Die Rad-Dominatorin tritt abSie kennt das Rezept zum Glücklichsein
Annemiek van Vleuten prägte den Radsport der letzten zehn Jahre. Sie feierte grosse Siege, erlebte fürchterliche Stürze, kämpfte und litt – und fand dabei das Glück im Leben.
Sie gewann vier Weltmeistertitel, wurde Olympiasiegerin. Sie gewann die Grands Tours, gewann die Klassiker. Ja, die Frau hat so viel gewonnen, dass es bei Wikipedia einen eigenen Eintrag gibt, der alle ihre Erfolge auflistet.
Annemiek van Vleuten hat den Frauenradsport der vergangenen zehn Jahre geprägt. Sie tat es nicht nur mit ihren Siegen. Es waren vor allem die Geschichten, die sie dabei schrieb.
Zum Beispiel im Olympiarennen von Rio 2016. Van Vleuten griff an und stürzte fürchterlich in der Abfahrt, hing verrenkt über dem Randstein. Ihre Mutter erzählte ihr später: «Ich dachte, du seist tot.» Van Vleuten erlitt Knochenabsplitterungen an der Lendenwirbelsäule und eine schwere Gehirnerschütterung. Einen Monat später gewann sie die Belgien-Tour.
Sie fuhr 100 km trotz Knochenbruch
Bei der Tour de France 2017, die für die Frauen damals nur eine Etappe lang war, setzte sie sich fünf Kilometer vor dem Ziel ab und gewann solo. Als das Feld der Männer einige Stunden später den gleichen Anstieg hochkletterte, unterboten lediglich zwei der Profifahrer ihre Zeit.
An der Weltmeisterschaft 2018 stürzte sie, stieg aber wieder aufs Rad und wurde am Ende abgeschlagen Siebte. Später zeigte eine MRI-Untersuchung, dass sie die letzten 100 Kilometer mit einem gebrochenen Schienbeinkopf gefahren war.
«Ich hasse es, zu leiden», sagt Van Vleuten. «Aber ich bin gut darin.»
Der Beginn der Karriere von Annemiek van Vleuten ähnelt denen vieler Profiradfahrerinnen. 1982 im niederländischen Vleuten geboren, fuhr die kleine Annemiek mit dem Velo zur Schule. Mit acht begann sie, die Zeit zu messen, die sie für den Kilometer brauchte. Sie schaute sich die Tour de France im Fernsehen an, aber ihre Leidenschaft war der Fussball. Als ihr mit 23 das Kreuzband riss, setzte sie sich aufs Velo. Zu dieser Zeit studierte sie Epidemiologie, ihre Mitstudenten kannten sie vor allem als Party-Tier. Als sie ihnen erzählte, dass sie einem Amateurteam beitrete, glaubten sie ihr zuerst nicht.
Doch Van Vleuten log nicht. Und als sie ein Jahr später einen Leistungstest machte, erzielte sie gleiche Werte wie die Frauen im Nationalteam. Da dachte sie: «Hey, ich kann das!» 2010 kündigte sie ihren Job als Projektmitarbeiterin, der sie nur unglücklich machte, und wurde Profi. 800 Dollar verdiente sie im Monat.
Sie hat den Wandel mitgeprägt
Seither hat sich vieles getan im Frauenradsport. Van Vleuten hat den Wandel miterlebt. Und mitgeprägt. Sie setzte sich für professionelle Strukturen und höhere Preisgelder ein.
Die Jahre im Profisport haben aber auch sie geprägt. Als junge Fahrerin waren für sie die Zahlen das Wichtigste. Trainingsdaten, Resultate, der volle Fokus lag darauf – und setzte sie enorm unter Druck. Van Vleuten merkte bald, dass nicht nur die Leistungsdaten eine perfekte Athletin ausmachen. Bei ihrer Arbeit mit Mentaltrainern verinnerlichte sie zwei Regeln:
Sie konzentriert sich auf das, was sie beeinflussen kann. Van Vleuten sagt: «Ich halte mich nicht mit Dingen auf, die ich nicht kontrollieren kann.» Ihr Mantra lautet: Akzeptieren, adaptieren, weitermachen. «Und das macht dich zu einem glücklicheren Menschen.»
Eine gute Balance im Leben ist wichtig. Van Vleuten sagt: «Ich bin mit meinem Rad verheiratet», aber die meisten ihrer Freunde haben nichts mit dem Radsport am Hut. Sie geht gern tauchen, schaut Fussballspiele ihres Lieblingsclubs Twente Enschede, liest historische Romane und spielt fürs Leben gern «Die Siedler von Catan».
Sie hat nun mehr Zeit dafür. Seit einigen Tagen ist Annemiek van Vleuten nicht mehr Profiradfahrerin. Ende August hat sie ihre letzte Rundfahrt gewonnen. Nun ist sie zurückgetreten. Es war ihr wichtig, das selbst zu entscheiden. Und nicht von ihrem Körper dazu gezwungen zu werden.
Und jetzt? Die 40-Jährige hat viele Ideen. Viele drehen sich darum, jungen Fahrerinnen und Fahrern zu helfen. «Eine der Lektionen, die ich gelernt habe, ist: Wenn du dich darin verbeisst, perfekt zu sein, bist du nicht sehr glücklich.»
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