Die Revolution kann auch im Restaurant beginnen
Die 1.-Mai-Feier von Gewerkschaften und SP fand dieses Jahr im «Bären» statt. Nationalrätin Claudia Friedl forderte wirksame Massnahmen, damit Arbeitslose mit 55 nicht auf der «Müllhalde der neoliberalen Wirtschaft» landen.
Petrus ist kein Linker. Draussen schrumpeln die roten Ballone traurig vor sich hin, drinnen sitzen an die vierzig Genossinnen und Genossen dicht gedrängt an langen Tischen. «Jetzt haben wir uns das ganze Jahr über Mühe gegeben und anständig gelebt, aber das Wetter ist wieder gleich schlecht wie letztes Jahr», scherzt Kantonsrat Sepp Kofler. Damals musste die traditionelle 1.-Mai-Feier auf dem Fischmarktplatz wegen Kälte und Regen abgesagt werden. Gestern verlegten die Organisatoren den Anlass rechtzeitig ins warme und trockene Restaurant.
In leuchtendes Rot gekleidet sitzt Claudia Friedl zwischen den vorwiegend älteren SP- und Gewerkschaftsmitgliedern. Die 56-jährige Umweltnaturwissenschafterin und Nationalrätin ist die Festrednerin. Es ist ihr zweiter Anlauf in Rapperswil-Jona. Friedl hätte schon vor einem Jahr die Ansprache halten sollen.
Zunächst erinnert Daniela Meyer, Präsidentin der SP See-Gaster, ans Motto des diesjährigen 1. Mai: Sozialer und gerechter für alle soll die Zukunft werden. «Unsere Anliegen sind und bleiben wichtig», sagt Meyer und verweist auf die gegenwärtigen Diskussionen um die Pensionskassengelder für die St. Galler Kantonsangestellten. Auch das Energiegesetz, über das demnächst abgestimmt wird, passt für Meyer gut zum 1. Mai. «Wir müssen mit unserer Umwelt und mit den nächsten Generationen solidarisch sein.»
Absage ans Rentenalter 67
Warum am Tag der Arbeit im Kanton St. Gallen gearbeitet werde, wisse sie nicht, sagt SP-Nationalrätin Claudia Friedl einleitend. Arbeit sei aber für jeden Menschen wichtig. Weil sie keine Arbeit hätten, verliessen Millionen unfreiwillig ihre Heimat. Auch in der Schweiz machen sich laut Friedl viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sorgen um ihren Job. Vor allem für Menschen jenseits der 50, die ihre Stelle verlieren, sei die Situation alles andere als einfach.
«Mit 55 auf der Müllhalde der neoliberalen Wirtschaft zu landen, diese Aussicht ist beklemmend.» Friedl fordert einen besseren Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter, das Recht auf Weiterbildung und eine Stellenmeldepflicht, wie sie mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative jetzt eingeführt werden soll. Und sie verurteilt Wirtschaftsverbände und bürgerliche Politiker, die das Rentenalter 67 fordern, als Arbeitgeber aber niemanden einstellen, der die 50 überschritten hat.
Auch Junge machen sich Sorgen um ihre Renten. «Für uns gibt es dereinst sowieso keine Rente mehr» – diese Aussage höre sie oft, sagt Friedl. Doch solcher Fatalismus sei fehl am Platz. «Wir, die Gesellschaft, bestimmen, wie das Rentensystem aussehen soll.» Gerade die Rentenreform 2020 habe gezeigt, dass die Linke Verbesserungen erreichen könne. Die Erhöhung der AHV-Renten für Neurentner um 70 Franken mache das Rentensystem sozialer und gerechter und sei ein Bekenntnis zum Sozialwerk.
Ein Hauch Klassenkampf
Friedl spricht weiter zur internationalen Solidarität, zur Verantwortung der Schweiz in der Aussenwirtschaftspolitik und kommt zum Schluss auf die Erfolge der Linken in den letzten Monaten zu sprechen. Allen voran die Ablehnung der Unternehmenssteuerreform. Der Auftrag der Bevölkerung sei klar: «Schluss mit den Steuerschlaumeiereien auf dem Buckel der normalen Leute.»
Da weht plötzlich ein Hauch Klassenkampf durch den «Bären». Ein paar junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, «direkt aus Zürich», zieht es an die Wärme. Sie sei für ihren Ortswechsel von den Zürcher Kollegen zwar als Verräterin gescholten worden, berichtet eine junge Frau. Und es ist nicht ganz klar, ob damit die st. gallische Provinz oder das warme Restaurant gemeint ist. Das sei ihr egal, schliesslich sei sie seit sechs Uhr morgens für die Revolution auf den Beinen.
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