Bekommt DJ Bobo jetzt auch Geld vom Bundesrat?
Die Kulturbranche erhält 280 Millionen, damit sie Corona überlebt. Diesen Riesenbatzen zu verteilen, wird kompliziert. Dazu Pro-Helvetia-Chef Philippe Bischof.
Die Kulturschaffenden waren in der Schweiz die ersten, welche von der Corona-Krise frontal getroffen wurden. Nun sind sie auch die ersten, für die ein relativ ausgeklügeltes Hilfspaket geschnürt wird. 280 Millionen stellt der Bundesrat als Hilfe in Aussicht. Pro Helvetia und das Bundesamt für Kultur (BAK) haben die Hilfsmassnahmen innert sechs Tagen erarbeitet. Philippe Bischof, der Direktor von Pro Helvetia, war Mitglied der Konzeptgruppe. Wir haben ihm die drängendsten Fragen gestellt:
Wer ist genau gemeint, wenn vom Kultursektor gesprochen wird? Ist es die ganze Kreativindustrie, zu der auch die Medien, Musikschulen oder die Game-Produzenten zählen?
Die Hilfe wird Kulturunternehmen und nur selbstständigen, professionellen Kulturschaffenden zugutekommen. Dazu gehören explizit nicht gewinnorientierte Unternehmen wie Agenturen, Verlage oder Hallenbetreiber. Diese werden – wenn nötig – Hilfe beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beantragen müssen. Ausgenommen sind auch der Bereich Architektur oder staatliche Dienststellen wie beispielsweise gewisse Museen.
Wie sieht es mit Tontechnikern oder Bühnenarbeitern aus?
Die sind in diesem Hilfspaket eingeschlossen.
Laienkultur, wie Chöre oder Freilichtbühnen?
Auf Gesuch können sie Entschädigungen erhalten.
Wie ist die Höhe der Hilfe ermittelt worden?
Das BAK und Pro Helvetia haben auf Basis der Bundesstatistik die Akteure berechnet, zudem hat die Anhörung mit den Verbänden klare Zahlen ergeben. Wir kennen die Kulturszene der Schweiz sehr gut. Wir wissen, wie viele Player es gibt. Der Betrag ist eine Hochrechnung der zu erwartenden Schäden bei den vorhandenen Akteuren.
Wem wird die nicht ganz unknifflige Aufgabe zuteil kommen, diese Gelder zu verteilen?
Bei der Nothilfe für die Kulturschaffenden wird das der Verein Suisseculture Sociale sein. Er betreut bereits einen Fonds für Kulturarbeiterinnen und -arbeiter in sozialen und wirtschaftlichen Notlagen. Bei Nothilfe für Kulturunternehmen und bei Ausfallentschädigungen für Unternehmen und Individuen sind die Kantone zuständig.
Der Verein wird überrannt werden von Gesuchstellern. Praktisch alle Kulturschaffenden haben existenzielle Probleme. Ist dieser kleine Verein dem Ansturm gewachsen?
Er wird möglicherweise personell aufstocken müssen. Es ist ein kompetenter Verein mit guten Strukturen und einer bestehenden Kommission. Pro Helvetia und das BAK werden sicherlich beratend beistehen können.
«Es geht ums Überleben der Kulturschaffenden und -unternehmen in Notlage.»
Wie sieht das praktisch aus? Werden die Kulturschaffenden und Veranstalter Gesuche einreichen müssen, die dann einzeln geprüft werden?
Der Auftrag des Bundesrats war es, zu garantieren, dass der Kultursektor in seiner Vielfalt überleben kann. In der ersten Phase soll also Nothilfe geleistet werden. Es geht ums Überleben der Kulturschaffenden und -unternehmen in Notlage. Wir wollen verhindern, dass die Künstlerinnen und Künstler in die Sozialhilfe abrutschen. Man wird in dieser Phase nicht alle Details eines Gesuchs prüfen können. Es wird ein Steuerauszug des letzten Jahres und eine exakte Beschreibung der Notlage verlangt. Später bei der Ausfallentschädigung muss dies dann verrechnet werden.
Wo setzt man hier die Kriterien an?
