Neues Album «Brat»Charli XCX ist vielleicht der freiste aller Popstars
Die Hohepriesterin des Hyperpop ist zurück bei Kunst und anderem Starrsinn. Ein Glück. Ihre neue Veröffentlichung dürfte zu den besten des Jahres gehören.
Famoser Kitsch, zunächst. Etwas ätherische, mit Flöten oder anderem Holz verblasene Streicher legen einen sehr weichen Flokati aus, seelenstreichelnd, flauschig. Geraten ein wenig ins Flirren und Schwirren, schrauben sich, ganz leicht nur, Richtung Filmmusik-Lieblichkeit, ein eher gefährliches Terrain. Schwelgen weiter, während Charli XCX, eine stets leicht gen Wahnsinn geneigte Hohepriesterin dessen, was man seit ein paar Jahren Hyperpop nennt, ein sanftes Stakkato in die Lücken näht: «Bad tattoos on leather-tanned skin / Jesus Christ on a plastic sign / Fall in love again and again / Winding roads, doing manual drive».
So säuselt es weiter, während die Streicher bei der Tonart ganz sanft neben die Spur treten und alles also etwas in Unwucht gerät. Und dann, nun, dann verliert dieser Song namens «Everything is Romantic» eben den Verstand.
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Eben war noch «Filmmusik-Lieblichkeit» angezeigt, nun spritzt dieser säurehaltige Beat herein – absolut fiese Hi-Hats und Snare Drums. Die Streicher sind plötzlich wie durch hochelegante Filter gepresst und dann ein paar Takte später abgelöst von einer Autoscooter-blöden Schranz-Techno-Umpfa-Umpfa-Bassdrum. Zwischendrin, also noch bevor das dann in recht wunderbarem Dream House ausschwelgt, klingen die Drums, als würden sie das Reenactment einer «Star Wars»-Endschlacht aufführen.
19 Stile pro Song, jeder noch greller als der vorherige
Die Sängerin, bürgerlich Charlotte Emma Aitchison, geboren 1992 in Cambridge, veröffentlichte 2008 ihre ersten Mixtapes. Erregte etwas Aufmerksamkeit bei Menschen, die Raves in Lagerhäusern veranstalteten. Wurde ein Liebling des, wie man wohl so sagt, «Underground». Landete zusammen mit Icona Pop trotzdem und vielleicht wirklich aus Versehen den Welthit «I Love It». Bekam einen Major Deal, veröffentlichte 2013 das sehr gefeierte «True Romance» und dann noch drei weitere Alben, die von vielen zu Recht sehr innig geliebt, aber dann doch nicht in ganz, ganz grosser Skalierung gekauft wurden. Hatte davon, reine Spekulation, zuletzt womöglich genug. Oder wollte, auch das allerhöchstens Hörensagen, eben zügig ihren Plattenvertrag erfüllen.
Album Nummer fünf jedenfalls, «Crash», war ein «ziemlich archetypisches Pop-Album». Ganz in der «Manier des Musikbusiness». Hat sie selbst dazu gesagt. Um dann eine in diesem Zusammenhang doch sehr interessante Frage zu stellen: «Zerstöre ich hier gerade, was ich mir all die Jahre aufgebaut habe?» Antwort: «Ich weiss es nicht.»
Gegenfrage also: Und wenn schon? Wer vier Alben lang anbetungswürdig starrsinnig gemacht hat, was sie will, darf auch Industrie-Pop machen wollen. Punkt.
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Dies aber trotzdem zur Sicherheit: Aitchisons neues Album – «Brat» heisst es, also «Gör» oder «Bengel» oder irgendein anderer Begriff für eines dieser bedürfnisorientiert erzogenen Saukinder, die überall herumplärren – ist nun die Rückkehr zum Früheren. Zur Kunst oder Wahrhaftigkeit oder dem Echten oder wie auch immer man das mit zu viel Pathos nennen mag. Ein Werk von vehementem Eklektizismus – 19 Stile pro Song, jeder davon noch etwas greller oder anschmiegsamer als der vorherige.
Alles randvoll mit jenem Zauberwahnsinn, der sie immens gross darin gemacht hat, auf keinen Fall zu gross zu werden.
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