Analyse zur PhilanthropieDer grosse Fehler des Bill Gates
Der Unternehmer und Philantrop hat in Afrika viel Gutes bewirkt – aber die globale Ungleichheit hat er nie infrage gestellt. Das rächt sich in der Pandemie.
Die Idee kam ihnen auf einem Strandspaziergang in Tansania. Melinda und Bill Gates waren in Afrika herumgereist, hatten die Armut gesehen und wollten helfen. So wie viele erfolgreiche Unternehmer seltsamerweise fast nie die Idee haben, in Afrika das zu tun, was sie auch sonst tun, nämlich Unternehmer zu sein und Arbeitsplätze zu schaffen. Nein, das Ehepaar Gates wollte Medikamente verteilen, besser und effektiver, wollte Afrika helfen und vielleicht auch sich selbst. Gates war damals ein nicht sehr beliebter Monopolist, dessen Firma Microsoft Kartellverfahren am Hals hatte.
Heute ist das Ehepaar in Scheidung und Ziel von Verschwörungsmärchen, die sie als Erfinder des Coronavirus sehen, als Weltherrscher oder beides. Letztlich hat ihre Stiftung aber sehr viel Gutes bewirkt, hat Millionen Menschen das Leben gerettet. Es ist also einerseits eine Erfolgsgeschichte, die mit der Scheidung der beiden wohl nicht zu Ende geht, aber vielleicht einen Wendepunkt erreicht.
Das Ehepaar hat dafür gesorgt, dass die Entwicklung von Impfstoffen wieder attraktiv wurde für die Pharmaindustrie
In 20 Jahren hat die Stiftung etwa 60 Milliarden Dollar vergeben, trug massgeblich zum Erfolg im Kampf gegen Aids und Polio bei und zur Erforschung eines Malaria-Impfstoffes. Das Ehepaar hat dafür gesorgt, dass die Entwicklung von Impfstoffen wieder attraktiv wurde für die Pharmaindustrie, die in den armen Ländern oft keinen Profit sah. Gates hat aber nie probiert, die Produktion von Impfstoffen im grösseren Stil nach Afrika zu verlagern. Das will die EU nun versuchen – beim Weltgesundheitsgipfel in Rom am Freitag soll die Hilfe beschlossen werden. Die Staatengemeinschaft will nun richten, was Gates nicht geschafft hat.
Sein Geld und seine Ideen haben das Ehepaar zu den mächtigsten Menschen im Weltgesundheitssystem gemacht, deren Entscheidungen erstaunlich wenig hinterfragt wurden. Was wohl auch daran lag, dass vieles der Öffentlichkeit zu kompliziert erschien und manche derjenigen, die sich auskannten, entweder schon für ein Gates-Projekt arbeiteten oder es sich mit dem Paar nicht verderben wollten. In Afrika und anderen ärmeren Regionen sponsert Gates die Berichterstattung von Medien über Gesundheitsthemen, ohne Vorgaben zu machen. Aber beteiligte Journalisten wussten genau, was nicht gefragt war: Kritik an der Gates-Stiftung.
Ist Gates immer noch das, was er früher bei Microsoft war, ein Monopolist? Mittlerweile wird öfter danach gefragt, wie die Stiftung zu ihren Entscheidungen kommt, die über das Schicksal von Millionen Menschen bestimmen – vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, wo gerade mal 1 Prozent der Bevölkerung eine vollständige Corona-Impfung erhalten hat, während in den USA, in Israel und auch in Europa die Planungen für den Sommerurlaub beginnen. Die Idee von Gates, über die Covax-Initiative der WHO 20 Prozent der Bevölkerung in den ärmeren Ländern zu impfen und den Rest dem Markt zu überlassen, ist bisher gescheitert. Der Markt interessiert sich zuerst für die Reichen.
Gates hat zwar viele Milliarden ausgegeben im Kampf gegen die Pandemie, er hat aber seit Beginn auch andere Ansätze verhindert. Lasst uns alle Forschungsergebnisse und Ideen teilen, schlugen viele vor. Gates war schon als Microsoft-Chef gegen den Open-Source-Ansatz, der sein Monopol bedrohte. Jetzt sagte er, forschende Pharma-Unternehmen bräuchten die Gewinne als Anreiz. Dabei wird leicht vergessen, dass die Erforschung mehrerer Impfstoffe hauptsächlich mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde.
Es liegt eine bittere Ironie darin, dass der ärmste Teil der Welt auf jene Handvoll Superreiche angewiesen ist.
Mehr als 100 Länder von Südafrika bis Indien sprachen sich für die Aufhebung des Patentschutzes auf Impfstoffe aus. Das würde gar nichts bringen, entgegnete Gates patzig. «Es ist ja nicht so, als würden irgendwo ungenutzte Fabriken herumstehen.» Was zu der Frage führt, warum eigentlich nicht? Warum gibt es in Afrika keine einzige Fabrik, die die Impfstoffe selbst herstellen kann, die Gates verteilen lässt? Wegen der Unfähigkeit vieler Regierungen, ja. Es liegt aber auch daran, dass Gates und andere Helfer nie grundsätzlich das globale Ungleichgewicht infrage stellen – die ungerechten Handelsbedingungen für arme Länder, die Überschwemmung mit Billigprodukten, die Ausbeutung der Rohstoffe. Für Gates richtet alles der Markt, und wenn der versagt, dann hilft Gates eben nach.
Es liegt eine bittere Ironie darin, dass der ärmste Teil der Welt auf jene Handvoll Superreiche angewiesen ist, die auch deshalb so reich sind, weil sie den Einfluss haben, die Regeln und Steuersätze zu ihren Gunsten zu verändern. «Wir haben keine Wahl, was für einen Impfstoff wir gerne hätten», sagte Ecuadors Gesundheitsminister. «Es ist der, den sie uns aufdrängen.» Die Geschichte werde ihr Urteil fällen, sagen afrikanische Aktivisten und Wissenschaftler über Gates und dessen Haltung zum Patentschutz. Vor einigen Tagen erklärte die Stiftung, man sei nun doch einverstanden mit einer zeitweisen Aufhebung. Eine neue Zeit scheint zu beginnen.
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