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Symphoniekonzert von Sophie Hunger
Dramen für die ganz grosse Leinwand 

Kein Fremdeln zwischen den Welten: Sophie Hunger mit dem BSO im Casino Bern.
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Das erste Drama spielt sich schon ganz zu Beginn dieses Konzerts ab. Man hat mit John Adams’ «Short Ride in a Fast Machine» eine Fanfare zum Intro erkoren, die klingt wie der Vorspann eines Films, in dem Unheil, Fiasko und Nervenkitzel in forschem Drall durch die Handlung wirbeln. Da hat der Minimal-Musiker ein derartiges Maximum an Suspense und Bombast aufs Notenblatt gebannt, dass die Ahnung aufkommt, dieser Abend könnte die versammelte Zuhörerschaft noch zünftig aus dem seelischen Gleichgewicht hebeln. 

Doch ganz so zerzaust wie befürchtet wird das Berner Casino nach dem symphonischen Konzert der Sophie Hunger niemand verlassen. Eher beglückt, bereichert und vergnügt.

Wenn es gerade so etwas wie einen Minitrend im Feld der Popmusik gibt, dann ist es das Turteln mit den klassischen Grossorchestern. Black Sea Dahu hat sich kürzlich das Filmorchester Babelsberg angelächelt, Gleiches tun die 80s-Popper von Alphaville. Culture Club bandelte mit dem BBC Philharmonic Orchestra an, Jaël mit dem Variaton-Orchester, Robbie Williams veröffentlichte unlängst ein Disco-Symphony-Album – und nun kommt also Sophie Hunger mit dem Berner Symphonieorchester um die Ecke.

Wird dieser nicht ganz so wendige musikalische Grossapparat die Sophie Hunger erdrücken und in der Entfaltung hemmen, fragten sich Bedenkenträger im Vorfeld. 

Ein orchestraler Liederabend, der mit Vorfreude, aber auch mit ein bisschen Skepsis erwartet worden war. Denn diese Sophie Hunger – Geburtsort Bern, aufgewachsen in London, Bonn, Teheran und Zürich – verdankt ihre europaweite Erfolgskarriere nicht dem blossen Talent zum einwandfreien Liederschreiben. Nein, in ihrer Musik knirscht stets eine mulmige Unberechenbarkeit, eine friedliche und doch unheilschwangere destruktive Energie, eine Unbekannte, die jeden Song in der Liveumsetzung zum Abenteuer macht. Wird dieser nicht ganz so wendige musikalische Grossapparat die Sophie Hunger also erdrücken und in der Entfaltung hemmen, fragten sich Bedenkenträger im Vorfeld. 

Er tut es nur bedingt, so viel sei vorweggenommen. Und wenn es in der Musik so etwas wie eine Kosten-Nutzen-Aufstellung gäbe, dann darf man dieses Konzert getrost ganz weit in der Gewinnzone verbuchen. 

Cineastisches Klangbild

«Über ds Chrüz» heisst die im Jahrestakt stattfindende Programmreihe im Casino, für die Berner Musikhoheiten und das örtliche Symphonieorchester zur Zusammenarbeit animiert werden. Lo & Leduc waren schon da, ebenso der Blueser Philipp Fankhauser. Das Ergebnis war jedes Mal ein apartes Scharwenzeln zwischen Popkultur und Klassik, bei gleichzeitigem – nie ganz zu überwindendem – Fremdeln. 

Ein Effekt, der sich zwischen Sophie Hunger und dem BSO nicht einstellt, obwohl die Hauptdarstellerin bald erwähnt, dass es sich hier um einen Versuch handle, zwei vollkommen unterschiedliche Welten zu vereinen. Die Erklärung, warum das an diesem Abend so staunenswert klappt, liefert sie gleich mit: Weil letztlich eben doch alle beide das gleiche wollten. Dieses gemeinsame Ganze hat ein Mann arrangiert, der in solchen Dingen zur internationalen Kapazität avanciert ist: Jochen Neuffer hat schon Leute wie Gregory Porter, Moses Sumney, Robbie Williams oder Bryan Ferry ins Symphonische bugsiert, nun dirigiert er das BSO und Sophie Hunger zum Triumph.

