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Berner Ärzte mit europäischem Rekord
«Unsere Herzen holen wir grundsätzlich immer selber ab»

Dr. David Reineke, leitender Arzt für Herzchirurgie am Inselspital, lächelt in einem Krankenhausflur. Foto: Christian Pfander.
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Mitte Januar wurde im Berner Inselspital ein Herz transplantiert, das fast zwölf Stunden ausserhalb eines menschlichen Körpers aufbewahrt worden war. Noch nie erhielt in Europa ein Patient ein neues Herz, das länger ausserhalb eines Menschen war.

David Reineke, Leitender Arzt für Herzchirurgie am Inselspital, erzählt, wie er den ereignisreichen Tag erlebt hat.

David Reineke, wie geht es dem Patienten heute mit seinem neuen Herzen?

Diesem Patienten geht es sehr gut. Er wird das Spital in Kürze für die Rehabilitation verlassen.

Wie haben Sie selber diesen Tag erlebt, und wie ist es Ihnen während der Operation ergangen?

Am Vortag habe ich regulär gearbeitet und bin dann zu Hause ins Bett gegangen. Dann kam um drei Uhr nachts plötzlich der Anruf, dass ein geeignetes Spenderorgan zur Verfügung stehe. Man guckt dann erst mal, ob es passt oder nicht.

Nach welchen Kriterien entscheidet man?

Ist es ein Mann oder eine Frau, wie ist die Körpergrösse, und wie war der Mechanismus des Sterbens? Dann ist natürlich die Frage: Wo ist es, und wie geht es dem Spenderorgan? Gerade wenn sich das Organ weit weg befindet, muss es stabil sein, sonst gelingt die Transplantation nicht rechtzeitig.

Und zum Zeitpunkt, als Sie sich für das Herz entschieden haben, wussten Sie bereits, dass es so lange ausserhalb des Körpers aufbewahrt werden muss?

Nein. Wir wussten, dass es mit einem Flugzeug eigentlich innerhalb von eineinhalb Stunden erreicht werden könnte. Dafür hätten wir das Herz auch einfach auf Eis legen können. Aber weil das Wetter schlecht war, sind wir pro Weg knapp acht Stunden Auto gefahren.

Moment. Sie selbst sind gefahren?

Wir haben immer ein Entnahmeteam und ein Implantationsteam. Ich war im Entnahmeteam, das meistens aus zwei Herzchirurgen und zwei Kardiotechnikern, welche die Maschine betreuen, besteht.

Also vier Expertinnen und Experten, die hinten im Auto schauen, dass es dem Herz gut geht, und zusätzlich haben Sie einen Fahrer?

Genau. Der Fahrer wurde dann auch abgelöst.

Und doch ist es bemerkenswert, dass Sie selbst zum Spender fahren, um das Organ zu entnehmen.

Bei anderen Organen wie der Leber wird das schon so gemacht, dass lokale Chirurgen dieses entnehmen. Doch unsere Herzen holen wir grundsätzlich immer selber ab. Es ist extrem wichtig, dass wir wissen, ob die Qualität stimmt, damit wir dann auch dafür geradestehen können.

Zurück zu diesem spezifischen Fall. Sie fuhren um 5.30 Uhr morgens los – und dann?

Wir waren gegen 12.45 Uhr da, hatten um 14 Uhr das Herz entnommen und waren dann um 23.30 Uhr wieder in Bern, und um 1.30 Uhr schlug das Herz schon wieder in unserem Patienten. Es befand sich also knapp zwölf Stunden ausserhalb des Körpers.

Wie konnten Sie das Spenderherz so lange am Leben erhalten?

Dafür kam eine spezielle Box, ein Organ Care System von Transmedics, zum Einsatz. Das ist wie eine Herz-Lungen-Maschine für das Herz ausserhalb des Körpers. Dafür entnehmen wir das Herz eines verstorbenen Patienten und bereiten dieses für die Maschine vor. Darin wird es mit dem Spenderblut durchblutet und fängt an zu schlagen, ohne dass es arbeiten muss. Das Herz befindet sich dann in einem Erholungs-Entspannungs-Zustand. Diese schlagende Phase an der Maschine betrug neun Stunden.

Und während Sie im Auto sitzen und zum Spenderherz schauen, was passiert beim Empfänger im Inselspital?

Der Patient war zu Hause, was in den meisten Fällen so ist. Sobald ein Spenderorgan gefunden wird, rufen wir den Patienten an. Das Team im Inselspital weiss, wann wir mit dem Herz ankommen, und bereitet den Patienten so vor, dass wir synchronisiert arbeiten können. Das heisst, das Herz kommt an, und gleichzeitig beginnt die Operation, sodass wir das Herz aus der Maschine herausnehmen und direkt beim Patienten implantieren können.

Wie muss man sich die Kommunikation zwischen den beiden Teams vorstellen?

Wir haben einen fixen Zeitplan, der wegen möglicher Verspätungen laufend angepasst wird. Bei zwölf Stunden muss man auch mal etwas essen. Und gerade bei instabileren Patienten benötigen wir mehr Zeit für die Operationsvorbereitungen.

Waren Sie mit Blaulicht unterwegs?

Nein. Erschütterungen sind extrem schlecht für das Herz respektive für die Maschine. Deswegen sind wir sehr froh, wenn der Fahrer ausgeglichen und kontrolliert fährt. Wenn das Blut auf eine Seite schwappt, dann pumpt die Pumpe kurz leer. Das ist wie bei einer Vespa, wenn nicht genügend Benzin drin ist und man bergauf fährt. Das Problem gibt es vor allem beim Transport im Auto, doch auch im Helikopter oder im Flugzeug müssen wir schauen, dass wir nicht zu steil fliegen.

Waren Sie bis zum Schluss dabei, oder haben Sie gesagt, «ich mache jetzt Feierabend», als Sie zurück in Bern waren?

Ich habe gesagt: «Ich muss jetzt mal ins Bett.»

David Reineke, leitender Arzt für Herzchirurgie am Inselspital, sitzt mit verschränkten Armen in einem weissen Kittel. Im Hintergrund ein heller Vorhang. Foto von Christian Pfander, Tamedia AG.

Nach diesem Tag sicher nachvollziehbar. Aber kann man in einem solchen Moment überhaupt schlafen?

Ja, sehr tief. Da ist man einfach erschöpft. Und es ist ja auch nicht das erste Mal, dass ich das mache. Irgendwann muss man sich auch selbst schützen.

Was geht eigentlich in einem vor, wenn man ein menschliches Herz in der Hand hält?

Man ist fasziniert. Es ist ein Organ, das so viel leistet und so perfekt konstruiert ist, dass wir noch immer keine ebenbürtige Alternative gefunden haben, es zu ersetzen.

Was bedeuten die Fortschritte der Transplantations­medizin für Patientinnen und Patienten?

Vielen Patientinnen und Patienten können wir eine kürzere Verweildauer auf der Warteliste in Aussicht stellen, auch wenn dies je nach Blutgruppe sehr unterschiedlich sein kann. Als Folge haben wir unsere Strategien in der Behandlung angepasst. Wir setzen nun seltener auf mechanische Herzersatzverfahren, da wir schneller mit einem Spenderherz rechnen können. Für die Patienten ist das natürlich viel weniger belastend.