Konzert im MetaverseDer VIP-Türsteher sagt: «Noooo!»
Der Zürcher Rapper Didi trat als erster Schweizer live auf einer virtuellen Plattform auf. Wir waren unter den Besuchern.
Er ist immer für ein Experiment bereit: Während der Pandemie trat der Zürcher Rapper Didi mal auf einem Balkon auf, mal gab er ein Showcase in einer Badi, mal organisierte er ein Hybridkonzert, das ein kleiner Kreis live und ein grösseres Publikum auf Tiktok verfolgen konnte. Gute Gesten, innovative Ansätze.
Jetzt betritt der 30-Jährige Neuland, indem er als erster Schweizer ein Konzert im Metaverse gibt, einer künstlichen (Spiele-)Welt, in der man Grundstücke bebauen, NFT-Kunstwerke erwerben oder eben Konzerte veranstalten und besuchen kann.
Auf der Plattform Decentraland stieg bereits im letzten Oktober das erste virtuelle Musikfestival. Hier tritt nun auch Didi auf. Seine Premiere – und mein Erstversuch im Metaverse.
18.40 Uhr. Noch zwanzig Minuten bis Konzertbeginn. Rasch ein automatisches Tutorial. Dann versuche ich, meinen Gast-Avatar über die Laptop-Tastatur zu steuern. Die Location hat links einen Ausblick ins Freie mit Palmen. Rechts eine dekorierte Wand mit breitnasigen Tieren – halb Mäuse, halb Einhörner. Vorne die noch dunkle Leinwand. Unter mir ein blinkender Dancefloor.
18.50 Uhr. Absturz. Neustart. Ohne dass ich es will, fange ich an zu tanzen. Wie gehen noch mal die Tastaturbefehle? Ich versuche was, man könnte ja zum Beispiel jemandem winken. Stattdessen werfe ich mit fiktivem Geld um mich. Oha. Zum Glück sind erst wenige Leute da. Tastaturbefehle aufschreiben.
19.00 Uhr. «Wo isch de Didi?», fragt jemand im Chat. «Backstage.» Soll man jetzt virtuell schmunzeln? Dann blitzt in Gelb eine Schrift über den ganzen Bildschirm: «XY is in the house.» Muss wohl jemand mit Erfahrung und Prestige sein. Andere Gäste hängen an der Decke. Wie macht man das?
19.15 Uhr. «Rapper haben immer Verspätung», maunzt einer im Chat. Unterdessen stimmen violett-blaue Wellen auf der Leinwand vorne auf das Kommende ein.
19.20 Uhr. Ein bärtiger junger Mensch erscheint auf der Leinwand. Didis Sidekick für den Sound schräubelt an seiner Anlage.
19.25 Uhr. Ein Countdown: 3, 2, 1, Didi.
19.30 Uhr. Der Rapper performt vor rauschenden Wellen – aber nicht etwa als Avatar, sondern ganz real. Dann spricht er englisch und deutsch zu seinen Avataren, also zu uns. Die Crowd antwortet auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Recht universell hier.
19.31 Uhr. Absturz. Als ich wieder online bin, sehe ich oben bei den breitnasigen Einhörnern Leute tanzen. Muss der VIP-Bereich sein. Sollte ich …? Ich stolpere mit meinem holpernden Avatar zum entsprechend angeschriebenen Durchgang. Doch der Türsteher sagt: «Noooo!» Fast wie im richtigen Leben.
19.40 Uhr. Didi performt einen seiner jüngsten Hits «Nazar». Angenehm poppig mit nachdenklichen Lyrics. «Us düschter wird blau, wenn die Wulche weg sind.» Klingt nach Covid-Komposition, ein leiser Nachhall zu vertaner Lebenszeit. Ob die internationale Crowd das versteht? Der Rapper bleibt zweisprachig, wichtig sei ihm das Feeling.
Einer vollführt einen halben Salto und schwebt im Publikum. Wie zum Teufel macht man das?
19.45 Uhr. Didi sagt, er lese die Comments im Chat. Rappen und lesen gleichzeitig? «Drücked d’Leertaschte, denn springed er», feuerte er die Menge an. Ich drücke auf Taste 2 und springe mit der Menge auf und ab. Einer vollführt einen halben Salto und schwebt im Publikum. Wie zum Teufel macht man das?
19.50 Uhr. «Wie wärs mit einem Moshpit?», fragt Didi. Himmel, hilf!
19.55 Uhr. «Wenn isch Happy Hour?», fragt jemand im Chat. Ein Avatar mit brennenden Engelsflügeln rauscht an mir vorbei. Didi ist beeindruckt. Ein anderer hat eine Katze im Rucksack. Erneuter Absturz.
20.00 Uhr. Wir sind wieder on – aber schleppend. Aufbau, Aufbau … Fast wie in der Frühphase des Internets. Und wo ist Didi? Jemand schreibt, die Show sei vorbei. Schade. Vielleicht hat er noch was gesagt, aber … Tröstlich, dass auch andere hier mit Ton- und Bildproblemen kämpfen.
20.10 Uhr. Auf dem Dancefloor läuft jetzt Funk. Man könnte die Nacht durchtanzen, rein virtuell. Ob mein Gast-Avatar das auch tut, weiss ich nicht. Mein reales Ich meldet sich jetzt ab.
Ist das Metaverse das Ding der Zukunft?
Die virtuellen Parallelwelten boomen. Kürzlich hat Adidas auf «The Sandbox» für 1,7 Millionen Dollar Land erworben, Snoop Dogg hat sich für eine halbe Million eine Villa gebaut, von Sotheby’s gibts inzwischen eine Dependance in «Decentraland». Das Metaverse scheint eine Goldgrube für all jene zu sein, die an die digitale Zukunft glauben.
Viele dieser virtuellen Welten haben allerdings noch Schwächen. Der visuelle Auftritt von «Decentraland» scheint noch etwas holprig, die Anwendung zu kompliziert.
Ist das Metaverse wirklich das nächste grosse Ding? Mark Zuckerberg, der kürzlich sein eigenes Metaverse vorstellte und seinen Facebook-Konzern in Meta umbenannte, ist davon überzeugt. Er will Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) so kombinieren, dass Menschen als Avatare künftig gemeinsam arbeiten, spielen und miteinander kommunizieren. Eine Zukunft ohne Grenzen, wie es scheint. Oder doch nur ein Hype, der einige wenige reich macht und mehr schadet als nützt?
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