Die wichtigsten Fragen beantwortetAustralien sucht fieberhaft nach hoch radioaktiver Kapsel – wie gefährlich ist sie?
In Westaustralien wird ein wenige Millimeter grosser Gegenstand vermisst, Hunderte Kilometer werden nun abgesucht. Wie konnte so etwas passieren? Und was, wenn die Kapsel nicht gefunden wird?
Es ist vergleichbar mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Eine acht mal sechs Millimeter grosse Kapsel ist im Bundesstaat Western Australia auf einer 1400 Kilometer langen Strecke verloren gegangen. Die Kapsel enthält die hoch radioaktive Substanz Cäsium-137, und von ihr geht sowohl Beta- als auch Gammastrahlung aus.
Die Behörden gehen davon aus, dass die Kapsel beim Transport von der Eisenerzmine nach Malaga, einem Vorort von Perth, entlang des Great Northern Highway und im Zeitraum zwischen dem 12. und 16. Januar verloren gegangen ist. Der Verlust wurde jedoch erst am 25. Januar bemerkt. Seitdem wird fieberhaft nach ihr gesucht. Der Gesundheitsbeauftragte der Region veröffentlichte auf Twitter ein Foto, auf dem zu sehen ist, dass eine solche radioaktive Kapsel deutlich kleiner als eine australische 10-Cent-Münze ist.
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Der Lastwagen, von dem die Kapsel heruntergefallen ist, gehört einem Subunternehmen des Bergbauriesen Rio Tinto. Dieser hat sich für den Verlust der Kapsel öffentlich entschuldigt. Die Beunruhigung, die der Vorfall ausgelöst habe, tue ihm leid, erklärte der zuständige Manager Simon Trott am Montag. Rio Tinto leitete laut Trott inzwischen eine eigene Untersuchung ein, um herauszufinden, wie genau die Kapsel verloren gehen konnte. Man habe bereits alle Strassen um die Eisenerzmine in Gudai-Darri, nahe der Bergbaustadt Newman, abgesucht, wo die Kapsel zur Anwendung gekommen sei, bevor sie abtransportiert worden sei. Das Unternehmen liess ausserdem vermelden, dass es die Behörden bei der Suche unterstützt.
Es wird befürchtet, dass sich die Kapsel bereits weiter entfernt hat. Aufgrund der geringen Grösse der Kapsel und des grossen Suchareals räumen die Behörden ein, dass es möglich ist, dass die Kapsel nie gefunden wird, wie CNN berichtet. Und dadurch für die nächsten 300 Jahre ein Risiko für jeden darstellen könnte, der sich ihr nähert.
Wie konnte so etwas passieren?
Den Behörden zufolge wurde die Kapsel am 10. Januar in einen Behälter verpackt und am 12. Januar von einem Subunternehmen von Rio Tinto von der Mine in Gudai-Darri abgeholt. Der Lastwagen war vier Tage unterwegs und kam am 16. Januar in Perth an. Erst am 25. Januar wurde der Inhalt des Fahrzeugs ausgeladen – und der Verlust bemerkt. Am Freitag riefen die Behörden einen Strahlenalarm für weite Teile Westaustraliens aus. Allein in Perth leben rund zwei Millionen Menschen.
«Beim Öffnen des Pakets wurde festgestellt, dass das Messgerät auseinandergebrochen war, wobei einer der vier Befestigungsbolzen fehlte und die Kapsel selbst sowie alle Schrauben am Messgerät ebenfalls fehlten», meldet der Katastrophenschutz DFES (Department of Fire and Emergency Services). Gemäss ersten Erkenntnissen geht man davon aus, dass der Behälter mit der Kapsel durch Erschütterungen während der Fahrt beschädigt wurde. Die Vibrationen sollen das Paket beschädigt und eine Befestigungsschraube, die es an Ort und Stelle hielt, gelöst haben. Gemäss einem Bericht von ABC gehen die Behörden davon aus, dass die Kapsel durch ein Loch, aus dem sich eine Schraube gelöst hatte, aus dem LKW gefallen ist.
