Krieg und Klimawandel im JemenDas Weltkulturerbe zerbröselt im Regen
Sanaa, die Hauptstadt des Jemen, leidet schwer unter dem Krieg, aber auch unter immer heftigeren Gewittern. Die bis zu 1000 Jahre alten Lehmhäuser zerbröckeln einfach.
Wenn Maged Tameh an seinem Haus in der Altstadt von Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, hinaufblickt, schaut er direkt in sein früheres Schlafzimmer. Zwei Nischen in der weiss getünchten Wand, davor stand das Bett. Die Holzbalken, weiss verspachtelt, darüber Reisig, das die Decken jahrhundertelang getragen hatte. Doch im August hat die Fassade nachgegeben, die tragende Mauer stürzte in die Strasse vor dem Haus.
Das Unheil hatte sich lange angekündigt, sagt Maged Tameh. Der Regen hat das Haus dann letztlich zum Einsturz gebracht. Wasser tropfte von der Decke, quoll aus den Ritzen. Er hat seine Familie in Sicherheit bringen können und das Hab und Gut, das ihnen geblieben ist. Ein paar Möbel, Kochgeschirr, Kleidung. Doch das Haus, in dem er geboren wurde, wie schon sein Vater und davor dessen Vater – es ist zerstört. Ob er es je wieder aufbauen kann, weiss Maged Tameh nicht. Wochen nach dem Unglück liegt ein Haufen aus Lehm und Ziegeln noch immer auf der Strasse, dazwischen Plastikplanen, mit denen er vergeblich versucht hatte, den drohenden Kollaps doch noch zu verhindern.
Die Gewitter werden immer heftiger
Die lebkuchenbraunen Turmhäuser aus Lehm mit den charakteristischen weissen Ornamenten in der Stadt haben die Jahrhunderte überdauert. Doch die verheerende Kombination aus Klimawandel und Krieg könnten das als Weltkulturerbe eingestufte Ensemble von 6000 Gebäuden unwiederbringlich zerstören, ein einmaliges Juwel früher islamischer Architektur.
Die heftigsten Regenfälle seit Jahrzehnten haben im Juli und August vier Häuser komplett zerstört, wie Aqeel Saleh Nasari von der Denkmalbehörde sagt. Bei mehr als 100 seien die Dächer teilweise oder ganz eingebrochen. Bei vielen weiteren Häusern müsse schnell eingegriffen und renoviert werden, um zu verhindern, dass sie bei weiteren Gewitterstürmen oder spätestens in der nächsten Regenzeit zusammenbrechen.
Der Klimawandel verschärft im Jemen wie auch in anderen Ländern auf der Arabischen Halbinsel die Wetterextreme. Mehr als 170 Menschen sind landesweit durch Überflutungen in diesem Sommer gestorben, Tausende wurden obdachlos. Sanaa, in einem Talkessel gelegen, bekommt wegen der nahe gelegenen Berge, die bis auf 3600 Meter ansteigen, schon immer in der Regenzeit reichlich Niederschlag ab – ein Segen in dem Land, das unter akutem Wassermangel leidet. Seit Jahren aber ergiessen sich immer stärkere Gewitter über die Hauptstadt, was regelmässig zu Überflutungen führt. Den gestampften Lehm der bis zu 1000 Jahre alten Häuser weichen die Fluten auf. In den engen Gassen der Altstadt stand das Wasser knietief, was die Fundamente der Häuser ins Rutschen bringt.
Risse in den Wänden sind bei als Wohnhäusern genützten Türmen unverkennbare Anzeichen statischer Probleme. Bei vier von fünf Häusern sind die Fundamente ohnehin schadhaft, weil ihnen Feuchtigkeit, Salz und Mikroorganismen zu schaffen machen. «Irgendwann stürzen sie einfach unter ihrem eigenen Gewicht ein», sagte der damalige Generalkonservator der Altstadt, Naji Thowabeh, schon vor fünf Jahren. «Und wenn eines fällt, dann sind die anderen auch nicht mehr stabil.» Denn die Häuser sind in vielen der Strässchen dicht an dicht gebaut.
Detonationen reissen Fenster aus Rahmen
Dazu kommt natürlich der Krieg. Die Raketen und Bomben der von Saudiarabien geführten Militärkoalition haben zwar nur selten direkt die Altstadt getroffen. Die Druckwellen der Detonationen in den nahe gelegenen Bergen, wo die aufständischen Huthi-Milizen verbunkerte Stützpunkte der Armee übernommen haben, liessen aber die Altstadt beben, rissen Fenster aus den Rahmen. Gerade erst haben die Huthis Raketen auf Ziele in Saudiarabien gefeuert, nach Monaten der Ruhe warfen dann Jets wieder Bomben über Sanaa ab.
Der nun seit mehr als sechs Jahren andauernde Konflikt hat aber noch andere gravierende Folgen: Die Häuser gehören in ihrer ganz grossen Mehrheit alteingesessenen Familien. Zwar fanden manche moderne Betongebäude praktischer und zogen weg. Die meisten Bewohner aber pflegten die jahrhundertealten Bauwerke mit Stolz, betrachteten sie als Familienerbe wie auch als Zeugnis jemenitischer Kultur. Doch den meisten ist längst das Geld ausgegangen, um die nötigen Reparaturen zu machen. Sie haben ihre Arbeit und ihr Einkommen verloren, und viele haben auch ihr gesamtes Vermögen aufgebraucht. Kundige Handwerker sind immer schwerer zu finden. Und vom Staat, zumal der von den Huthis geführten, international nicht anerkannten Regierung, haben die Menschen nichts zu erwarten.
Einer der Bewohner der Altstadt sagte: «Die Regierung hat nicht mal das Geld für die Löhne, wie soll sie dann für die Reparatur der Häuser zahlen?» Und auch den Hilfsorganisationen fehlt selbst das Geld für die Lebensmittelhilfe, auf die mehr als 20 Millionen Jemeniten zum Überleben angewiesen sind. Dazu kommen steigende Preise. Einige Geschäftsleute sammeln Spenden für Plastikplanen, um zumindest einige der Dächer abzudecken und die Schäden durch den Regen zu begrenzen.
Normalerweise endet die Regenzeit Ende September. Aber normal ist im Jemen schon seit Jahren nichts mehr.
Aqeel Saleh Nasari von der Denkmalbehörde appelliert an die Unesco, schnell einzugreifen und die Altstadt zu bewahren. Doch die Zusammenarbeit mit den Huthis ist für internationale Organisationen extrem schwierig. Zum einen sind sie verpflichtet, mit der international anerkannten Regierung von Präsident Abd Rabbuh Mansur al-Hadi zusammenzuarbeiten, die sich grossteils im Exil in saudischen Riad befindet. Zum anderen wollen die Huthis bei der Verteilung von Geldern mitbestimmen, behindern Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit. Auch haben sie viele Experten aus der Regierung durch eigene Leute ersetzt, die politisch linientreu sind. Bewohner der Altstadt berichten von Korruption, das Geld versickere und werde abgezweigt.
Maged Tameh kann es sich nicht leisten, das Haus wieder aufzubauen. Er will das Baumaterial so gut wie möglich retten. Einige historisch besonders wertvolle Häuser sind originalgetreu wieder aufgebaut worden, darunter eines, dass bei einem saudischen Luftangriff zerstört worden war. Doch solange der Krieg tobt und die Regenfälle andauern, ist daran nicht zu denken. Normalerweise endet die Regenzeit Ende September. Aber normal ist im Jemen schon seit Jahren nichts mehr.
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