Es wird im Ermessen der Kommission liegen, zu beurteilen, wer auf schnelle Hilfe angewiesen ist. Für viele Künstlerinnen und Künstler ist es unmöglich, vorherzusehen, wie gross der Schaden sein wird, da das Ende der Krise vorerst nicht bestimmt werden kann. Es wird also zuerst um die Akuthilfe gehen, in einem zweiten Schritt wird es um die langfristigen Ausfälle gehen. Es soll möglich sein, später ein zweites Gesuch zu stellen, wenn der Schaden besser zu fassen ist.
Es gibt geübte Gesuchsteller unter den Kulturschaffenden. Keine Angst vor Missbrauch?
Nein. Wir setzen auf die Solidarität der Akteure. Und es gibt eine Kommission, die in der Beurteilung von Gesuchen geübt ist.
Im normalen Betrieb gibt es ziemlich klar umrissene Kriterien in der Vergabe von Kulturgeldern. Es geht um Exzellenz, um Innovation, um Eigenständigkeit. Können Sie garantieren, dass in der Vergabe der Hilfsgelder solche Überlegungen auch im Hinterkopf keine Rolle spielen?
Das kann ich garantieren.
Dann werden beispielsweise auch die Büetzer Buebe oder ein DJ Bobo Unterstützung bekommen?
Theoretisch ja. Ich weiss allerdings nicht, wie deren Strukturen und finanziellen Verhältnisse aussehen.
Werden die Hilfsgelder zu gleichen Teilen unter den Kultursparten aufgeteilt?
Erste Evaluationen haben ergeben, dass es die Musik-, die Literatur-, die Tanz- und die Theaterszene besonders stark getroffen hat. Weil hier Tourneen abgesagt werden mussten. In der Literatur ist es auch knifflig: Hier wurden Buchmessen abgesagt, dementsprechend können bis auf weiteres keine neuen Bücher publiziert und keine Lese-Tourneen angebahnt werden. Somit werden sich hier viele Ausfälle erst später abschätzen lassen. In der visuellen Kunst ist die Situation im Moment noch schwierig einzuschätzen.
«Zuerst sind die Notfälle dran, bei denen schneller entschieden wird.»
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die Ausstellung eines Kunstmalers ist abgesagt worden. Wie berechnet man einen solchen Ausfall? Wird da hochgerechnet, wie viele Bilder er zu welchem Preis verkauft hätte?
Da wird man auf Erfahrungswerte zurückgreifen, und es werden minuziösere Nachforschungen angestellt werden müssen. Zuerst sind die Notfälle dran, bei denen schneller entschieden wird.
Doch auch hier ist der Aufwand erheblich. Es müssen ja bei jedem Kulturschaffenden erst die finanziellen Verhältnisse geprüft werden, und man wird abzuklären haben, ob es noch Erwerbe neben der künstlerischen Tätigkeit gibt?
Niemand hat gesagt, dass es einfach wird. Aber kompensiert werden generell nur Ausfälle, die einem professionellen Kulturschaffenden in dessen künstlerischer Tätigkeit erwachsen sind. Und wie gesagt: Die Solidarität ist gross, ich befürchte keinen Missbrauch.
Wenns ums Geld geht, könnte die Solidarität schnell schwinden. Gerade im Musikbereich sind schon Anwälte dabei zu evaluieren, ob Veranstalter rechtlich verpflichtet sind, Gagen an Musiker zu bezahlen, deren Konzerte abgesagt werden mussten.
Deshalb richtet sich dieses Hilfspaket eben nur an die Kulturschaffenden und die nicht gewinnorientierten Kulturunternehmen. Die Agenturen müssen sich an den Wirtschafts-Fonds des Seco wenden. Und grössere Institutionen haben bereits Kurzarbeit eingeführt.
Die Schweiz ist das erste Land, das ein Kultur-Rettungsprogramm präsentiert. Könnte das Modellcharakter haben?
Auch wenn es sicher noch einige Details zu justieren gilt, denke ich, dass es ein gutes Paket ist und eine sehr wertvolle erste Tranche. Es ist die Frucht einer erfreulich speditiven Zusammenarbeit zwischen BAK, Pro Helvetia und den Behörden auf kantonaler und Bundesebene. Ich bin mit dem Resultat fürs Erste zufrieden.
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