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Töff-Fabrik in Oberrieden
Die Easy Riders vom Zürichsee

Bruno Rusconi (rechts) mit seiner Universal B40-SV in der Werkstatt des Mechanikers Albert Frick in Horgen.
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Bruno Rusconi war als Primarschüler mittags immer pünktlich zu Hause. Er wollte es sich nicht entgehen lassen, wie der Nachbar mit seinem schwarz glänzenden Töff an seinem Elternhaus vorbeiratterte. «Der arbeitete unten im Scheller in der Töff-Fabrik», wusste Rusconi schon damals. Und er wusste noch etwas: Irgendwann würde er auch so eine Maschine fahren.

Dass Benzin durch seine Adern fliesst, machte sich bei Rusconi also schon früh bemerkbar. Es ist nicht anders zu erklären, weshalb ihn das schwarze Motorrad mit der Weltkugel auf dem Tank so faszinierte. Ein Luxusgut, das war es damals, im Oberrieden der 1950er-Jahre, nämlich nicht. Es sprach wenig dafür, auf zwei Rädern über die Pflastersteine auf der Seestrasse zu holpern oder den Staub der Strassen zu schlucken, die sich durch die Dörfer schlängelten. Einen Töff kaufte sich, wer sich kein Auto leisten konnte. Und Universal – die Fabrik «unten im Scheller» – verkaufte ihre Gefährte schon ab wenigen Tausend Franken.

In den goldenen Nachkriegsjahren gab es Universal-Vertretungen auf der ganzen Welt.

Umzug in den Hangar

Unweit von den Rusconis wohnte der Mann, der diese Motorräder überhaupt erst nach Oberrieden gebracht hatte: der Tessiner Ingenieur Antonio Vedova. Dieser hatte 1928 im Alter von 30 Jahren bei der Maschinenfabrik im luzernischen Willisau begonnen, wo seine beiden Chefs seit einigen Jahren an einem motorisierten Velo tüftelten. Den jungen Vedova, der seine mechanischen Fertigkeiten in einer Autofabrik in Paris erlernt hatte, holten sie aus einem ganz bestimmten Grund ins Boot: In Willisau wollte man die qualmende Welt der leistungsschwachen Zweitaktmotoren verlassen. Vedovas Ziel, den schnellsten und besten Töff der Welt zu bauen, kam da gerade recht.

Schon die ersten Modelle – konventionelle Einzylindermaschinen nach englischem Vorbild und aus eingekauften Teilen – verkauften sich unter dem Namen Universal. Das Geschäft nahm Fahrt auf und trotzte der Wirtschaftskrise von 1929. Ein paar Jahre später wurden die Räumlichkeiten in Willisau zu klein, und Vedova, der die Firma inzwischen übernommen hatte, zog 1936 mit Belegschaft und Familie nach Oberrieden. Am See stand die optimale Produktionsstätte bereit: diejenige von Alfred Comte, der hier fast 15 Jahre lang Flugzeuge gebaut und an die Armeen der Welt verkauft hatte. Der Tessiner Ingenieur Vedova beschäftigte in seinem kleinen Werk 30 Mitarbeitende.

Der Bubentraum wird wahr

Zurück zu Bruno Rusconis Kindheitstraum. 40 Jahre nachdem er aus dem Küchenfenster den Nachbarn auf dessen Universal beobachtet hatte, war es endlich so weit: Im St. Gallischen hatte er einen Universal-Besitzer ausfindig gemacht, der seine Maschine verkaufte. «Ihm gefiel meine Idee, den Töff nach Oberrieden an seinen Ursprungsort zurückzuholen», sagt Rusconi. 3000 Franken musste er für die Universal B40-SV, Jahrgang 1951, hinblättern. Weil das Motorrad einige Jahre unbenutzt in der Garage gestanden hatte, kam nochmals der gleiche Betrag in Form von Restaurationskosten hinzu. Für diese Arbeiten kannte der gelernte Maschinenzeichner Rusconi genau den richtigen Mann: den Feuerwehrkollegen Albert Frick, der bis 2019 das letzte Zweiradfachgeschäft in Oberrieden führte.

Frick kümmert sich seither um die Universal, wenn es etwas zu flicken gibt. Das ist selten der Fall – der Töff läuft auch nach 70 Jahren einwandfrei. Auf dem Sattel des Motorrads, das derzeit in seiner kleinen Werkstatt in Horgen steht, faltet er jetzt ein Lederbündel auseinander. Werkzeug, ein paar ölige Schraubenschlüssel. «Das reicht, um den ganzen Töff auseinanderzunehmen», sagt Frick. Mit wenigen Handumdrehungen lasse sich ein Rad wechseln – viel einfacher als bei einer modernen Maschine. Die ideale Bauweise also, um das Portemonnaie der Arbeiter zu schonen, die sich eine Universal kauften.

Alle sechs Jahre hat der Oldtimer, der gemäss Auflagen nicht mehr als 2000 Kilometer pro Jahr abspulen darf und dessen Kilometerzähler lediglich etwas über 47’000 anzeigt, einen Termin beim Strassenverkehrsamt. Im Juni muss Frick den Töff wieder vorführen. Viel Arbeit erwartet ihn deshalb aber nicht: «Ausser den spröden Reifen ist alles wie neu.»

