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«Hamilton» auf Disney+
Einen perfekteren Zeitpunkt für dieses Musical gibt es nicht

Riesenerfolg am Broadway: «Hamilton» mit Leslie Odom Jr. als Aaron Burr.
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Das Schicksal hat manchmal einen seltsamen Sinn für Humor, und so hat es sich einfallen lassen, ein Musical über die amerikanische Verfassung genau in diesem Moment um die Welt zu schicken. Einem Moment, wo diese Verfassung vom amtierenden Präsidenten auf die Probe gestellt wird, der zwar nach Recht und Ordnung schreit, sich selbst aber nicht so gern daran hält.

Lin-Manuel Miranda, bei «Hamilton» Autor, Komponist und Hauptdarsteller in Personalunion, konnte das natürlich nicht ahnen, als sein Hip-Hop-Musical 2015 zunächst Off-Broadway-Premiere feierte. Der Blick auf das Stück ist nicht derselbe wie vor fünf Jahren, als «Hamilton» zu einem Phänomen der Obama-Ära avancierte. Die Glorifizierung der amerikanischen Vergangenheit hat inzwischen einen anderen Beigeschmack.

«Hamilton» ist jetzt als Stream auf Disney Plus zu sehen, was sehr viel mit dem ungeheuren Erfolg zu tun hat, den Pulitzer-Preisen für die Vorlage und das Drama, und mit Miranda selbst, der Alexander Hamilton in der verwendeten Aufzeichnung von 2016 auch spielt. Danach hat die Rolle jemand anderes übernommen, dann wurde der Broadway wegen Covid-19 geschlossen, also kommt «Hamilton» nun zum Publikum nach Hause.

Miranda stammt aus Puerto Rico, dem 51. Staat der USA, der keiner ist, und sein Ansatz hier ist nun, den einzigen der amerikanischen Gründerväter, der nicht auf dem Gebiet der USA geboren ist, als Stammvater aller amerikanischen Immigranten zu feiern: Die Figuren sind mit einem Griff in den Schmelztiegel besetzt, George Washington beispielsweise ist schwarz. Man kann das auf zwei Arten lesen – es gab kritische Stimmen, Miranda würde so die Ungerechtigkeiten der amerikanischen Geschichte einebnen.

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Aber so meint er es natürlich nicht: Hier machen sich Amerikaner jedweder Abstammung die amerikanische Geschichte zu eigen. Und was diesen zentralen Aspekt angeht, hätte es für «Hamilton» als Stream keinen perfekteren Zeitpunkt der Veröffentlichung geben können, mitten in die «Black Lives Matter»-Proteste hinein.

Hamilton, der unehelich in der Karibik geboren wurde, war von 1789 an der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten. Die Gründe, warum Hamilton, der eigentlich von Figuren wie Thomas Jefferson und James Madison aus dem Rampenlicht gedrängt wurde, in seiner Neuentdeckung durch Miranda so gut zu den Obama-Jahren passte, kommen im Stück durchaus vor. Er steht für eine starke Zentralregierung in Washington, und er war gegen die Sklaverei und für die Einbürgerung der Schwarzen mit allen Bürgerrechten – Miranda mag Hamiltons Haltung da ein wenig übertreiben, erfunden aber hat er sie nicht.

So viel leistet die Bildregie auch, wenn 3sat eine Oper zeigt.

Hätte Miranda die Figuren nicht mit Schwarzen und Hispanics besetzt, hätte man ihm sein Musical vielleicht um die Ohren gehauen. Debattierende Politiker auf der Bühne? Die Idee ist toll, aber sie hat ihre Grenzen, natürlich sind viel Privates und Halböffentliches – es gibt einen Sexskandal! – in die Musical-Nummern eingeflossen. Als Text ist «Hamilton» auch so schon ganz schön anstrengend, ein flotter Song über die Dauer von Amtszeiten hätte da gerade noch gefehlt.

Nicht alle Gags sind tauglich für einen Siegeszug des Musicals um die Welt. Wenn beispielsweise Hamiltons Sohn Philip sich zum Duell verabredet auf der anderen Seite des Hudson, sagt er: «Alles ist legal in New Jersey.» Ein Gag, über den das New Yorker Publikum sich köstlich amüsieren kann, weil man dort eben weiss, dass das zwielichtige Spielerparadies Atlantic City nebenan im Staat New Jersey liegt.

An traditionelles Musical erinnern am meisten die Auftritte von King George, der als eine Art komisch-arroganter Kommentator erscheint. Aber jenseits der Musik ist «Hamilton» vor allem ein gesungenes und getanztes Theaterstück – nach einer säuberlich chronologisch erzählten Biografie. Es gibt nicht viel Bühnenbild zu sehen, aber ein paar der Einfälle sind schön, etwa die Schlachtenszenen im Unabhängigkeitskrieg als Tanz der Truppen. Der Regisseur Thomas Kail beschränkt sich meist darauf, das Geschehen auf der Bühne abzufilmen, mit ein paar sorgfältig eingestreuten Halbtotalen und Grossaufnahmen. Das haben einige amerikanische Kritiker hochgelobt – aber so viel leistet die Bildregie auch, wenn 3sat eine Oper zeigt.

Dennoch ist «Hamilton» ein spannender Blick aus der Gegenwart zurück, selbst wenn man seinen Blick auf die Hauptfigur etwas zu freundlich findet. Die Geschichte aber erfordert eine gewisse Vorbildung – den Details von Hamiltons Beitrag zur Verfassung als Rap zu folgen, ist einigermassen schwierig, obwohl erstaunlich viel Information in den Texten steckt. Und die reimen sich sogar.