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Schach-WM
Als Carlsen zärtlich seinen Springer dreht

Zum fünften Mal Weltmeister: Der 31-jährige Norweger Magnus Carlsen.
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Wenn die Schach-WM zwischen Magnus Carlsen und Jan Nepomnjaschtschi in Dubai nach Plan über die Bühne gegangen wäre, stünde diesen Donnerstag die Abschluss-Gala auf dem Programm. Angesetzt waren 14 Runden, zwei mehr als in den Matches von 2016 in New York und 2018 in London, weil man die Wahrscheinlichkeit senken wollte, dass wie damals ein Tiebreak über Sieg oder Niederlage entscheiden muss. Für die Veranstalter, den russischen Herausforderer und alle Zuschauer sehr überraschend brauchte der Norweger diesmal aber nur 11 Partien zum Sieg. Ein Rückblick.

Nepomnjaschtschis späte Einsicht

Seine krasse 3,5:7,5-Niederlage am Schachbrett begründete Jan Nepomnjaschtschi mit den Worten, er sei von der Match-Strategie Carlsens verwirrt worden. Der habe in den einzelnen Partien weder versucht, von Beginn weg Druck auszuüben, noch konkrete Motive aufs Brett zu bekommen. Ob mit Weiss oder mit Schwarz sei Carlsen lediglich darauf aus gewesen, normale Stellungen zu erhalten. Insofern habe er in Dubai wenigstens gelernt, dass es in einem Match reichen kann, wenn man abwartet, «bis der Gegner den Job erledigt».

Der wie Nepomnjaschtschi 1990 geborene Weltmeister gab ohne Umschweife zu, dass er mit den schwarzen Figuren einiges konservativer agiert habe als vor drei Jahren im WM-Match gegen Fabiano Caruana in London. Nachdem er nun in Dubai in der sechsten Runde in Führung gehen konnte, sei für ihn das Beste gewesen, «solide abzuwarten». Wie sich wenig überraschend bewahrheitete, war das unter diesen Umständen auch der richtige Weg zum WM-Gewinn.

Die Schlüsselpartie

Matchentscheidend war der Sieg Carlsens in der sechsten Runde. Unmittelbar danach hatte er an seine Fans getwittert, er sei erschöpft, aber begeistert. Nepomnjaschtschi jedoch verlor jegliche Zuversicht. Zuvor spielte er auf Augenhöhe mit dem Norweger und kam auch zu guten Chancen, danach unterliefen ihm Fehler, als wäre er ein durchschnittlicher Clubspieler. Der tiefere Grund für diese Wende liegt allerdings nicht in der Niederlage selbst, sondern darin, wie sie zustande gekommen war.

Was war passiert? Wie der Russe später beklagte, hatte Carlsen mit Weiss in der Anfangsphase tatsächlich wenig gemacht und war nicht nur unter immer stärkeren Druck, sondern kurz vor der ersten Zeitkontrolle im 40. Zug sogar in eine Verluststellung geraten. Nepomnjaschtschi liess diese Siegmöglichkeit aus, wonach Carlsen präzise wie eine Maschine und so ideenreich wie in seinen besten Momenten agierte. Stundenlang wehrte der Russe alle Gewinnversuche von Weiss ab, in Zug 130 patzte er fatal, sechs Züge später gab er auf. Es war die längste Partie der WM-Geschichte.

Carlsen harsch wie selten

Die grossen menschlichen und politischen Aufregungen oder gar Dramen bei WM-Matches, wie man sie noch aus den Zeiten von Fischer, Kortschnoi, Karpow und Kasparow kannte, sind längst vorbei. Politik wird ausgeblendet, und alle Protagonisten sind medizinisch bestens betreut, haben ihre Teams an Analytikern und Zugang zu Grossrechnern, die ausgetüftelte Ideen testen oder auch gleich selber vorschlagen. So flackerte auch in Dubai nur kurzfristig das Thema Regelverstoss auf, als Carlsen in Partie 9 mit Schwarz über seinen 18. Zug nachdachte.

Wie so oft sass der Norweger allein am Brett und drehte gedankenversunken geradezu zärtlich seinen Springer auf dem Feld f6 etwas seitwärts, sodass er seinem Kollegen auf c6 sozusagen in die Augen blicken könnte. Nun besagt die Regel, dass man solch ästhetische Korrekturen mit einem «J’adoube» anzukündigen hat, ansonsten die berührte Figur gezogen werden muss. Da niemand anwesend war, tat das Carlsen natürlich nicht, worauf er dann in der nachfolgenden Pressekonferenz angesprochen wurde. Offensichtlich war Carlsen sein potenzieller Regelverstoss selbst sogleich bewusst geworden, wie man im Video aus dem Abschwingen seiner Hand schliessen kann. Darauf dann angesprochen, antwortete er harsch wie selten mit «Do better!» Damit war die Sache erledigt.

