Geburtstag des Hollywood-StarsEine Ikone des Kinos wird 90 – und stolpert
Keiner hat sich eingehender mit amerikanischen Helden und Mythen befasst als Clint Eastwood. Doch ausgerechnet in seinem jüngsten Spielfilm «Richard Jewell» unterläuft ihm ein peinlicher Schnitzer.
«Er hat dieses unbeschreibliche Etwas, welches das Beste an Amerika repräsentiert. Er ist direkt, kräftig, resolut und ehrlich.» Das sagte Regisseur Don Siegel über Clint Eastwood, nachdem er seinen Star in den Sechziger- und Siebzigerjahren nahezu nonstop inszeniert hatte.
Zu jener Zeit war Eastwood – nachdem er in Sergio Leones Italowestern als wortkarger Antiheld den Durchbruch geschafft hatte – auf dem Weg zum Superstar. Und Siegel formte aus dem hünenhaften Athleten einen grimmigen Asphaltcowboy («Dirty Harry», 1971), er liess ihn mit einer falschen Nonne in der Wüste disputieren («Two Mules for Sister Sara», 1970) und steckte ihn als Duldernatur mit Ausbruchplänen ins Hochsicherheitsgefängnis («Escape from Alcatraz», 1979).
Verschiedene Rollen, derselbe Typ: Eastwood verkörperte – im Gegensatz zu den unzähligen makellosen Hollywood-Helden zuvor – den Verfechter seiner eigenen Gesetzesvorstellungen. Man konnte für oder gegen ihn sein, man konnte seine nicht über alle Zweifel erhabenen Moralvorstellungen bewundern oder verachten. Er sprach für alle und sagte dabei oft kein Wort.
So baute der Schauspieler Eastwood am eigenen Mythos, bevor der Regisseur Eastwood das Mythische an Amerika zu durchleuchten begann. Er selbst meinte einmal: «Jeder Schauspieler braucht etwas Besonderes. Erst das macht ihn zum Star, während eine ganze Menge verdammt guter Schauspieler übersehen wird. Aber das Publikum stellt sich nur wegen eines Stars an der Kinokasse an.»
Umso mehr wundert man sich, wenn in Eastwoods jüngstem Film die Kamera zu Beginn auf einem übergewichtigen Durchschnittstypen verweilt: Richard Jewell (Paul Walter Hauser), in den Achtzigerjahren noch ein einfacher Bürobote, schiebt seinen Wagen durch die Gänge und belauscht dabei den Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell), der gerade einen Politiker am Telefon zusammenstaucht. Schweigen, Staunen, Verlegenheit. Jewell wird bemerkt; er gibt zu, dass es nicht angebracht war mitzuhören, und bald sieht man die beiden in der Spielhalle gemeinsam auf Videogame-Aliens ballern.
Es könnte eine schräge Buddygeschichte sein, die Clint Eastwood da entwickelt – ein Genre, das er ebenfalls bespielt hat, etwa in «Thunderbolt and Lightfoot» (1974) neben dem jungen Jeff Bridges. Aber wenn man sich Eastwoods Output der letzten paar Jahre vergegenwärtigt, versteht sich von selbst, dass es auch in «Richard Jewell» in erster Linie um die Heldenfrage gehen muss.
Vom Helden zum Buhmann
Es ist Eastwoods Lebensthema, und es gibt in den USA niemanden, der es so umfassend beleuchtet hätte wie der unermüdliche Kalifornier, der am 31. Mai 90-jährig wird – etwa in seiner grossen Western-Entzauberung «Unforgiven» (1992), wo ein abgewrackter Schweinehirt nochmals zur Waffe greift. Oder im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, wo Eastwood die Geschehnisse auf einer Pazifikinsel einmal aus amerikanischer («Flags of our Fathers») und einmal aus japanischer Sichtweise («Letters from Iwo Jima», beide 2006) widerspiegelte.
Held oder Antiheld? Freund oder Feind? Diese Frage führt in «Richard Jewell» bald zu jenem schicksalshaften 27. Juli 1996. Es ist der Tag, an dem der inzwischen als Wachmann tätige Dickwanst auf dem Besuchergelände der Olympischen Spiele von Atlanta einen verdächtigen Rucksack entdeckt. Darin steckt eine Rohrbombe – und sie explodiert.
