Mujinga Kambundjis VerletzungssorgenIhre Füsse schmerzen immer wieder – und sie kann nichts dagegen tun
Die Sprint-Rekordhalterin laboriert seit Monaten an einer Sehnenentzündung, trotzdem startet sie am Freitag an der Athletissima in die Saison. Mit ein wenig Balsam für den Kopf.
Zwischen ihnen ist ein Meter, doch zwischen ihnen liegen derzeit Welten. Marie-Josée Ta Lou sitzt da an der Pressekonferenz der Athletissima, erzählt und gibt schnell zu, dass sie in Bestform ist. Die Sprinterin von der Elfenbeinküste hat in dieser Saison schon zehn Rennen bestritten, momentan ist sie die schnellste Frau des Jahres (10,75 Sekunden). Für sie aber viel wichtiger: Erst einmal war sie schneller über 100 m, im vergangenen Sommer, und nur minim. Marie-Josée Ta Lou ist 34 Jahre alt und: je älter, desto schneller.
Das ist für Mujinga Kambundji, die daneben sitzt und ihr zuhört, wohl das Versöhnlichste in ihrer jetzigen Situation: Sie ist seit kurzem 31, sie kann ihre besten Jahre also noch vor sich haben. Was Ta Lou erzählt, ist Balsam für ihren Kopf. Denn die Tonalität bei der Schweizer Rekordsprinterin (10,89) ist gerade eine andere: Sie hat schwierige Monate hinter sich, eine Entzündung in der Sehnenplatte an der Fussuntersohle zwang sie bereits im April zu Alternativtraining, im Mai verschob sie ihren Saisonstart.
Ihr Verzicht auf die Rennen über 200 m und die Staffel sind auch eine Investition in die Zukunft.
Mit einiger Verspätung holt Kambundji diesen also am Freitag über 100 m nach, trotz allem soll auch ihre Saison in der WM im August in Budapest gipfeln. Es wird ein Sprint ins Ungewisse. «Ich freue mich sehr, bin nervös, wie sonst auch, weiss aber nicht, wo ich stehe», sagt sie. Ihr Verzicht auf Rennen über 200 m und mit der Staffel, den sie jüngst kommuniziert hat, ist auch eine Art Investition in die Zukunft. «Ich hoffe, nächstes Jahr wieder überall antreten zu können.» Und nächstes Jahr heisst auch: Olympische Spiele in Paris, EM in Rom – welche Erinnerungen an Tokio und München und magische Nächte.
Kambundjis Beschwerden sind nicht urplötzlich aufgetreten. Sie sagt: «Die Füsse waren schon immer mein Knackpunkt.» Bereits 2017 klagte sie über Beschwerden, es gab Zeiten, da machten ihr die Achillessehnen zu schaffen. Ende 2020 führte ein Misstritt im Training zu einem Mittelfussbruch rechts, jetzt ist es seit einiger Zeit die Plantarfaszie im linken Fuss, die sie bremst. «Ich hatte schon im vergangenen Herbst nach der Pause Schmerzen, sie zogen sich in die Hallensaison hinein, doch ich hatte sie im Griff», sagt sie. Erst als das Training danach intensiver wurde, wurden sie wieder stärker.
«Es gibt kein Rezept, man ist immer am Basteln»
Die Ursache dafür kennt sie nicht, sie glaubt, dass wohl verschiedene Faktoren dazu beigetragen haben. «Einer ist vielleicht, dass ich im Winter immer wieder auf anderen Belägen unterwegs war.»
Trotz ihrer Motivation, endlich zu starten, kann sie einen gewissen Frust nicht verbergen. «Beim Bruch wusste ich genau: Ich brauche sechs bis acht Wochen für die Heilung, dann kommt der Aufbau. Bei dieser Entzündung gab und gibt es kein Rezept», sagt sie. Da habe sie von Tag zu Tag spüren müssen, was guttut, «einen Weg, den man gehen kann, gibt es nicht. Man ist die ganze Zeit am Basteln.» Eine Eigenbluttherapie im Frühling hat ihre volle Wirkung verfehlt, andere Massnahmen haben die Schmerzen jedoch abklingen lassen. Bis sie wieder mit Speed in die Kurve und daraus heraus sprintete.
«Bei der Sehne muss man jeden Tag spüren, wie belastbar sie ist, das ist das Schwierige», sagt sie. Mehrere Belastungstests hätten ergeben, dass sich die Schmerzen nur gerade beim dosierten Geradeauslaufen kontrollieren liessen. Deshalb keine 200 m und auch keine Staffel, bei der sie mehrheitlich die Kurve gelaufen ist.
Einen Verzicht auf die ganze Saison hat sich die 200-m-Europameisterin «überlegt, aber nein!», sagt sie bestimmt. «Ich wollte jetzt unbedingt einsteigen, manche Trainings waren auch gut.» Kambundji hat die Arbeit auf der Bahn jedoch drastisch reduziert, «auf zwei Laufeinheiten, der Rest war Alternativtraining», sagt sie. Das Ziel sei gewesen, zumindest die Schlüsseltrainings zu absolvieren.
Nicht die Zeit zählt, sondern wie sauber der Lauf war
Und nun ist sie also da, einigermassen in Ungewissheit und inmitten von Sprinterinnen, die ihren Anfangsrost, den wohl jeder Saisonstart mit sich bringt, längst verloren haben. Kambundji hat sich kein Ziel gesetzt, was die Zeit betrifft. Mindestens so wichtig ist ihr, ob sie technisch sauber laufen kann. Unter den gegebenen Umständen eine hohe Anforderung. Das Rennen auf der Pontaise wird darüber entscheiden, wie sie mit ihrem Trainer und Lebenspartner Florian Clivaz die kommenden Wochen bis zur WM plant.
Für Kambundji wird es eine Saison auf Zusehen hin werden – nach einem Jahr, das praller kaum hätte ausfallen können: Hallenwelt- und Europameisterin, EM-Gold und -Silber und zwei Schweizer Rekorde. Die Bernerin hat mit ihrer Erfahrung und ihrer Klasse in den vergangenen Jahren jeden Knackpunkt im Fuss gemeistert und ist stärker zurückgekommen. Sie weiss das.
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