Motoren für die Achsenmächte

Für den jungen Patron Vedova war schon in den 1930ern klar: Um seine Vision zu verfolgen, den schnellsten und besten Töff der Welt zu bauen, musste Universal im Rennsport mitmischen. Also stellte er mit finanzieller Unterstützung des früheren Chefs ein hochkarätiges und erfolgreiches Rennteam zusammen. Die Teilnahme an der gefährlichen Tourist Trophy auf der Isle of Man verschaffte dem kleinen Motorradwerk internationale Aufmerksamkeit. Später traten zwei bekannte Horgner im Universal-Seitenwagengespann an: Hans Taveri und dessen Bruder Luigi, der spätere mehrfache Weltmeister. Bei einem Rasenrennen in der Zürcher Allmend zogen die Brüder auf ihrer Universal-Maschine problemlos an der internationalen Konkurrenz vorbei.

Der Krieg setzte dem Rennvergnügen und dem marktgetriebenen Schaffen ein zwischenzeitliches Ende. Stahl, Gummi, Chrom, Kupfer und Benzin waren plötzlich nur noch beschränkt verfügbar. Dafür brachte der Krieg Aufträge auf Bundesebene ein. Universal entwickelte für die Schweizer Armee diverse Motorräder, darunter die A1000, ein Seitenwagengespann mit charakteristischem Ersatzrad vorne auf dem Beiwagen.

Schweizer Soldaten gegen Kriegsende auf der Universal A1000.

Auch fürs Ausland sollen in der Werkstatt der Universal in Oberrieden zur Kriegszeit Motoren produziert worden sein. In einem Fachbuch erinnert sich der ehemalige Chefmechaniker, wie die Belegschaft 50 Motoren für Kühlgeräte baute, welche die Achsenmächte auf dem Afrikafeldzug in Libyen benötigten. «Da es für Hitler-Deutschland war, musste man es geheim halten», wird er zitiert. Die Universal war damit nicht allein, wie der Bericht der Bergier-Kommission längst gezeigt hat: Zwischen 1941 und 1944 gingen 81 Prozent aller Schweizer Exporte von Stahl- und Eisenwaren, 68 Prozent der Waffen und 65 Prozent der elektrischen Ausrüstungen für Fahrzeuge nach Deutschland.

Nach dem Krieg setzten die Polizeikorps in Zürich, Luzern und der Waadt auf Universal-Motorräder. Bei dem Grossauftrag hatte das Oberriedner Werk den Konkurrenten BMW ausgestochen – angeblich unter vollem Körpereinsatz des genannten Chefmechanikers, der während der Vorführung bei 100 km/h einen Handstand auf der Universal vollführt haben soll, um deren stabile Fahreigenschaften zu demonstrieren.

Die Stadtpolizei von Lausanne setzte nach dem Zweiten Weltkrieg auf Universal-Maschinen.

Mit dem Oldtimer durch Frankfurt

Solche Geschwindigkeiten fordert Bruno Rusconi seiner Universal heute kaum mehr ab. Mindestens einmal im Jahr unternimmt er zusammen mit Gleichgesinnten eine mehrtägige Tour – immer über Landstrassen, nie auf der Autobahn. Meist geht es für die Nostalgiebiker in Richtung Norden nach Deutschland. Hamburg, Bremen, Köln, Nürnberg – alles schon gesehen. Beim letztjährigen Treffen knatterten die Freunde vom Zürichsee auf ihren Maschinen zwischen Hochhäusern durch die Frankfurter Innenstadt. Steppenwolfs «Born to Be Wild» im Hintergrund und es wäre der Trailer eines Hollywoodfilms.

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Apropos: Als der Film «Easy Rider» mit Peter Fonda und Dennis Hopper 1969 das Freiheitsgefühl der Biker zelebrierte, war in der Fabrik in Oberrieden schon seit einigen Jahren kein Töff mehr gebaut worden. Die Motorradindustrie in der Schweiz hatte in der Zwischenzeit mächtige Konkurrenz bekommen. Das Auto war für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich geworden und brachte erst noch den Komfort mit sich, den Elementen nicht wie auf dem Motorrad ausgesetzt zu sein.

Einige Motorradhersteller setzten jetzt auf Kleinstwagen wie den BMW Isetta. Nicht so Universal. In Oberrieden und später in Schübelbach produzierte die Firma unter der Führung von Vedovas Sohn Orlando bis zur Schliessung Ende der 90er motorisierte Gerätschaften wie Rasenmäher, Kettensägen und industrielle Staubsauger.

Eine Lieferung für die SBB: Abfall- und Laubsauger vor der Fabrik in Oberrieden in den 1960ern.

Erfolgreich war die Firma auch damit. Das gleiche Prestige wie der Bau von Motorrädern brachte das Rasenmähergeschäft aber kaum mit sich. Und so sind es Menschen wie Bruno Rusconi, die das Resultat von Vedovas Vision der weltbesten Motorräder in die Gegenwart überführt haben. Und in die Zukunft, denn: «Meine Universal überlebt mich», ist sich Rusconi sicher. Wer seinen Töff dereinst bekommen solle, das wisse er noch nicht. Es ist aber gut möglich, dass sich in ein paar Jahren ein Nachbarskind bei ihm meldet, das ihn jeden Frühling vom Küchenfenster aus beobachtet, wenn er seinen Oldtimer wieder aus der Garage holt.