«Xinjiang Police Files»Datenleck liefert neue Beweise für Internierung von Uiguren in China
Anordnung zur Erschiessung von fliehenden Gefangenen, Bilder von Häftlingen auf Folterstühlen: Ein Datenleak beinhaltet belastende Fotos, Reden und Behördenweisungen aus Xinjiang.
Ein internationales Medienkonsortium hat kurz vor dem Besuch der UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet in Xinjiang unter dem Namen «Xinjiang Police Files» weitere Belege für die massenhafte Internierung von Uiguren in China veröffentlicht. Fotos, Reden und Behördenweisungen bewiesen, dass es sich bei den Lagern nicht wie von der chinesischen Regierung behauptet um «berufliche Fortbildungseinrichtungen» handele, erklärten der an der Recherche beteiligte Bayerische Rundfunk und «Spiegel» am Dienstag.
So finde sich in dem Datensatz eine bislang unbekannte Rede des ehemaligen Parteichefs der Region Xinjiang aus dem Jahr 2017, in der es heisst, jeder Gefangene, der auch nur versuche, ein paar Schritte weit zu entkommen, sei «zu erschiessen». Auf Bildern seien Sicherheitskräfte mit Sturmgewehren zu sehen. Ein Foto zeige zudem einen Häftling in einem sogenannten Tigerstuhl – einer Foltervorrichtung, bei der die Beine überdehnt werden.
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Die chinesische Botschaft in den USA erklärte demnach, die Massnahmen in Xinjiang richteten sich gegen terroristische Bestrebungen, es gehe nicht um «Menschenrechte oder eine Religion».
Der Datensatz wurde der Mitteilung zufolge dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt. Dieser ist in den USA ein bekannter China-Forscher, der schon früh auf die mutmasslichen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hinwies und 2021 von Peking mit Sanktionen belegt wurde. Er teilte die Daten mit insgesamt 14 westlichen Medien.
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Der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu China, Reinhard Bütikofer, forderte BR und «Spiegel» gegenüber neue Sanktionen gegen China. Die «Bilder des Grauens» müssten dazu führen, dass die Europäische Union klar Stellung beziehe.
Peking streitet alles ab
Die kommunistische Führung in Peking hat seit Jahren religiöse und kulturelle Praktiken sowie die Sprache der Uiguren im Visier. Die Regierung rechtfertigt das harte Vorgehen damit, Terrorismus ausmerzen und die Wirtschaft der armen Region ankurbeln zu wollen.
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Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts». Die Uiguren stellen mit rund zwölf Millionen Menschen etwa die Hälfte der Einwohner Xinjiangs.
Recherchen zufolge haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handele sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge.
Berichte von Folter
Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung. Wachleute kontrollieren die Lager mithilfe von Tränengas, Elektroschockpistolen und mit Nägeln versehenen Knüppeln, wie aus Regierungsdokumenten hervorgeht, welche die Nachrichtenagentur AFP im Jahr 2018 einsehen konnte. Demnach werden zudem Stacheldraht und Infrarotkameras eingesetzt.
Eine Reihe von durchgesickerten Regierungsdaten gewährten in den vergangenen Jahren Einsichten in Pekings Internierungsstrategie. So führt etwa ein von David Tobin von der Sheffield University erlangtes Handbuch für Regierungsmitarbeiter in der Region aus dem Jahr 2016 detailliert Verhörmethoden auf.
Zwangsarbeit für bekannte Weltmarken
China wird zudem vorgeworfen mit seinen «Arbeitstransfer»-Programmen Uiguren für die Herstellung von Exportartikeln, insbesondere Textilien, auszunutzen. Peking behauptet, die Initiativen würden mit gut bezahlten Jobs für die ländliche Bevölkerung helfen, die Armut zu bekämpfen.
Recherchen deuten jedoch darauf hin, dass die Behörden im Zusammenhang mit den Internierungslagern zehntausende Menschen systematisch zur Arbeit auf Feldern und in Fabriken genötigt haben. Laut einem Bericht des Australischen Instituts für Strategische Studien (ASPI) aus dem Jahr 2020 ist Zwangsarbeit bereits in Schlüsselindustrien wie Autobau, Smartphone- und Solarzellenproduktion angekommen. Darunter seien auch bekannte Weltmarken.
Rätsel um Geburtenrückgang
Zu Pekings Strategie in Xinjiang gehören nach Angaben von Wissenschaftlern und Menschenrechtsanwälten auch harte Zwangsmassnahmen zur Geburtenkontrolle. Demnach wird seit 2017 mit Sterilisierungen und dem Einsetzen von Spiralen versucht, die Geburtenrate ethnischer Minderheiten drastisch zu reduzieren.
China hingegen führt den Rückgang der Geburten auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Veränderung sozialer Werte in der Region zurück.
In einigen Fällen ist Pekings Vorgehen in Xinjiang deutlich sichtbar. Laut ASPI wurden infolge von Regierungsmassnahmen seit 2017 rund 16.000 und damit etwa zwei Drittel aller Moscheen in der Region zerstört oder beschädigt.
Bei einer Reise in die Region im Jahr 2019 besuchten AFP-Reporter mehrere heilige Stätten, die abgerissen oder umfunktioniert worden waren. Städte waren übersät von Kameras und Kontrollpunkten der Polizei.
Uiguren behaupten zudem, dass sie staatlichem Druck ausgesetzt sind, ihre eigene Sprache nicht zu sprechen und islamische Bräuche aufzugeben. Dazu gehört etwa das Beten oder das Tragen langer Bärte.
AFP/sep
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