten an der Tribüne auf dem Kim-Il-sung-Platz vorbei, von der Kim die Parade abnahm und zuvor eine Rede hielt.
Sie tragen die grössten Interkontinental-Raketen, die das kommunistische Land je vorgeführt hat, möglicherweise sind das die grössten flüssigkeitsgetriebenen ballistischen Raketen weltweit. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei nur um Modelle – allerdings von einem Waffensystem, das sich tatsächlich in Entwicklung befindet und potenziell mehrere Atomsprengköpfe tragen könnte.
Kim Jong-un, im grauen Anzug westlichen Schnitts gekleidet, verzichtete in seiner Rede weitgehend auf bedrohliche Rhetorik, erwähnte die USA und US-Präsident Donald Trump nicht direkt. Dagegen sprach er über den Süden – und das in freundlichen Worten.
Zehntausende Zuschauer – keine Schutzmasken
Er hoffe auf den Tag, an dem die Koreaner wieder Händehalten könnten, sagte er, was eine politische Botschaft sein dürfte, sich aber auch auf die Corona-Situation in Südkorea bezog. Im Norden, sagte Kim, gebe es keine Erkrankungen. Auf der Massenveranstaltung mit Tausenden Soldaten und Zehntausenden Zuschauern waren keine Masken oder andere Vorsichtsmassnahmen zu erkennen.
Kim ging auf die Härten ein, die Nordkorea in diesem Jahr zu bewältigen hatte: mehrere Taifune, schwere Überflutungen und die Corona-Pandemie, deren Übergreifen auf Nordkorea Kim mit einer drastischen Abriegelung des Landes abzuwenden versucht. Die Folge ist allerdings, dass der Handel mit China, dem wichtigsten Verbündeten, eingebrochen ist und sich die Versorgungslage für die Bevölkerung weiter verschärft hat.
Mit Tränen auf den Wangen entschuldigte sich Kim bei den Soldaten, die er zum Wiederaufbau zerstörter Orte abkommandiert hatte, dass er sie nicht angemessen belohnen haben könne – und machte dafür auch die Sanktionen verantwortlich.
War der politische Kern der Rede offenkundig vor allem an die eigene Bevölkerung gerichtet, enthielt die ungewöhnlich inszenierte Militärparade dennoch wichtige Botschaften an die Nachbarstaaten und auch die USA: Nordkorea arbeitet auf breiter Front an der Modernisierung seines Militärs. Die Armee führte neue Uniformen, Sturmgewehre und Infanteriefahrzeuge vor, einen neuen Kampfpanzer, bisher unbekannte Luftabwehrsysteme oder schwere Raketenwerfer. All dies sind Waffensysteme, die bei einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel das militärische Kräfteverhältnis deutlich zu Gunsten Pjönjangs verändern würden.
Nordkorea will notfalls auch auf Kosten der Wirtschaft aufrüsten, hatte Kim gesagt
Offen ist, wie viele davon Nordkorea in grossem Massstab produzieren kann oder bereits in die Streitkräfte eingeführt hat. Auch wirft die Ähnlichkeit zu bekannte russischen und chinesischen Waffensystemen die Frage auf, ob von dort weiterhin Waffentechnologie nach Nordkorea abfliesst. Zumindest aber liefert die Parade einen Anhaltspunkt dafür, dass Kim Jong-un die angekündigte Konzentration auf die Entwicklung strategischer Waffen und der Modernisierung des Militärs auch umsetzt. Hatte er 2018 noch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zur Priorität erhoben, revidierte er dies Ende 2019 nach dem Scheitern seiner Verhandlungen mit US-Präsident Donald Trump. Die Aufrüstung müsse notfalls auch auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung Vorrang haben, sagte Kim im vergangenen Dezember in einer Rede vor dem Zentralkomitee der Arbeiterpartei.
Um die Militärparade hatte es Verwirrung gegeben. Obwohl der südkoreanische Geheimdienst schon am Morgen entsprechende Aktivitäten registriert hatte, gab es dazu aus Pjöngjang dazu bis zum Nachmittag weder Berichte noch Bilder. Ausländische Diplomaten oder Journalisten durften dem Aufmarsch anders als bei früheren Gelegenheiten nicht beiwohnen. Dann allerdings strahlte das Staatsfernsehen eine aufwendig produzierte, mehr als zweieinhalbstündige Dokumentation der Veranstaltung aus.
Das Video beginnt mit Drohnenbildern von menschenleeren, aber hell erleuchteten Strassen im Zentrum Pjöngjangs, die von Hochhäusern gesäumt sind. Zu sehen sind bereits Militärfahrzeuge, die Aufstellung für die Parade bezogen haben. Ein Uhrturm kommt ins Bild, die Zeiger stehen auf zwölf. Punkt Mitternacht, so suggeriert die Inszenierung, beginnen die Feierlichkeiten dann, durchchoreografiert wie immer. Kim hatte eigens ein neues Tribünen-Gebäude errichten lassen, verkleidet mit weissem Marmor; der Platz davor war ebenfalls renoviert worden.
Womöglich hing es mit der aufwendigen Produktion zusammen, dass die Aufnahmen vom Staatsfernsehen mit einer Verspätung von mehr als zwölf Stunden ausgestrahlt wurden. Warum Kim aber die Parade nachts unter gleissendem Scheinwerferlicht abhalten liess, ist nicht bekannt. Hochauflösende scharfe Bilder unter guten Lichtverhältnissen liefern westlichen Geheimdiensten vielleicht mehr Hinweise. Dem Gegner militärische Fähigkeiten glaubhaft zu demonstrieren, ist allerdings einer der wesentlichen Gründe, überhaupt Militärparaden abzuhalten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.