EditorialDie organisierte Verantwortungslosigkeit
Alle werfen mit vollen Händen das Geld um sich. Wenns nicht klappt, zahlt der Staat. Das Schweizer Erfolgsmodell ist gefährdet.
Wenns ums Prestige geht, darf es nicht genug kosten. Zwei Milliarden Franken für Neubauten am Unispital, 761 Millionen für den Neubau des Kinderspitals in Zürich und 300 Millionen für 550 Spitalbetten beim Triemli. Und wenn es dann schiefgeht, sind nicht die teuer bezahlten Manager schuld, die in den letzten Jahren überall angestellt wurden, weil die Ärzte angeblich nicht rechnen können, sondern die Umstände. Bezahlen darf der Staat, nicht nur in Zürich, auch im Aargau, in Bern und an vielen anderen Orten. In der Summe geht es um Milliarden, fast so viele wie bei den Banken.
Der Staat hat ja das Geld. Ob Swissair, UBS, die Strombranche, die SBB, die Credit Suisse oder in der Pandemie die halbe Schweizer Wirtschaft: Wer vom Staat Milliarden fordert, bekommt sie. Ein Teil kommt wieder zurück, der andere nicht, niemand scheint es zu kümmern.
Die grosse Gemeinsamkeit bei allen Rettungsübungen: Niemand wird je zur Rechenschaft gezogen. Keiner der hoch bezahlten Manager muss einen wesentlichen Teil des Bonus zurückzahlen. Weder im halbstaatlichen Gesundheitswesen noch in der staatsnahen Strombranche, auch nicht bei den privaten Unternehmen, die gerettet werden mussten.
Gemeinsam ist auch, dass den staatlichen Rettungsaktionen Jahre vorangingen, in denen auf zu grossem Fuss gelebt und viel mehr Geld ausgegeben wurde, als reinkam. Ob beim Gesundheitswesen, das selbst ohne Protzbauten schlicht unterfinanziert ist. Oder dem Strom, der lange zu billig war. Und erst recht bei den Banken, wo es die Credit Suisse während 10 Jahren schaffte, 3,2 Milliarden Franken zu verlieren, aber 32 Milliarden für Boni zu bezahlen.
Das Lohnsystem, das da seit der Jahrtausendwende für die Topmanager eingeführt wurde, ist wesentlich mitverantwortlich für diese Misere. Alle haben gesehen, wie die grössten Versager bei der Swissair Millionen verdienten. Alle haben gesehen, wie Marcel Ospel und Lukas Mühlemann sich einen Wettlauf lieferten, wer zuerst 20 Millionen Franken pro Jahr verdient. Beide haben es ans Ziel geschafft, die UBS und die CS wurden ruiniert und dann vom Staat gerettet. Und trotzdem wurden sie zu Vorbildern, denn seither wollen alle Millionen verdienen. Nicht nur die Banker, sondern auch die CEOs in der Pharma und der Industrie, die Chefärzte und die Chefs der grossen Staatsbetriebe.
Vor elf Jahren war die Schweiz nach all den Skandalen reif für eine kleine Revolution. Mit 68 Prozent wurde die Abzockerinitiative angenommen. Wenigstens bei den grössten Privatfirmen sollten die Eigentümer darüber abstimmen können, wie viel die Chefs verdienen, und es wurde Transparenz geschaffen, wer wie viel kassiert. Auch beim Staat und bei den Krankenkassen gibt es seither viel mehr Durchblick.
Doch was hat es gebracht? Doppelt so dicke Geschäftsberichte, die niemand liest, in denen seitenlang superkomplizierte Lohnsysteme erklärt werden. Findige Buchhalter haben herausgefunden, wie man verschleiert, wie viel effektiv kassiert wird.
Natürlich merken die Leute trotzdem, was gespielt wird. Und darum geschieht, was der FDP-Parteipräsident Thierry Burkart beklagt: «Die gierigen Manager sind die Totengräber unserer liberalen Wirtschaftsordnung, weil sie mit ihren überrissenen Löhnen das Vertrauen der Bevölkerung zerstören.» Richtig ist: Erst verschwand das Vertrauen in die FDP, weil sie zu lange genau diese Manager verteidigt hat – und dann das Vertrauen in die liberale Wirtschaftsordnung.
Wer hört schon noch auf Wirtschaftsvertreter, die bei den Staatsausgaben Mässigung einfordern. Die gegen eine 13. AHV-Rente sind oder gegen die jetzt geforderte Deckelung der Krankenkassenbeiträge. Wasser predigen und Wein trinken, das sagte man früher den «Pfaffen» nach – und glaubte ihnen nicht mehr. Heute gilt dasselbe für die Wirtschaftsführer. Wen wunderts?
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