Er tut dies in fast schon cineastischer Pracht. Die Bässe sind tief, die Kesselpauken brausen auf, Streicher und Bläser legieren nicht bloss, sondern bestimmen den Spannungsbogen. Es ist, als habe ein Dramaturg das Seelenleben dieser Lieder neu ausgemessen. «1983» weitet sich zu swingender Big-Band-Opulenz, die im Original dem Synthie-Pop verpflichteten «Let It Come Down» und «There Is Still Pain Left» gedeihen zu zeitlosen Hymnen. Einiges erinnert entfernt an die Hochblüte des Trip-Hop, als sich Bands wie Portishead oder Ragga & The Jack Magic Orchestra dem klassischen Pomp zuwandten. 

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Doch Sophie Hungers Band hat sich nicht unters BSO gemischt, um einfach ihr Ding mit Orchesterbegleitung durchzuziehen. Sie geht auf den neuen Klangkörper ein, umschmeichelt und bereichert ihn, wie beispielsweise der Tastenmann und Flügelhornist Alexis Anérilles, der mal subtil begleitet, mal elektronisch untermalt, mal geschmackssichere Soli einstreut. Und all dies wird vom Young-Gods-Tontechniker Bertrand Siffert zu einem detailreichen und wuchtigen Klangbild vermengt.

In aller Regel steht und fällt dieses Pop-meets-Classic-Ding bekanntlich mit dem Schlagzeuger. Wie viele desolate Fusionsversuche sind überliefert, in denen sich der Pop in Form von biederen Durchschnitts-Beats über das Orchestrale stülpte, als gelte es, das Geschehen auch für den gemeinen Hitradiohörer nachvollziehbar zu gestalten. Sophie Hungers Schlagzeuger Alberto Malo umgeht diese Falle ziemlich (aber nicht immer) souverän, indem er öfter ins Perkussive abgleitet, gar nicht spielt oder krautrockig-repetitiv agiert. 

Ein Leben voller Dramen

Dass an diesem Abend nicht bloss an der Oberfläche gekratzt wird, zeigt sich auch in der Auswahl der Fremdkompositionen, die ins Set eingeflochten werden. Da findet sich das Stück «D’un matin de printemps» der viel zu selten aufgeführten Lili Boulanger. Eine Komponistin, die bereits mit 24 Jahren nach einem Leben voller Krankheiten und Todesfurcht starb und ein Oeuvre von äusserst schwerblütigem Wesen hinterliess. Sophie Hunger hat sich für ihre letzte Komposition entschieden, die Lili Boulanger kurz vor ihrem Tod 1918 schrieb und den bewegenden Versuch unternahm, etwas Bezauberndes und Fröhliches in die Welt zu setzen, was ihr nur bruchstückhaft gelang.

Und dann ist da das zarte «Avec le temps» des Franzosen Léo Ferré, das Sophie Hunger im Stil einer ganz grossen Chansonnière orchestral dahintupft. Sie spielt diese Ode an die Vergänglichkeit mit Stil statt Pathos, voller Ehrfurcht statt unnötiger Originalität. Und so ist schon allein diese gloriose Interpretation das ganze Unterfangen wert. 

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Das grösste Problem dieser Fusion sei gewesen, dass sie habe lernen müssen, zuverlässig zu sein, sagt Sophie Hunger einmal während des Konzerts. Sie, die an ihren Liedern immer wieder kleine Änderungen vornimmt, damit sie wieder etwas für sie empfindet, sei gezwungen gewesen, sich dem Diktat der Noten zu unterwerfen. 

Und wenn man denn nach diesem grossartigen und gebührend bejubelten Abend unbedingt etwas zum Nachtrauern finden möchte, dann war es vielleicht dieser fehlende Ausbruch aus den Schemen und aus dem Bedeutungsschwangeren. Doch das ist, als wolle man einem anbetungswürdigen Kunstwerk den Sockel madig reden, auf dem es steht. Die orchestrale Sophie Hunger dürfte bald auf dem Programm so einiger grosser Konzerthäuser Europas stehen.

Sophie Hunger und das BSO sind noch bis Sonntag, 21. Mai, im Casino Bern zu sehen.