Tödlicher Schuss bei DreharbeitenIst Alec Baldwin ein rücksichtsloser Bösewicht?
Am Dienstag startet der Prozess gegen den Produzenten und Schauspieler. Baldwin galt selbst als Opfer, doch die Stimmung drehte sich.
Ist Alec Baldwin ein brauchbarer Reiter – und falls nein: Ist er willens, das zuzugeben? Ja, diese Frage wird eine Rolle spielen beim Prozess gegen den Schauspieler, der am Dienstag im US-Bundesstaat New Mexico beginnen wird. Baldwin ist angeklagt wegen fahrlässiger Tötung.
Ihm wird vorgeworfen, bei Dreharbeiten des Westerns «Rust» während einer Probe am 21. Oktober 2021 auf der Bonanza Creek Ranch den Abzug eines Revolvers betätigt zu haben. Die Patrone durchdrang den Oberkörper von Kamerafrau Halyna Hutchins und traf Regisseur Joel Souza an der Schulter. Souza wurde verletzt, Hutchins starb.
Die wichtigste Frage, natürlich: Hat Baldwin den Abzug betätigt? Baldwin bestreitet das; trotz einer Untersuchung der Bundesbehörde FBI, der zufolge sich ein Schuss aus dieser Waffe, einem Revolver der Marke Pietta, nicht ohne Betätigung des Abzugs gelöst haben könne. Die zweitwichtigste Frage deshalb: Hat sich Baldwin womöglich nicht ausreichend für die Sicherheit am Set interessiert, selbst nach dem Tod von Hutchins?
Genau deshalb wird es bei der Verhandlung um die Fähigkeiten von Baldwin als Reiter gehen sowie die Selbsteinschätzung – und damit: Was ist das für ein Mensch, dieser Alec Baldwin?
Richterin Mary Sommer hat entschieden, dass Paul Jordan, einer der beiden Sicherheitsbeauftragten am Drehort, als Zeuge aussagen und über diesen Vorfall zweieinhalb Jahre nach dem tödlichen Schuss sprechen soll. «Er wurde immer wieder lauter», sagt Jordan über Baldwin laut Gerichtsakten: «Er hat darauf bestanden, Dinge tun zu können, von denen alle anderen geglaubt haben, dass er sie nicht tun könne.»
Baldwin wollte auf einem Pferd galoppieren, obwohl ihm andere davon abrieten
Konkret habe Baldwin mehrere Helfer gebraucht, um überhaupt aufs Pferd zu kommen – dann aber darauf beharrt, dass er selbst auf unwegsamem Terrain in vollem Galopp reiten könne: «Er hat felsenfest und immer wieder behauptet, dass er dazu fähig sei.» Erst nach mehreren, teils hitzigen Debatten habe er nachgegeben.
Das ist das Bild, das Staatsanwältin Mary Carmack-Altwies den Geschworenen präsentieren dürfte bei diesem Prozess: Baldwin, arroganter Hollywood-Star, der sich überschätzt und selbst nach der tödlichen Tragödie am gleichen Ort weder Reue noch Einsicht zeigt. «Baldwin steht vor Gericht wegen fahrlässiger Tötung, nicht wegen seines Charakters», argumentieren seine Anwälte. Sie versuchten, die Aussage von Jordan für ebenso irrelevant zu erklären wie Videos, in denen zu sehen ist, wie Baldwin herumflucht oder rücksichtslos mit Waffen hantiert: «Das eine hat mit dem anderen nicht zu tun.»
Richterin Sommer entschied, dass beides sehr wohl relevant sei: Und so geht es auch um den Charakter von Baldwin bei dieser Verhandlung. Es ist sogar wahrscheinlich, dass Baldwin das Verfahren gegen sich mit seinem Verhalten danach überhaupt erst ermöglicht hat.
Das Narrativ in den Wochen nach der Tragödie war ein anderes: Ja, die Dreharbeiten des Low-Budget-Films (7,8 Millionen US-Dollar) waren chaotisch und als Produzent stand Baldwin deshalb in der Kritik. Der Schauspieler indes galt jedoch als Opfer, und genauso inszenierte sich Baldwin, mit einem Schachzug aus dem Handbuch für Promi-Krisenmanagement: Interview zur besten Sendezeit mit dem allseits anerkannten Journalisten George Stephanopoulos. Auch US-Präsident Joe Biden ging zu ihm am Freitag, er wollte bei Stephanopoulos Bedenken nach der verheerenden Debatte mit Donald Trump zerstreuen.