Aber dank Jewell, der Alarm geschlagen hat und bei der Evakuierung mithilft, bleibt die Zahl der Toten und Verletzten vergleichsweise tief. Drei Tage lang wird der Mann, der noch bei seiner Mutter (Kathy Bates) lebt, als Held gefeiert. Dann jedoch kippt die Stimmung: Was, wenn Jewell selbst die Bombe gelegt hat? Passt dieser Redneck aufgrund seines Aussehens und seiner Hobbys (Waffen) nicht exakt ins Täterprofil? Das FBI beginnt zu ermitteln, die Medien schiessen sich auf ihn ein.
Typisch Eastwood, möchte man meinen. Und ja, dieser «Richard Jewell» ruft ein ganzes Kompendium an eastwoodschen Heldenepen in Erinnerung, vor allem «Sully» (2016), jenen Film über den Piloten Chesley Sullenberger, der 2009 ein Passagierflugzeug auf dem Hudson River notwasserte. Auch Sullenberger wurde als Retter gefeiert, bis er von der Flugsicherheitsbehörde unter Beschuss geriet – es ist der zentrale Konflikt in jenem Film.
Allerdings gab es damals auch Stimmen, die Eastwood und seinem Drehbuchautor Todd Komarniki vorwarfen, die Arbeit der Untersuchungsbehörde bis zur Unkenntlichkeit verzerrt zu haben. Das Problem dabei: Eastwood ist als Regisseur bekannt dafür, schnörkellos und ohne viele Wiederholungen zu inszenieren (und meistens kommt das gut). Aber bei realen Figuren besteht stets die Gefahr der Verfälschung, im schlimmsten Fall verkürzt die dramatische Zuspitzung das biografische Vorbild zur Karikatur.
Bei «Richard Jewell» betrifft das nicht den im Kreuzfeuer stehenden Helden, sondern die Journalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde). Sie war es, die in der Zeitung «Atlanta Journal-Constitution» den Bombenleger-Verdacht auf Jewell lenkte. Allerdings erhält die Journalistin die nötigen Informationen im Film nur deshalb, weil sie einem FBI-Ermittler sexuelle Avancen macht. Und anschliessend ist sie auch noch unfähig, den Artikel selber zu schreiben – das übernimmt ein Kollege.
Es geht hier um die Emanzipation eines Wehrlosen, der sich inmitten einer medialen Hetzkampagne neu orientieren muss.
Diese Szenen sind, wie man sich denken kann, frei erfunden; verbürgt sind sie nirgends. Umso mehr darf man sich wundern, dass der Regisseur solche abgestandenen Klischees seines Drehbuchautors Billy Ray («Captain Phillips», «The Hunger Games») unbesorgt übernommen hat.
Dabei hat Eastwood in seinen Filmen oft bewiesen, wie er Klischeefallen umschifft und zu seinem Vorteil nutzt; am anschaulichsten vielleicht in «The Bridges of Madison County» (1995), wo sich eine Hausfrau auf dem Land (Meryl Streep) in einen durchreisenden Fotografen (Eastwood) verliebt. Es ist ein Melodram, das wohl bei jedem anderen Regisseur ins Kitschige abgedriftet wäre. Eastwood jedoch nutzt diese Lovestory, um von einem uramerikanischen Traum zu erzählen: Der Film handelt von der Suche nach Selbstbestimmung und Glück – und vom zwangsläufigen Scheitern daran.
«Richard Jewell»: Ab 6. Juni im Kino
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Das Scheitern ist auch in Eastwoods jüngstem Film eine tragende Komponente: Man sieht das, wenn der ebenso gutgläubige wie redselige Richard Jewell selbst dann noch Fragen des FBI beantwortet, als es ihm sein schummriger Anwalt (mit dem er einst auf Video-Aliens schoss) längst verboten hat. Aber dieser Held kann nicht anders, als sich vor lauter Obrigkeitshörigkeit um Kopf und Kragen zu reden.
So hat Eastwood seinem stattlichen amerikanischen Figurenarsenal ein weiteres Vorzeigeexemplar hinzugefügt: Es geht um die Emanzipation eines Wehrlosen, der sich inmitten einer medialen Hetzkampagne neu orientieren muss; um einen Aussenseiter, der sich zurück ins Leben kämpft. Und diese Geschichte ist so kraftvoll und klar, dass man es nach zwei Stunden Spielzeit kaum fassen kann, wie jene dümmliche Episode mit der Reporterin in dieses sonst makellose Spätwerk geriet.
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