Alkohol in PakistanBier, Schnaps und Wein aus dem Kofferraum
Alkohol ist den Muslimen in Pakistan verboten. Doch die reine Lehre des Islam und die Praxis gehen weit auseinander. Ein Einkauf am Strassenrand.
Sein Bekenntnis war zugleich eine Botschaft. «Ja, ich trinke Alkohol», sagte Zulfikar Ali Bhutto einst, «aber wenigstens trinke ich nicht das Blut der Armen.» Bhutto war der wichtigste Politiker Pakistans in den 1970er-Jahren. Erst regierte er als Präsident, dann als Premierminister. Seine Tochter Benazir war später die erste Premierministerin der muslimischen Nation, die Familiendynastie der Bhuttos spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Politik des Landes. Das letzte Wort hat in Pakistan allerdings immer das Militär.
Zulfikar Ali Bhuttos öffentliches Bekenntnis zum Alkohol stand im Gegensatz zu seinem politischen Handeln. Obwohl er säkular geprägt war, beugte sich Bhutto 1977 den muslimischen Hardlinern – und führte die Prohibition ein. Doch auch das konnte ihn nicht retten. Militärdiktator Zia ul-Haq putschte sich an die Macht und setzte Bhutto ab, zwei Jahre später liess er ihn hängen.
Regierung erlaubte Chinesen, eine Brauerei zu gründen
Auch eine Folge der Diktatur: Pakistans Probleme sind bis heute überwältigend, die Mehrheit der 242 Millionen Einwohner in dem Atomstaat muss von der Hand in den Mund leben. Und auch wenn das Alkoholverbot im «Land der Reinen», wie Pakistan zu seiner Geburtsstunde im Jahr 1947 genannt wurde, bis heute gilt: Die Menschen können trotzdem Bier, Wein und Schnaps kaufen. Ja, es gibt sogar eine pakistanische Brauerei.
Ein Treffen mit Isphanyar Bhandara, dem Chef der Murree Brewery. Das Unternehmen liegt in der mit Islamabad zusammengewachsenen Garnisonsstadt Rawalpindi und hatte bis vor einigen Jahren ein Alleinstellungsmerkmal in Pakistan. Doch dann erlaubte die Regierung den Chinesen, eine weitere Brauerei zu eröffnen. Eine politische Gefälligkeit für den mächtigen Verbündeten, das sei ganz einfach und schnell gegangen, ärgert sich Bhandara. Die Murree Brewery werde dagegen mit strikten Regularien überzogen.
Neben Bier stellt Bhandaras Firma auch Wodka und Whisky her – und seit neuestem einen Kräuterschnaps, der dem deutschen Jägermeister nachempfunden ist. Bhandara führt die geschichtsträchtige Brauerei in dritter Generation. Gegründet wurde der Betrieb 1860, um den Bierdurst der britischen Kolonialherren zu stillen. Als sich die Briten 1947 von dem Subkontinent zurückzogen, entstand Indien vornehmlich für die Hindus, Pakistan für die Muslime. Doch die Brauerei blieb bestehen, selbst Pakistans Gründervater Muhammad Ali Jinnah galt als dem Alkohol nicht abgeneigt.
Bhandaras Grossvater führte die Brauerei, dann übernahm sein Vater, der es mit Zia ul-Haq zu tun bekam. Der Diktator entschied: Die Brauerei darf weiterarbeiten, denn die Nichtmuslime im Land brauchen ihren Alkohol – und die Gewohnheitstrinker auch. So erzählt Bhandara von einem Gespräch seines Vaters mit dem mächtigen Mann vom Militär. An die Muslime aber darf seit damals offiziell kein Alkohol mehr verkauft werden.
Bhuttos Verbot gilt noch – auf dem Papier
Unter Zia ul-Haq radikalisierte sich Pakistan. Diese Entwicklung machten sich die Amerikaner im Kalten Krieg zunutze. Die Sowjetunion war in den 1980er-Jahren mit Truppen im Nachbarland Afghanistan. «Der Feind meines Feindes ist mein Freund», dachten sich die Amerikaner und liessen in Pakistan mithilfe des Geheimdienstes Islamisten für den Kampf gegen die Sowjetunion ausbilden. Ironie der Geschichte: Später wurden die Amerikaner von deren ideologischen Nachfolgern – den Taliban – selbst aus Afghanistan vertrieben. Der Terrorismus ist nach wie vor eine grosse Bedrohung in Pakistan, aber nicht das einzige Problem. Vier von zehn Menschen leben am oder unter dem Existenzminimum. Und vier von zehn Kindern im Alter von fünf Jahren sind unterentwickelt.