Rio Tinto liess vermelden, dass das Unternehmen regelmässig Gefahrengut transportiert und lagert. Für radioaktives Material engagiere man Spezialisten. Gemäss dem Bergbauunternehmen ist der Name der Firma, die mit dem Transport der Kapsel beauftragt wurde, bisher nicht veröffentlicht worden. Die Kapsel war Teil eines Messgeräts, mit dem in der Gudai-Darri-Mine die Dichte von Eisenerz gemessen wird.
Experten reagieren mit Unverständnis auf den Vorfall. Der Verlust der Kapsel sei «höchst ungewöhnlich», so die Einschätzung des Strahlungsschutzexperten Pradip Deb von der RMIT-Universität in Melbourne gegenüber CNN. Gemäss australischer Sicherheitsregulierung müsse so ein Objekt in Hochsicherheitsbehältern transportiert werden.
Nach Angaben von Radiation Services WA, einem Unternehmen, das Beratung zum Strahlenschutz anbietet, wird im Westen Australiens täglich radioaktives Material transportiert, ohne spezielle Vorkommnisse. «In diesem Fall sieht es ganz danach aus, als hätten die Kontrollmechanismen versagt», so die Firma.
Der gleichen Meinung ist Nigel Marks, Experte für radioaktive Materialien und Professor an der Curtin-Universität in Perth. «Wenn sich ein paar Schrauben lösen, ein Bolzen fehlt und die Strahlenquelle entweicht, dann ist das einfach nicht genug Schutz», sagte Marks.
«Es ist ein Versagen der Behörden. Sie dachten, sie hätten genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber das war offensichtlich nicht der Fall», sagte er. «Es ist wahrscheinlich so, dass [die Menschen] zu vertraut mit den radioaktiven Materialien geworden sind; mit der Vertrautheit kann ein Mangel an Bewusstsein für die Dinge entstehen, die schiefgehen können, wie in dieser Situation.» Obwohl bereits strenge Sicherheitsmassnahmen für den Umgang mit radioaktivem Material gälten, müsse nun weiter untersucht werden, wie solche Zwischenfälle in Zukunft vermieden werden könnten.
Wie gefährlich ist die Kapsel?
Der stellvertretende australische Premierminister Roger Cook sagte laut ABC, die potenzielle Gefahr der Situation sei äusserst besorgniserregend. «Soweit ich weiss, besteht bei engem Kontakt mit der Kapsel die Gefahr von Strahlungsverbrennungen oder chronischen Erkrankungen und möglicherweise auch des Todes», sagte er.
Cäsium-137 stellt eine schwere Gesundheitsgefährdung dar. Strahlungsexperten äusserten gegenüber CNN den Vergleich, dass ein einstündiger Aufenthalt im Radius von einem Meter einen Effekt auf den menschlichen Körper habe «wie 17 Standard-Röntgenuntersuchungen». Es müsse mit Hautverbrennungen rechnen, wer sich nahe der Kapsel aufhält. Strahlenkrankheit und potenziell tödliche Krebskrankheiten sind den Behörden zufolge weitere Risiken – speziell für jene, die der Strahlung länger ausgesetzt waren.
Laut Biophysikprofessor Ivan Kempson ist das Worst-Case-Szenario, wenn ein neugieriges Kind die Kapsel aufheben und in die Tasche stecken würde. «In der Vergangenheit kam es zu Vorfällen, bei denen Leute ähnliche Gegenstände gefunden haben und in der Folge Opfer von Strahlenverseuchung wurden», so Kempson. Von den Objekten sei jedoch mehr Strahlung ausgegangen als von der Kapsel, die zurzeit vermisst werde.
Wie funktioniert die Suche?
