Zu Tisch mit dem BundesratMoritz Leuenberger verrät, wie ein Bankett fast eine Krise auslöste
Wie politisch Speis und Trank sein können, darüber referierte Moritz Leuenberger in Wädenswil. Der Alt-Bundesrat reihte Anekdote an Anekdote.
Die Sekretärin, sie wurde in Moritz Leuenbergers Vortrag bei den Aktiven Seniorinnen und Senioren in Wädenswil immer wieder zum Thema. So erinnerte sich Leuenberger, wie sie an seinem ersten Tag als Bundesrat auf ihn zukam und sagte: «Ich muss als Erstes wissen, was Sie essen und was nicht. Wenn Sie eingeladen werden, werde ich das nämlich gefragt.»
Dass es beim Essen und Trinken eben nicht nur um Nahrungsaufnahme geht, wurde den mehr als 150 Anwesenden am Mittwoch rasch klar. Denn kulinarische Missgeschicke können im schlimmsten Fall offensichtlich sogar Staatskrisen auslösen.
«Politische Rituale und das Essen. Indiskretionen über Tischsitten und Unsitten im Bundeshaus», lautete der Titel des Vortrags. Leuenberger trug besagte «Indiskretionen» am Mittwochabend derart süffig vor, dass die Anwesenden im Saal immer wieder in schallendes Gelächter ausbrachen. Eher angespannt war die Stimmung hingegen 1999, als der chinesische Präsident Jiang Zemin die Schweiz besuchte.
Fauxpas bei der Sitzordnung
Der Staatsbesuch habe schon nicht gut angefangen, erinnerte sich Leuenberger und nahm damit Bezug auf China-kritische Demonstranten, die sich für die Rechte der Tibeter einsetzten. Beim gemeinsamen Essen am Abend sei der Präsident dann an den «falschen Platz» geführt worden.
Er habe daraufhin den Saal verlassen und den Staatsbesuch abbrechen wollen, schilderte Leuenberger. Den Eklat gerade noch verhindern konnte Leuenbergers Bundesratskollege Adolf Ogi. Dieser habe den chinesischen Präsidenten am Ärmel wieder auf den Sitz gezogen und das Thema auf einen 1000-jährigen Bergkristall gelenkt. Etwas, was Jiang Zemin mit sich geschehen liess. «Der Präsident war dermassen perplex, er war wohl das letzte Mal von seiner Mutter so an der Hand genommen worden.»
«Totes Tier auf dem Teller»
Ebenfalls nicht reibungslos ging einst der Besuch des indischen Präsidenten über die Bühne. So wurde dem Staatsoberhaupt ein Kotelett serviert, obwohl er Vegetarier war.
Vegetarier war damals auch Leuenberger. Etwas, was in den 90er- und 00er-Jahren nicht überall auf Verständnis stiess. So habe er von besagter Sekretärin zu hören gekriegt: «Das geht doch nicht, ein bisschen Fleisch muss sein.» Und Eveline Widmer-Schlumpf habe zu Ueli Maurer gesagt: «Ueli, auf deinem Teller liegt ein totes Tier.»
Sie selbst bezeichnete sich nicht als Vegetarierin, sondern habe nur gesagt, dass sie kein Fleisch esse, verriet der SP-Politiker. Beim Bündner Fleisch habe Eveline Widmer-Schlumpf aber eine Ausnahme gemacht.
Wasser statt Wein
Nicht nur das Verhältnis zum Fleisch-, sondern auch jenes zum Alkoholkonsum hat sich geändert. Dieser habe in den letzten Jahren auch in den politischen Kreisen sehr abgenommen, erzählte Leuenberger.
Den Umgang mit Alkohol nutzte er, um die kulturellen Unterschiede zwischen der Romandie und der Deutschschweiz zu verbildlichen. So erinnerte er sich, wie Kollege Jean-Pascal Delamuraz sich einst darüber echauffiert hatte, dass ihm bei einem Arbeitstreffen mit Bundesrat Rudolf Friedrich nur ein Apfel und ein Glas Wasser, nicht aber ein Wein angeboten worden war.
Dass politische Lösungen nicht nur in den Bundesratssitzungen, sondern oft eher beim Essen danach gefunden werden, war aber einer der wichtigsten Punkte Leuenbergers. «In den formellen Sitzungen ist man auf seine Rolle fixiert», erklärte der 77-Jährige. Beim Essen verlasse man diese Rolle, und da sei es gut möglich, dass man im Gespräch sage: «So, wie du das sagst, habe ich mir das noch nie überlegt. Ich ändere meine Meinung.»
Dieses Verbindende herauszustreichen, war Leuenberger ein Anliegen. «Gemeinsames Essen ist die Grundlage von zivilisierten Gesellschaften: Es bringt die Menschen zusammen.»
Kein «Kochbuch» geschrieben
Neu ist Leuenbergers Interesse für die Kulinarik übrigens nicht. Bereits während seiner Zeit im Bundesrat wollte er in seinem Buch «Lüge, List und Leidenschaft» ein Kapitel über Essen und Politik schreiben.
Ein Vorhaben, das von Leuenbergers Team teilweise gar nicht goutiert wurde. Die Romands seien begeistert gewesen, die Deutschschweizer hätten Bedenken gehabt, wie das aussehen könnte: ein Bundesrat, der während seiner Amtszeit ein «Kochbuch« schreibt. Wer weiss, vielleicht liefert Moritz Leuenberger die Publikation über Essen und Politik noch nach?
Dass der Alt-Bundesrat die Seniorinnen und Senioren glänzend unterhielt, war den strahlenden Gesichtern anzusehen. Doch nach dem Anlass brach das Publikum rasch auf. Im Gemeinderatssaal Untermosen ist Essen und Trinken nämlich untersagt. Ganz gemäss dem Thema zogen die Wädenswiler weiter ins nahe gelegene Hallenbad-Café, um bei Kaffee und Kuchen über das Gehörte zu diskutieren.
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