AboFilmemacherin über die Sackler-Familie «Der Mensch ist zu unsagbarer Grausamkeit fähig»
Die Künstlerin Nan Goldin verlor ihre Schwester, dann wurde sie abhängig von Opioiden. Regisseurin Laura Poitras porträtiert ihren Kampf gegen die Oxycodon-Hersteller-Familie Sackler. Ein Gespräch über Sucht, Macht und Gier.
Am Nachmittag des 10. März 2018 befanden sich unter den Besuchern des Metropolitan Museum in New York etwa einhundert Personen, deren Agenda eine andere war als Kunstgenuss. Unter ihnen: die berühmte Fotografin Nan Goldin. Gegen 16 Uhr hatte sich die Gruppe komplett im Sackler-Flügel des Museums versammelt, der altägyptische Statuen und Bauwerke zeigt. Dort rollten sie Plakate aus und warfen Pillendosen in den Wassergraben, der die Museumsbesucher vom Tempel von Dendur trennt. Bald trieben Hunderte Plastikbehälter auf der Wasseroberfläche, während Nan Goldin in ein Megafon Parolen wie «Sacklers lie – thousands die» rief, die von der Gruppe wiederholt wurden.
Dies war die erste Aktion der Aktivistengruppe P.A.I.N., 2017 von Nan Goldin gegründet (kurz für: Prescription Addiction Intervention Now). Ihr Ziel: den Namen Sackler aus kulturellen Institutionen zu verbannen und Museen wie den Louvre, die Tate Gallery und das Met Museum davon abzubringen, weiter Geld von den Sacklers anzunehmen, die sich als Mäzene der Künste inszenieren – und mit ihrer Pharmafirma Purdue mitverantwortlich für die Opioid-Krise in den USA sind. Gegen besseres Wissen vermarkteten sie das abhängig machende Schmerzmittel Oxycontin als harmlos, wie sie es zuvor schon mit Valium gemacht hatten. Seit 1999 starben in den USA mehr als 500’000 Menschen an einer Überdosis, Covid-19 verstärkte die Krise noch einmal: Über 110’000 Tote waren es allein 2022.
Mit verwackelten Bildern der Aktion im Met Museum beginnt «All the Beauty and the Bloodshed», der neue Dokumentarfilm von Laura Poitras, der am Donnerstag startet und bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen gewann.