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Zum Tod des Chansonniers Arno
Ein Hoch auf den Untergang

Zwischen dem Jetzt und der Ewigkeit: Arno am Rock oz Arenes in Avenches 2002.
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In seiner Heimatstadt Ostende war Arno Hintjens Ehrenbürger und doch einer von vielen. Es ist die Stadt der Senioren, die auf der Promenade den Hundehäufchen ausweichen und zuschauen, wie der Prunk des einst pompösen Belle-Époque-Badeortes rapide verblasst. Eigentlich kann man hier nicht anders, als nachdenklich zu werden. Oder verzweifelt. Oder betrunken.

Arno hat viel getrunken in dieser Stadt an der Nordseeküste, der er mit einem seiner letzten Songs «Oostende bonsoir» ein Denkmal gesetzt hat. Oder treffender: Auf deren Untergang er in diesem schwerblütigen Lied anstösst.

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In der frankofonen Musikszene war Arno eher nicht einer von vielen. Als belgischer Tom Waits wurde er oft gehandelt. Das Geschniegelte war nie sein Ding, Erwartungshaltungen boten ihm stets Anlass zur Sabotage. «Manchmal steckt mein Kopf zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt fest. Ich mag das nicht», sagte er einmal im Film «Arno – Dancing Inside My Head», der 2016 über ihn gedreht wurde.  

Und tatsächlich ist sein Œuvre geprägt von einem Suhlen in Nostalgie und einer gleichzeitigen Neugier für das Jetzige. Es schwitzte der Blues aus allen Poren seiner Musik, es schnaubte der Rock ’n’ Roll, und es charmierte das Chanson. All dies wurde aufgeraut von Arnos hoffnungsarmer Säuferstimme und irritiert von dessen merkwürdigem Humor. Und es war – trotz aller Melancholie – geprägt von einer grossen Lust am Leben.

Der französische Chansonnier Jacques Higelin erzählte gerne die Geschichte, wie er einst mit Arno im strömenden Regen stecken geblieben sei. Arno, ohne Regenschirm, stand mitten im Regen und sagte mit der Miene eines alten Bauers, Gauklers, Geniessers und Poeten: «Das ist gut für die Kartoffeln.» Er habe in diesem Moment erkannt, wie sehr dieser Mann das Leben liebe.

Erste subversive Europahymne

Eine andere Liebe galt dem Experiment. In den Bands Freckle Face und Tjens Couter frönte er in den Siebzigerjahren einer mal mit Jodel, mal mit Reggae aufgefrischten Form des Bluesrock. Anfang der Achtzigerjahre pflanzte er dann mit der Band T.C. Matic einen ersten Meilenstein in die belgische Musiklandschaft.

T.C. Matic verquickte Postpunk mit New Wave und flämischem Irrsinn. Und der Song «Putain Putain» wurde zur ersten subversiven Europahymne der Popgeschichte. Auch wenn das Lied oft missverstanden wurde: Der Europaidee fühlte sich Arno, der zuletzt in Brüssel wohnte, zeitlebens verbunden – oder wie er zu sagen pflegte: «Wir haben hier Warmwasser und Farbfernsehen, es ist doch alles prima.»

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In den Anfängen von T.C. Matic war Arno ausgebrannt. Die Musik warf zu wenig ab, er suchte nach einem Job und traf auf einen, dem das Leben ähnlich übel mitspielte. Bloss dass dieser zuvor ein zünftiges bisschen erfolgreicher gewesen war. An einem kalten, grauen Wintermorgen 1981 kam Marvin Gaye mit der Fähre nach Ostende. Hoch verschuldet, zum zweiten Mal geschieden, kokainsüchtig und niedergeschlagen von einer missratenen Europatournee.

Ein Hotelier bot ihm ein Zimmer auf unbestimmte Zeit an und bat Arno, für den damals bekanntesten Sänger der Zeit zu kochen. Arno nahm das Angebot an, wurde für über ein Jahr Marvin Gayes Ernährer, rauchte mit ihm in den Dünen von Ostende dicke Joints und bekam mit, wie dieser den Song «Sexual Healing» schrieb.

Unkündbarer Heldenstatus in Frankreich

Einige Jahre nach der Abreise von Marvin Gaye nahm Arno seine Solokarriere in Angriff. 1986 erschien sein Debütalbum, das der damaligen Popularität des Digitalsynthesizers zum Opfer fiel. Doch schon auf dem Zweitling «Charlatan» fand der Belgier zu seiner Melange aus Chanson, Pop und Zeitgeist. Er wurde von einem gewissen Holger Czukay produziert, dem Mitbegründer der Krautrock-Band Can.

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1995 warf Arno der Musikwelt nach diversen englischsprachigen Alben mit «À la française» ein Album voller abgetakelter, besoffener Chansons vor, mit dabei sein bisher ergreifendster und erfolgreichster Song «Les yeux de ma mère». Danach genoss er in Frankreich unkündbaren Heldenstatus. 2002 wurde er ebenda zum Ritter des Ordens für Kunst und Literatur geschlagen.

Schwächere Alben wurden ihm verziehen, und obwohl offensichtlich war, dass er in der immer wieder eingenommenen Pose des zupackenden Rockers weit weniger überzeugte als in jener des himmeltraurigen Balladensängers, wollte das Interesse an diesem stoppeligen Mann einfach nicht abreissen.

Auf dem Boulevard von Ostende stehen heute die Fahnen auf halbmast. Hier hat man seinem berühmtesten Bürger einst eine kleine Ehrung zukommen lassen: einen aufgeklebten Stern auf dem «Walk of Fame» von Ostende – zwischen hässlichsten Betonbauten und dem offenen Meer – zwischen dem Jetzt und der Ewigkeit. Das Ganze mutet ein bisschen trostlos an. Doch Arno hatte ein Faible für die Trostlosigkeit: Er war einigermassen stolz darauf. An diesem Strand soll seine Asche nun dem Wind übergeben werden.

«Ich will in einer Welt leben, in der die Arschlöcher keinen Lärm machen», hat Arno einst gesagt. Am Samstag hat er diese Welt im Alter von 72 Jahren verlassen. Er starb an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zuvor soll er noch ein letztes Album fertiggestellt haben. 

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