Auf der Suche nach der Kapsel setzen die Behörden auf Fahrzeugen montierte portable Strahlungsdetektoren ein, die erhöhte Strahlung im Radius von 20 Metern erkennen können. Die Autos fahren die Strecke in beiden Richtungen mit einer langsamen Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde ab. «Es wird voraussichtlich fünf Tage dauern, die gesamte Route abzufahren», teilte das DFES am Montag mit. «Was wir nicht vorhaben, ist, dieses winzige Objekt mit blossem Auge zu finden. Wir nutzen die Detektoren zur Ortung von Gammastrahlung», so das DFES.
Die geringe Geschwindigkeit sei nötig, um den Detektoren die Zeit zu geben, Strahlung zu entdecken, erklärt der Medizintechnikprofessor Dale Bailey von der Universität in Sydney. «Strahlungsdetektoren auf sich bewegenden Fahrzeugen können Strahlung feststellen, die über dem natürlich vorliegenden Wert liegt. Aber die relativ geringe Strahlungsmenge, die von der Kapsel ausgeht, bedeutet, dass sie die Gegend relativ langsam absuchen müssen.»
Allerdings besteht die Befürchtung, dass sich das Objekt nicht mehr im Suchradius befindet. Behörden halten es für möglich, dass sich die Kapsel in einem Autoreifen festgesetzt hat. Fahrzeughalter, die auf dem Great Northern Highway unterwegs waren, wurden nach Angaben von ABC aufgefordert, ihre Reifen zu überprüfen.
Es bestehe allerdings auch die Möglichkeit, dass das Objekt mithilfe eines Wildtiers an einen anderen Ort habe gelangen können. «Stellen Sie sich nur vor, ein Greifvogel könnte die Kapsel gepackt und aus dem ursprünglichen Suchbereich gebracht haben – das würde so viele Ungewissheiten und Probleme mit sich bringen», meint der Analyst für Nuklearpolitik, Dave Sweeney. «Natürlich muss diese Kapsel gefunden und gesichert werden, aber es gibt so viele Variablen, und wir wissen schlicht nicht, was alles passieren kann.»
Die Gesundheitsbehörden warnten die Bevölkerung, sich der Kapsel nicht auf weniger als fünf Metern zu nähern. Allerdings räumten sie ein, dass das Objekt aus der Distanz schwierig zu erkennen sei.
Was geschieht, wenn die Kapsel nicht gefunden wird?
Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren. Das heisst, nach drei Jahrzehnten wird sich die Radioaktivität der Kapsel halbiert haben. Nach 60 Jahren halbiert sie sich wieder. Und so weiter. Mit diesem Tempo könnte die Kapsel für die nächsten 300 Jahre radioaktiv bleiben, rechnet Strahlenschutzexperte Deb. «Cäsium-137 ist normalerweise eine geschlossene Quelle, das heisst, es kontaminiert weder den Boden noch die Umwelt.» Sollte die Kapsel also verschollen bleiben, würde sie den Boden um sie herum nicht kontaminieren.
Sollte jedoch das Gehäuse der Kapsel zu Schaden kommen, könnte die Situation anders aussehen. «Ganz besonders unangenehm wird es, wenn die Kapsel womöglich undicht wird. Das sollte eigentlich nicht passieren. Aber wenn da Autos darüber gefahren sind oder jemand aus Interesse die Kapsel aufbohrt, dann stünde Australien eine grossflächige Dekontamination ins Haus», erklärt Georg Steinhauser, Professor für Radioökologie an der Technischen Universität Wien, gegenüber SRF. «Das wäre ein unschönes Szenario, kostete eine Unmenge Geld und würde noch weitreichende Folgen haben.»
Rio Tinto ist eines der grössten Bergbauunternehmen der Welt und betreibt in der Pilbara-Region in Western Australia 17 Eisenerzminen. Bereits in der Vergangenheit hat das Unternehmen Kontroversen ausgelöst. 2020 sorgte Rio Tinto für einen Skandal, als es eine 46’000 Jahre alte und für die australischen Ureinwohner heilige Stätte sprengen liess. Der damalige Chef musste zurücktreten, Rio Tinto verpflichtete sich nach scharfer Kritik des Parlaments zu Reformen.
Mit Material der AFP
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