Also, Dezember 2021: Stephanopoulos liess Baldwin reden. Und Baldwin redete sich um Kopf und Kragen. Es war der Versuch, sich selbst einen Persilschein auszustellen und andere als Schuldige hinzustellen. Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed etwa, die im April wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Haft verurteilt worden ist. Er habe die Waffe mit den Worten «Cold Gun» bekommen, also: nicht geladen. Danach habe er die Anweisungen von Hutchins befolgt, in ihre Richtung zu zielen; der Schuss habe sich von selbst gelöst: «Der Abzug wurde nicht betätigt. Ich habe nicht abgedrückt.»
Es verfestigte sich das Bild des selbstgerechten Manipulators
Das war der Moment, in dem Staatsanwältin Mary Carmack-Altwies – wie sie kürzlich der «New York Times» verriet – ihre Kollegin Jennifer Macias angerufen und gefragt habe: «Hat der gerade ein Verfahren gegen sich selbst eröffnet?» Wütend sei sie gewesen, weil es Baldwin in diesem Interview offensichtlich nur um sich gegangen sei: «Dieser Typ, wie kann er nur? Jemand ist tot wegen deiner Handlungen!» Es verfestigte sich das Bild des selbstgerechten Manipulators, dessen einziges Ziel es sei, unbeschadet aus der Sache herauszukommen – und schon war der Fall politisch. Das Leben von Baldwin (66) bekam einen vierten Akt.
Der Erste: Filmstar, verheiratet mit Kim Basinger, 2004 Oscar-nominiert für «The Cooler». Der Zweite: Genialer Comedy-Partner von Tina Fey in der Sitcom «30 Rock», zwei Emmys. Und der dritte, von Oktober 2016 an: Baldwin als Trump in «Saturday Night Live»; insgesamt 47-mal trat er auf und bekam dafür 2017 seinen dritten Emmy. Wer sich in Hollywood umhört, erfährt, dass Baldwin im Reinen mit sich und der Branche gewesen sei – auch deshalb, weil es ihm gelungen war, Skandale wie den Angriff auf einen Paparazzo 1995 (er wurde gefeiert als Verteidiger von Ehefrau Basinger und der drei Tage alten Tochter) für seine Zwecke zu nutzen.
Er wollte nur noch kleinere Projekte wie «Rust» angehen und mehr Zeit mit Ehefrau Hilaria und den damals vier gemeinsamen Kindern (mittlerweile sind es sieben) verbringen.
Jedoch: Nach dem tödlichen Schuss war es Zeit für Donald Trumps Auftritt, und der ist freilich ein Meister darin, andere in den Dreck zu ziehen. «Meiner Meinung nach hatte er etwas damit zu tun», sagte er in einem Podcast, und über die Waffe: «Vielleicht hat er sie ja geladen.» Trumps Sohn Donald junior verdiente sogar Geld damit, indem er den Spruch der Waffenlobby NRA («Guns don’t kill people; people kill people») auf Baldwin ummünzte und T-Shirts verkaufte mit der Aufschrift: «Guns don’t kill people. Alec Baldwin kills people.»
Baldwin soll dies heftig zugesetzt haben. Bei Verurteilung droht ihm eine Haftstrafe von 18 Monaten. Auf Anraten seiner Anwälte hat er sich seit Monaten nicht mehr zum Fall geäussert. Offenbar rechnet er fest mit einem Freispruch.
Und damit zur Familie. Anfang Juni verkündeten er und Ehefrau Hilaria, dass der TV-Sender TLC im kommenden Jahr die Reality-Show «The Baldwins» zeigen werde; in der Ankündigung verspricht TLC «Liebe, Lachen und Drama». Ob ihm diese Selbstinszenierung helfen wird bei diesem Prozess, darf freilich bezweifelt werden. Es wird, daran besteht keinerlei Zweifel, auch um den Charakter von Baldwin gehen und darum, wie er sich angesichts des Todes eines anderen Menschen in der Öffentlichkeit inszeniert.
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