Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Das neue Album von Sirens Of Lesbos
«Diese Band ist eine Geldvernichtungsmaschine»

«Wir wollen Popmusik machen, die nicht dumm ist»: Sirens Of Lesbos mit Arci Friede (rechts).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Dass die Musik der Berner Gruppe Sirens Of Lesbos nicht so einfach einzuordnen ist, offenbart schon der Beipackzettel zu ihrem neuen Album: Dieses klinge «wie ein Musik-gewordener Sonnenkegel im Auge des Sturms», steht da geschrieben. Und dann hört man sich dieses Werk mit dem sympathischen Namen «Peace» an, fahndet nach Sturm und Sonne und findet nichts dergleichen. Eher eine gemütliche Lounge-Liege unter einer locker beschattenden Pergola – und der Barkeeper bringt laufend interessante Drinks vorbei, die einem das Bewusstsein auf nie zuvor erprobte Art irritieren. 

Es gibt derzeit nicht viele Schweizer Bands, die ihre Musik dermassen gross denken, die so welt- und stilgewandt mit dem Zeitgeist flirten wie dieses Quintett aus Bern. Mit ihrem – nennen wir es mal – elektronischen Soul-’n’-Brain-Pop sind Sirens Of Lesbos zu regelrechten Darlings des europäischen Hipstertums herangewachsen. Ihr kürzlich erschienenes zweites Album wurde wiederholt auf BBC 6 Music und dem kalifornischen Sender KCRW gespielt, Songs werden über Spotify-Playlists mit Namen wie «Feelgood Indie» oder «Poolside Grooves» in die Welt getragen, monatlich hören sich fast 300’000 Menschen ihre Musik auf Spotify an, und fashionable Geschmacksverstärker wie Gilles Peterson sind bekennende Fans.

Und wer derart im Fokus steht, der kann es sich auch leisten, die Welt zu sich ins Studio zu holen. Fürs neue Werk stehen Figuren auf der Gästeliste wie die Funk-Hoheit Bootsy Collins, der New Yorker Rapper Erick The Architect oder der Sons-of-Kemet-Wortpoet Joshua Idehen. 

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Normalerweise steckt hinter solchen Welteroberungs-Aktivitäten die PR-Abteilung einer grossen Plattenfirma. Im Falle von Sirens of Lesbos ist die Werbeabteilung gleich in die Band integriert. Der Projektleiter, Songtexter und Mitproduzent heisst Arci Friede und reibt sich an einem sonnigen Nachmittag in der Berner Matte gerade den Schlaf einer durchwachten Nacht aus den Augen (die Schlaf-Kaprizen der kleinen Tochter seien schuld daran). Der 42-Jährige führt im richtigen Leben zusammen mit Denise Häberli die Agentur Intr, die sich auf Branding und Konzeptentwicklung spezialisiert hat und bekannte Grossunternehmen und öffentliche Verwaltungen zu ihren Kunden zählt. Denise Häberli ist gleichzeitig die künstlerische Direktorin der Band und ist deshalb – als fünftes Gruppenmitglied – auch auf den Bandfotos von Sirens Of Lesbos zugegen.

Business und Leidenschaft

Den Begriff «Projektmanager» hat Arci Friede selber gewählt. Irgendwann spricht er auch von einem Musik-KMU, von Strategien, von Income- und Verlustabwägungen. Gerade bei Letzteren gerät er kurz ins Grübeln. «Ich habe einmal ausgerechnet, dass wir jährlich zwei Millionen Umsatz generieren müssten, damit das Projekt Sirens Of Lesbos sämtliche Arbeiten und Aufwendungen gedeckt bekäme und die Involvierten unter einigermassen normalen Bedingungen arbeiteten.» Dann macht er eine kurze Pause, rechnet vermutlich noch etwas weiter und fügt schmunzelnd an: «Sirens Of Lesbos ist also durchaus eine Geldvernichtungsmaschine.»

Doch wenn das Gespräch auf die Musik fällt, dann blitzt sie hinter seinen müden Augen auf, die euphorische Flanke dieses Mannes. Er, der den grössten Teil seines bisherigen Lebens ebendieser Musik gewidmet hat, der die Berner Clubs Wasserwerk und Bonsoir leitete, der neue Partykonzepte für Veranstalter erfand und lange als eine Art Zeitgeist-Beauftragter des Berner Nachtlebens galt. 

Sirens Of Lesbos ist die Band, in der sich all seine musikalischen Fantasien ballen, die fortschrittlich denkt, ohne die Musikgeschichte auszuklammern, die Pop-Schemen folgt, ohne berechnend zu klingen. «Wir wollen Popmusik machen, die nicht dumm ist, die die Masse bewegt, aber der man anhört, dass sich da jemand etwas überlegt hat», sagt Arci Friede und erzählt, dass sich im Studio oft zwei Fraktionen bilden würden: «Die eine will die Sache mit der Komplexität und dem Überlegen möglichst weit treiben, die andere plädiert dafür, den Liedern auch mal eine gewisse Einfachheit zuzugestehen.»