Der beste Eröffnungszug und der Spass

Welches ist der erfolgversprechendste Eröffnungszug für Weiss, war eine der allgemeineren Fragen in den obligaten Pressekonferenzen in der Anfangsphase des Matches. Bobby Fischer hatte auf 1. e4 gesetzt und diese Haltung mit praktischer Erfahrung begründet. Carlsen sieht das ähnlich: «Es scheint», sagte er, «dass man damit mehr Varietät hat, in ein geschlossenes oder offenes System überzuleiten». Nepomnjaschtschi ergänzte, es sei heute zwar nicht mehr so, wie vor 100 Jahren der russische Grossmeister Rauser behauptet habe, dass Weiss mit 1. e4 im höheren Sinn bereits auf Gewinn stehe, aber man könne den Spielverlauf zwingender gestalten, was mehr Spass mache. Diesen Spass wurde ihm in Dubai allerdings nicht gegönnt.

Abbitte nach dem Match

Gegenüber der Presse entschuldigte sich Jan Nepomnjaschtschi mehrfach für seinen schmachvollen Auftritt. Sein Spiel, sagte er selbstkritisch, sei «eines Grossmeisters nicht würdig gewesen». Gemäss dem für die «FAZ» schreibenden Internationalen Meister Stefan Löffler, einem der besten Schachjournalisten Deutschlands, hat das russische Satiremagazin «Panorama» diese Bemerkung des 31-jährigen sogleich aufgenommen und von einer fiktiven Sondersitzung des russischen Schachverbandes berichtet. Dort sei die Frage aufgeworfen worden, ob dem Grossmeister nun sein Titel aberkannt werde. Wladimir Putins Pressesprecher Dimitri Peskow schob das Magazin das Dementi unter: Sport sei Sport, Nepomnjaschtschi werde nicht verhaftet.

Kleine Botschaften an Russland

Weltmeister Magnus Carlsen versuchte sich schon immer aus allen unschönen Verstrickungen mit Verbänden herauszuhalten und beschränkt sich in der Regel auch in seinen Kommentaren auf geistreiche Anspielungen. Am Abend nach der letzten Partie beispielsweise gab er auf Youtube bekannt, wer in seinem Analyseteam war. Unter anderem nannte er dabei das grosse russische Nachwuchstalent Daniil Dubow, der für die kreativen Ideen zuständig gewesen sei.

Mit dem Weltmeister an einem Tisch – und  in einem Team: Nachwuchstalent Daniil Dubow (r.) lieferte an der WM Magnus Carlsen die kreativen Ideen.

Dessen Beitrag umschrieb der Norweger mit den Worten «Daniils Ideen stellten sich mit etwas Hilfe der anderen als gut heraus». Der Gelobte selber sagte zu dieser Auswahl: «Carlsen ist es wichtig, dass er die Typen wirklich mag. Im russischen Team ist es genau umgekehrt. Sie nehmen die grössten Kanonen, egal ob die miteinander streiten oder Freunde sind». Natürlich kam das in Dubows Heimat gar nicht gut an.

Der smarte Präsident

Auch autoritäre Regimes schmücken sich gerne mit Spitzenschach. Sie können das ungestört, weil der Weltschachbund Fide unter russischer Führung damit noch nie ein Problem hatte. Vor der WM 2016 in New York versuchten die damaligen Chefs, finanziell alles an sich zu reissen und planten sogar, die Züge selber unter Copyright zu stellen. Der jetzige Fide-Präsident ist smarter und baut mögliche Konkurrenz ohne grosses Aufsehen ein. Als Moderator an den Pressekonferenzen unmittelbar nach den Partien war beispielsweise Grossmeister Maurice Ashley engagiert. Den US-Grossmeister kannte man bis anhin vor allem als Präsentator bei den von US-Milliardär Rex Sinquefield alimentierten Turnieren. Zudem berichtet er auch für das amerikanische Fernsehen.

Zwischen den beiden WM-Teilnehmern: Grossmeister Maurice Ashley in Dubai.

Als nächstes ein Duell mit dem 18-jährigen Grosstalent?

Seit Carlsen Weltmeister ist, hat er immer wieder Einfluss auf die Gestaltung des Turnierschachs genommen. Auf Distanz blieb er dezidiert zum von Russen geführten Weltschachbund Fide, der regelmässig mit fragwürdigen Entscheidungen für Unruhe sorgt. So lancierte der Norweger beispielsweise zu Beginn der Corona-Krise ohne Fide, aber mit Hilfe von Sponsoren eine Online-Turnierreihe und verschaffte den Profis alternative Einkünfte. Nun liess Carlsen gegenüber norwegischen Medien verlauten, dass er auch in den WM-Zyklus eingreifen will. «Für diejenigen, die damit rechnen, dass ich das nächste Mal WM spielen werde», sagte er, «sind die Chancen für eine Enttäuschung ziemlich gross». Und ergänzte, dass es durchaus zu einem Titelkampf kommen könnte, allerdings nur, wenn der 18-jährige Alireza Firouzja sein Gegner werde. Dieses in Frankreich lebende Grosstalent, das jüngst sensationell zur Nummer 2 der Welt aufgestiegen ist, lobt und unterstützt er schon länger..

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