Angelica Moser bei Weltklasse Zürich Nach dem langen Tief weint sie vor Glück und Stolz
Der Stabhochspringerin nützte aller Ehrgeiz nichts, weil das Selbstvertrauen fehlte. Mit neuem Umfeld hat sie es wiedergefunden – am Mittwoch springt die WM-Fünfte im HB.

Fast alles ist am Mittwochabend anders, wenn Angelica Moser im Zürcher HB mit ihrem Stab anläuft. Der Rahmen ist nun Weltklasse Zürich und nicht mehr WM in Budapest, es ist drinnen und nicht draussen, kühl und nicht schwül, und das Publikum steht und sitzt so nahe, dass man fast hört, wie es den Atem anhält.
Noch immer gleich wie vor ein paar Tagen aber ist ihr Empfinden. «Fünfte der Welt. Crazy, oder?», hat sie gefragt und kann es bis jetzt noch kaum glauben. Moser ist vor einer Woche mit 4,75 m so hoch gesprungen wie noch nie im Freien, hat sich so früh schon für Olympia qualifiziert und ist vor laufender Kamera in Tränen ausgebrochen. Vor Freude, vor Stolz, vor Erleichterung.
Mit 25 an der fünften WM
Schaut man sich an, wie sich die Zürcherin in den vergangenen zehn Jahren sportlich entwickelt hat, verwundert einen kaum, dass sie nun mitten in die Weltspitze vorgedrungen ist. Schaut und hört man sich jedoch an, wo Moser am Anfang dieses Jahres stand, dann ist vielmehr dies das Erstaunliche an ihrer jetzigen Leistung.
Mit 16 hat sie 2014 die Olympischen Spiele der Jugend gewonnen, schon mit 17 in Peking zum ersten Mal an einer WM der Elite teilgenommen – Budapest war bereits ihre fünfte mit erst 25 Jahren. Moser war Europameisterin und Weltmeisterin in allen Nachwuchskategorien, erfolgreicher war in diesem Alter in der Schweiz niemand. 2021 setzte sie mit ihrem EM-Titel in der Halle diese Serie auch bei der Elite fort. Doch als sie diesen im März in Istanbul verteidigen wollte, «war da weder Selbstvertrauen noch Sicherheit», sagt sie.
Viel schlimmer war der fürchterliche Trainingsunfall, als ihr Stab nach dem Einstich brach.
Zwei schwierige Jahre hatten tiefe Spuren hinterlassen. Das frühe Aus an den Spielen in Tokio war der resultatmässige Tiefpunkt, viel schlimmer war aber nur wenig später der fürchterliche Trainingsunfall, als ihr Stab nach dem Einstich brach. Moser stürzte brutal ab. Trotz irrsinniger Schmerzen kam sie verhältnismässig glimpflich davon, wurde aber sportlich an den Nullpunkt zurückgeworfen. Und das war weit.
Dennoch schaffte es Moser im letzten Sommer in die Finals der WM und EM, Achte und Vierte, doch eine darauf folgende Fussoperation verunmöglichte einen kontinuierlichen Neuaufbau.
Moser bezeichnet sich als «sehr, sehr ehrgeizig» – nicht nur im Sport. Sie sei zwar kaum einmal an der Uni in Bern, treibe ihr Masterstudium nach dem Bachelor in Betriebswirtschaft aber ziemlich effizient voran. «Ich bin auch da ambitioniert. Der Hauptfokus liegt auf dem Sport, den Kopf aber ein wenig anstrengen hilft mir.» Dass sie seit je dann bereit war, wenn es zählte, führt sie auf ihre Kindheit zurück. «Ich habe mit drei Jahren mit Kunstturnen begonnen und sehr früh Wettkämpfe bestritten. Mit der Zeit hat mich das geschult, genau dann das zu zeigen, was ich trainiert hatte. Möglichst perfekt.» Und für sie entscheidend: «Ich habe mich schon immer sehr auf Wettkämpfe gefreut», sagt sie.
Training mit Sprinterinnen
Im vergangenen Herbst hat Moser auf ihre schwierige Phase reagiert. Sie wollte dorthin zurück, wo sie einst war – mit neuem Umfeld. Die Gesamtplanung liegt nun bei Adrian Rothenbühler, der Berner hat bis Ende letzten Sommers mit den Kambundji-Schwestern gearbeitet. Er sagt, er habe eine «völlig destabilisierte Athletin» angetroffen. «Ihre Überzeugung, überhaupt noch gut springen zu können, war weg.» Nach der Hallen-EM im Frühling hat er von Nicole Büchler auch das Techniktraining übernommen, nach der Geburt des zweiten Kindes wollte die Schweizer Rekordhalterin kürzertreten.

Moser hat sich – nach einer Analyse ihres physischen und mentalen Zustands, aber auch ihres Trainingsumfeldes – auf viel Neues einlassen müssen. Hauptziel Rothenbühlers war, mehr Dynamik in ihre Sprünge zu bringen: Anlaufrhythmus ändern, schneller werden und nach dem Einstich in den Kasten das Tempo mit in den Sprung nehmen. Moser hat sich darauf eingelassen. Sie trainiert in Magglingen und in Bern in Rothenbühlers Sprint- und Hürdengruppe, «da bin ich nicht die Schnellste, dafür profitieren sie von mir im Krafttraining».
Gefordert ist sie aber auch im direkten Dialog. «Mit 15 macht man das, was der Trainer sagt. Heute soll ich mich einbringen, muss ich sagen, wie sich etwas anfühlt und was technisch passt.» Der Trainer, der sich oft mit Büchler und dem einstigen Trainer Herbert Czingon austauscht, sagt, er habe auf viel Vorhandenes aufbauen können. «Und meine Chance war, dass sie nach der schwierigen Zeit bereit war für viel Neues.» Sogar, dass weniger Training mehr sein kann. Moser lacht. «Das funktioniert tatsächlich, es tut mir auch nichts mehr weh.» Über den Sommer hat sie zur alten Stabilität und zum Selbstvertrauen zurückgefunden. Das haben jüngst auch ihre Konkurrentinnen realisiert.
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