Neuer Roman von Alex CapusIhm schmeckt immer dieselbe Pizza – warum dann wechseln?
In «Das kleine Haus am Sonnenhang» erinnert sich der Schweizer an seine Anfänge als Schriftsteller, an Ferienidylle in Italien – und plaudert über das Leben und das Schreiben an sich.

Vor einigen Jahren schrieb Alex Capus einen Roman mit dem fast provozierenden Titel «Das Leben ist gut». Darin trat er kaum verkleidet als Max auf, Schriftsteller und Inhaber einer Bar, Vater von drei Söhnen (statt wie in Wirklichkeit fünf – der Plausibilität geschuldet). Es war tatsächlich alles gut in diesem Leben und diesem Roman, mit Ausnahme eines harmlosen und bald beigelegten Streits mit einem Freund, und ja, die Frau verbrachte ein Gastsemester in Paris, was seine Gedanken manchmal auf Abwege führte.
Einen Roman ohne Konflikte und Dramen zu schreiben, ist schwierig, und kein Wunder, holt sich Alex Capus, dessen Leben offensichtlich gut ist, was man diesem sympathischen Menschen und Schriftsteller von Herzen gönnt, seinen Stoff sonst von ganz woanders her, aus der dramatischen Wirklichkeit: Er schreibt über Afrikaforscher und Bankräuber, über Bombenbauer und Spioninnen oder, wie zuletzt in «Susanna», eine Basler Malerin, die zur Vertrauten des Indianerhäuptlings Sitting Bull wird.
Nun aber führt er uns in die eigene Vergangenheit, in die 1990er-Jahre, ins Piemont und in «Das kleine Haus am Sonnenhang», ein Titel, der so idyllisch klingt, dass er gleich Misstrauen erweckt – bimmelt da nicht die Kitschverdachtsglocke?
Diesmal ist es kein Roman, sondern ungeschminkte Ich-Form, Erinnerung, Reflexion, Plauderei. Geht es darin dramatisch zu? Nun ja. Alex ist noch kein, sondern erst ein werdender Schriftsteller, er hackt eine Version nach der anderen seines Erstlings in die lindgrüne Hermes-Baby, aber nur im Winterhalbjahr, denn im Sommer wird das kleine Haus bevölkert von Freunden, es wird getafelt, gelacht, getrunken, geliebt, es finden Ausflüge statt und «Schaukelstuhlrennen auf der Terrasse» (wie das wohl ging?).
Der Autor muss aufpolstern
Alex ist ein Gewohnheitstier. Er liebt die Verlässlichkeit der Welt, isst immer dieselbe Pizza (die Fiorentina), fährt in dasselbe Ferienhaus (eben das kleine am Sonnenhang), liebt dieselbe Frau (Nadja, das Mädchen mit dem gelben R4, später und noch heute seine Frau und Mutter seiner Söhne, hier fünf, wegen der Wahrheit). Er geht immer in Pierluigis Bar im benachbarten Dorf, wo immer dieselben Typen herumstehen: Giuseppe, Mauro, Roberto, Sergio und Mimmo.
Ein bisschen langweilig, findet Nadja (die dann nach dem fünften Jahr das Ende der Ferienhausherrlichkeit einläutet). Ein bisschen wenig auch für ein Buch, weshalb der Autor es ein bisschen aufpolstern muss. Einmal mit drei, wenn man so will, Kriminalfällen. Erstens: Mimmo, der etwas beschränkte Flipperspieler aus der Bar, bricht den Opferstock der Dorfkirche auf, wird aber schnell entlarvt, weil er im Schnee eindeutige Spuren hinterlassen hat: linker Sportschuh, rechter Gipsfuss. Zweitens: Im Dachboden rumort ein Siebenschläfer und raubt Alex den Schlaf; erst am Ende rafft er sich auf, ihn zu erschiessen.
Drittens wird der schöne Kachelofen des Häuschens abmontiert und per Traktor abtransportiert, als Alex einen Tagesausflug nach Genua macht – die Täter können nur seine Kumpel aus der Bar sein, was er aber weder nachweisen kann noch will, was aber das Ende der piemontesischen Idylle – oder Illusion – bedeutet und damit auch das Ende des Buches.
Dessen zweite Aufpolsterung bilden Gedanken des Autors – über das Leben und das Schreiben. Auch die äussert er in Form einer Plauderei, legt überhaupt grossen Wert darauf, sich nicht als Intellektueller zu gerieren, sondern als «normaler Mensch», die Leser gewissermassen von Barbesucher zu Barbesucher anzusprechen. Manchen Gedanken wird man wiedererkennen (hat das nicht schon Aristoteles geschrieben?), bei anderen freundlich zustimmend nicken, bei dritten wieder skeptisch den Kopf schütteln. Wie am Tresen eben oft auch.
«Ich fürchte, ich bin weniger klug als meine Bücher»: Das gilt eigentlich für alle Schriftsteller (weshalb ja Interviews immer weniger ergiebig sind als Rezensionen). «Meine Bücher jedenfalls sind alle gleich. Hast du eines gelesen, hast du sie alle gelesen.» Da möchte man doch heftig widersprechen. «Wer ein Happy End will, muss beizeiten mit dem Erzählen aufhören. Wenn man zu lange dabeibleibt, sind am Schluss immer alle tot.» Da ist natürlich was dran.
Bargedanken, die man nicht so ernst nehmen sollte
Dass das Leben eine Ansammlung von Zufällen ist und der Erzähler daraus Kausalitäten konstruiert, die unser Bedürfnis befriedigen, auch unser Leben folge einer sinnvollen Abfolge: Dieser Gedanke ist, auch wenn Capus ihn nicht als Erster äussert, nicht weniger zutreffend.
Dass aber alle Künstler «eine Meise» oder «einen an der Waffel» haben, ist, wenn auch salopp formuliert, doch eine allzu pauschale These, auch wenn Capus sie mit Namen wie Tschechow, Gauguin, Simenon und Anne-Sophie Mutter (ja, auch sie!) zu belegen sucht. Denn entweder widerlegt er sie selbst durch seine stinknormal-sympathische Existenz, oder er ist kein Künstler, oder er hat seine eigene «Meise» vor uns geschickt verborgen.
Wenn Capus schliesslich prognostiziert, nein: sogar hofft, in Zukunft würden Künstler wie Max Frisch, Roman Polanski, Woody Allen oder Philip Roth, alles «Sexualneurotiker», «im Pantheon der Menschheit Platz machen müssen für neue Heldengestalten, deren Werk und Leben auf der Höhe neuer ethischer Standards sind» – einem solchen politisch korrekt gereinigten, klinisch sauberen Moral-Pantheon möchte man doch lieber fernbleiben.
Nun, das sind wohl Bargedanken, die man nicht so ernst nehmen sollte. Und stattdessen auf eine Figur aus der Schweizer oder der Weltgeschichte hoffen, die Alex Capus bald begegnet und zum nächsten Buch, zur nächsten Heldengeschichte inspiriert.

Alex Capus: Das kleine Haus am Sonnenhang. Hanser 2024. 160 S., ca. 30 Fr.
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