Kleine Meisterwerke

Wie diese Binnenspannung klingt, veranschaulicht der Eröffnungstrack des neuen Albums ganz vortrefflich: Der Beat schaukelt im Tempo eines durchschnittlichen Ruhepulses. Mal groovt er mondän, mal klingt er, als werde er aus einem verstaubten Drumcomputer gepresst. Modische Synthies und Orgeln mischen sich ein, eine Harfe zwirbelt ins Geschehen, eine Orgel schafft ein Fundament, um sich gleich wieder zu verflüchtigen. Kein Pattern gleicht dem nächsten, und trotzdem schaffen es die beiden Schwestern Jasmina und Nabyla Serag – die singende Doppelspitze ist auch in den Produktionsprozess involviert –, zusammen mit dem Produzenten Melvyn Buss eine Soul-Nummer zu entfesseln, die so zutraulich daherkommt, dass man mit ihr bald Arm in Arm der Nacht entgegenlustwandelt.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Auch was danach folgt, ist keine leicht verdauliche Kost. Das Album nimmt immer wieder sonderbare Wendungen, es gibt Intermezzi mit schmierigen Saxofon-Einlagen, mal könnte man das Gebotene als zeitgenössischen Soul bezeichnen, mal klingen etwas bräsige Country-Gitarren an, und es gibt eine Neuinterpretation der 90s-Soft-Erotik-Ballade «Sweet Harmony». Und im Lied «Run Run Run», einer Hymne für Menschen auf dem Höhepunkt ihrer Verliebtheit, wie Arci Friede erklärt, schweiss-muffelt es ein bisschen wie im Tanzstudio aus dem Film «Flashdance». Ja, sogar der Yacht Rock feiert auf diesem Album seine Auferstehung, dieser weisse Westküsten-Soul aus den 70s, mit dem Bands wie Doobie Brothers oder Fleetwood Mac die Schnauzträger dieser Welt unterhielten.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Es sind kleine Meisterwerke der Programmierkunst, die hier erschaffen worden sind. Das Album wimmelt nur so von abrupten Stimmungs- und Rhythmuswechseln, die naheliegendste Lösung wird fast schon konsequent nicht angestrebt. Und das Ganze geschieht, ohne dass die Musik ihre Coolness einbüssen würde. Manchmal leidet aber – so ehrlich muss man sein – auch ein bisschen die Sinnlichkeit unter diesem Schaffenswahn. 

Eigentlich beginnt die Bandgeschichte von Sirens Of Lesbos mit einem Witz: In einem Ambiente aus Ernüchterung und Renitenz beschloss die Ur-Zelle bestehend aus Friede, Buss und Jasmina Serag 2014, es mal mit der Hit-Brechstange zu versuchen. Ein Ibiza-Dancehit soll etwas Heiterkeit und Geld ins triste Indiemusiker-Dasein bringen. Das Unterfangen hat – zur Verblüffung aller – Erfolg. Der entstandene Song «Long Days, Hot Nights» ist allein auf Spotify fast 30 Millionen Mal gestreamt worden, hat mit dem heutigen Schaffen der Band indes rein gar nichts mehr zu tun.

Der Hit als Bürde

Womit wir wieder beim Business wären. In der algorithmisierten Musikwelt, in der wir leben, ist der grösste Hit von Sirens Of Lesbos nämlich längst zur Bürde geworden. Ihre Musik wird in den Streamingdiensten nun eben Leuten anempfohlen, deren Lebenssehnsucht eher in spanischen Grossraum-Diskotheken gestillt wird als mit anspruchsvoller Soul-Pop-Musik. «Wir haben uns schon überlegt, den Song deswegen vom Netz zu nehmen», sagt Arci Friede, sichtlich besorgt um das Streaming-Karma der Band. 

Wie hoch hinaus es mit Sirens Of Lesbos gehen wird? Das ist, trotz allen schlauen Strategien, kaum vorherzusagen. Im Moment sind ein internationaler Booker, PR-Agenturen in diversen Ländern, eine Verwertungsagentur in Los Angeles und eine Radio-Promoterin in London daran, das neue Album anzupreisen. Doch für Bands, die alles in Eigenregie ankurbeln und bewirtschaften, ist das Umfeld in den letzten Jahren garstiger geworden. 

Die wahren Gatekeeper zum Glück sind die Kuratoren der Streamingdienste, und die sind für Bands ohne grosse Plattenfirma im Rücken – nach einer grossen Systemumstellung bei Spotify – nicht mehr zu erreichen. «Die grossen und mittleren Labels haben an Macht gewonnen. Auf eine kuratierte Playlist zu kommen, ist heute kaum mehr möglich», sagt Arci Friede und reibt seine müden Augen. «Doch wir werden Wege finden, dass unsere Musik ein Publikum findet. Wir sind von dem, was wir tun, überzeugt.»

Die Entwicklungen der letzten Tage geben ihm recht. Kürzlich spielten Sirens Of Lesbos ein Showcase am Reeperbahn-Festival in Hamburg. Seither vermeldet der Booker in erfreulicher Kadenz neue Auftrittsangebote von englischen und deutschen Clubs und Sommerfestivals. Es dürften also nächstes Jahr noch einige durchwachte Nächte auf die Fünferschaft warten.

Albumtaufe: Freitag, 13.10., 21 Uhr, Dachstock Bern