Das Alkoholverbot, das Bhutto vor fast 50 Jahren erliess, gilt zwar auf dem Papier. Aber wie viele andere Gesetze auch lässt es sich im Alltag umgehen. Wie das funktioniert, zeigt eine abendliche Fahrt durch die Megametropole Karachi im Süden des Landes. Gut 20 Millionen Menschen leben hier, man hat bisweilen das Gefühl, dass sie alle gleichzeitig auf der Strasse unterwegs sind. Der Verkehrsstau zählt zur Kategorie «Nichts geht mehr».
Aber irgendwann hat der Fahrer einen eben doch durch das Chaos navigiert und sagt zu einem scheinbar unbeteiligten Mann auf dem Seitenstreifen vor dem Basar: «Sechs Dosen Bier.» Woraufhin der Angesprochene verschwindet und zwei Minuten später tatsächlich mit sechs grünen Bierdosen zurückkehrt. In der Zwischenzeit verdeutlicht die Szenerie: Hier machen alle einen kurzen Stopp, Motorradfahrer, Fussgänger, Autofahrer, und geben ihre Bestellung auf. Die obligatorische Ausweiskontrolle, mit der jeder Kunde beweisen müsste, dass er kein Muslim ist? Sie entfällt wohl nicht nur an diesem Abend.
Karachi ist eine der liberalsten Städte Pakistans. Die Superreichen bringen ihren Merlot sogar mit ins Luxusrestaurant und bekommen ihn dort gegen eine Gebühr zum Filetsteak ausgeschenkt. Der renommierte Religionsgelehrte Owais Pasha Qarni wünscht sich das anders, räumt aber zerknirscht ein: «Alkohol ist verboten, aber diejenigen, die sich mit solchen Dingen abgeben wollen, die finden schon ihre Möglichkeiten.»
Manchmal fliegt ein Dealer auf und wird verhaftet
Die reine Lehre des Islam und die Praxis, sie gehen in Pakistan auseinander. Die zahlreichen Wine Shops, an die Bhandara nach strikten Regierungsregeln seine Produkte liefert, sind nur für religiöse Minderheiten gedacht, doch die Kontrollen fallen lax aus. In der Hauptstadt Islamabad, 1500 Kilometer nördlich vom liberalen Karachi, betreiben sogenannte Bootlegger Alkoholbringdienste unter der Hand. Die Kuriere haben, so erzählt ein Kunde, den Kofferraum voller Bier, Schnaps und Wein – darunter auch heiss begehrte Importware. Manchmal fliegt ein Dealer auf und wird von der Polizei verhaftet.
Brauereichef Bhandara, der zu der kleinen religiösen Minderheit der Parsen gehört, führt ein Unternehmen mit etwa 2000 Mitarbeitern. Darunter nur drei Frauen. «Bitte glauben Sie nicht, dass ich etwas gegen Frauen habe, aber die meisten meiner Angestellten kommen aus der Arbeiterklasse, die wissen sich im Umgang mit Frauen nicht so gut zu benehmen.» Bhandara ist nicht nur Unternehmer, er meldet sich auch politisch zu Wort. Religiöse Minderheiten haben in Pakistan reservierte Abgeordnetenplätze im Parlament, Bhandara hat diesen Posten schon ausgefüllt.
Wenn er die politische Lage beschreibt, nimmt er kein Blatt vor den Mund: «Das Problem ist der Mangel an Bildung. Was wir den Kindern in den Dörfern beibringen, ist eine regelrechte Gehirnwäsche. Sie bekommen erzählt, dass alle Nichtmuslime Feinde und die Taliban gute Menschen seien.» Auch um die religiösen Minderheiten sei es nicht gut bestellt, da habe Pakistan noch einen langen Weg zu mehr Toleranz vor sich.
Lieber aber spricht Bhandara über seine Murree Brewery. Eine Kiste mit 20 Dosen Bier koste im Lizenzshop mindestens 12’000 Rupien, rechnet er vor. Das entspricht etwa 43 US-Dollar, im Verhältnis zum pakistanischen Mindestlohn von 115 Dollar im Monat ein Vermögen. Aber günstiger gehe es nicht, sagt Bhandara, ein Grossteil der Rohstoffe müsse importiert werden, zudem verlange die Regierung Gebühren und reguliere den Preis. «Wenn man unsere Brauerei zumacht, verliert die Regierung mehr als wir», so der Brauereiboss.
An dem offiziellen Alkoholverbot will der Unternehmer nicht rütteln. «Sonst hätte jeder Zugang zu Alkohol, das wäre für dieses Land nicht der richtige Weg», sagt er. Aber lohnt sich sein Geschäft überhaupt, bei nur drei Prozent Nichtmuslimen im Land? Alles in allem liefen seine Geschäfte gut, antwortet Bhandara, der auch Säfte und Mineralwasser herstellt. «Es ist ja nicht so, dass jeder, der einer Minderheit angehört, Alkohol trinkt, oder jeder Muslim nie trinkt», sagt er und betont: Er produziert nur das Getränk. Was damit geschieht, wenn es die Brauerei verlassen hat, liegt jenseits seiner Kontrolle.
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