«Schneckenpost» feiert GeburtstagA- und B-Post: Vom «Fiasco historique» zum Normalfall
Der Start war harzig, heute schreit deswegen niemand mehr auf: Vor dreissig Jahren wurde die Zweiklassengesellschaft bei der Briefpost eingeführt. Die Begründung damals: zu viele Briefe.
A- und B-Post – was wir heute quasi als gottgegeben anschauen, ist gar nicht so alt. Noch 1990 war der Normalfall folgender: Auf den Brief kommt eine Briefmarke, damit gehts in den Briefkasten und am nächsten Tag liefert der Pöstler den Brief beim Empfänger ab. Doch die steigenden Briefmengen machten den PTT-Chefs – ja, damals hiess die Post noch offiziell PTT – Sorgen. Sorgen, dass die Post ihre Maxime – «heute eingeworfen, morgen zugestellt» – nicht mehr würde einhalten können.
Also musste eine Lösung her. Und die fanden die PTT-Direktoren – Manager waren damals noch nicht verbreitet – in einer simplen Massnahme: Neu sollte es zwei verschiedene Laufzeiten geben. Nur wer eine teurere Briefmarke kauft, hat die Garantie, dass am nächsten Tag geliefert wird. Das sollte die Zustellung entlasten. Die Post versprach sich davon auch mehr Gewinn, aber das nur am Rande.
Die Reaktionen auf die Einführung von A- und B-Post waren heftig. Und die Gemüter beruhigten sich nur langsam. Während des ganzen Jahres nach der Einführung lassen sich etliche negative Schlagzeilen finden. So titelte die Zeitung «La Gruyère» etwa in einem Beitrag zum Thema mit «Fiasco historique». In Genf musste der Grosse Rat fast eine Sitzung absagen, weil die Postzustellung der Traktandenliste nicht wirklich funktionierte. Das Parlamentsbüro hatte eine einfache Erklärung: Die A-Post funktioniere schlecht und die B-Post überhaupt nicht.
Nicht immer konnte die Post, pardon, die PTT, die A-Post auch tatsächlich am nächsten Tag ausliefern. Ein Test ergab, dass 9 Prozent der A-Post-Briefe zu spät ankamen. PTT-Generaldirektor Jean-Noël Rey sprach von einem «schlechten» Resultat. Zudem gab es den Vorwurf, dass B-Post zurückgehalten werde, um den Preisunterschied zu rechtfertigen. Eine Postsprecherin erklärte damals, das System sei wohl zu komplex für ihre Kundinnen und Kunden. Aus heutiger Sicht eine absurde Aussage.
So kam gar die Forderung auf, das Ganze abzublasen. 105 Bundesparlamentarier und -parlamentarierinnen standen hinter einem entsprechenden Postulat. Eine repräsentative Umfrage des «SonntagsBlick» ergab, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer das neue System der Post wieder abschaffen wollte. Doch daraus wurde – wie wir heute wissen – nichts.
Ebenfalls nicht eingetroffen ist eine Hochrechnung der Post, was die Menge an Briefen anbelangt. Damals, in den 1990er-Jahren, ging man von einer Steigerung von jährlich 120 Millionen Briefen aus. In den ersten Jahren nach der Einführung stieg die Menge tatsächlich an, von 2,4 Milliarden Briefe auf fast 3 Milliarden. Doch schon in den 2000er-Jahren zeigte sich, was heute der Post grosse Probleme einbringt: Weniger Briefe werden verschickt. Durch den Rückgang verliert die Post wichtige Einnahmen.
Die Post ging bei der Einführung davon aus, dass rund ein Viertel aller Briefe künftig per A-Post verschickt wird. Doch die Angst war offenbar gross, dass dieser Anteil steigt und die Post wieder in die Bredouille bringen würde. So schrieb «Cash» 1991: «Die Gewerkschaft PTT-Union erwartet denn auch, dass künftig 50 Prozent der Briefe zum A-Tarif von 80 Rappen aufgegeben werden.» Treffe dies zu, sei auch die Reduktion der personal- und kostenintensiven Nachtarbeit infrage gestellt.
Die Banken verschicken A-, die Verwaltung B-Post
Den Banken lag die neue Regelung quer in ihrer Planung. Schliesslich sind Bankdokumente wichtig und müssen schnell bei den Kundinnen und Kunden sein. Also entschieden sie: Wir verschicken alles per A-Post. Die Kosten dafür mussten teilweise die Kunden zahlen. Der «Tages-Anzeiger» titelte daraufhin: «PTT haben sich verrechnet – Banken boykottieren B-Post». Übrigens: Die Verwaltung setzte vornehmlich auf die gemächlichere B-Post – da drängt sich ein Beamtenwitz fast schon auf.
Die Angst vor einem Kollaps war unbegründet. Der Anteil A-Post pendelte sich bei rund einem Viertel ein – Tendenz ganz leicht steigend in den vergangenen Jahren. 2020 waren es knapp 30 Prozent. Wohl hatten viele gemerkt: Ganz so dringend ist ihre Post dann doch nicht, dass man einen Aufschlag dafür bezahlen will.
Um das Sortieren einfacher zu gestalten, liess die Post 1991 neue Briefmarken gestalten. Rot für schnelle A-Post, Blau für gemächlichere B-Post. Die Reaktion aus der Philatelisten-Ecke – also von den Briefmarkensammlern – war bescheiden. «Ausgesuchte Schönheiten sind die beiden etwas flach-verschwommen wirkenden Marken allerdings nicht, auch wenn sie für manche Philatelisten wohl eine eher erfreuliche Rückkehr vom Trend der Bildchenmarken zu dem der Markenmarken darstellen», schrieb die NZZ auf ihrer Schach- und Philatelie-Seite damals.
Eine andere Idee, A- und B-Post schneller zu sortieren, setzte sich nicht durch. In Aarau und Luzern stellten die PTT je einen Briefkasten für A- und einen für B-Post auf. Der Versuch wurde aber abgebrochen.
Seit der Einführung hat die Post ihre Tarife nach oben angepasst. Von 50 Rappen am Anfang stieg der Preis auf 85 Rappen für die B-Post. Bei der A-Post stieg der Preis um 20 Rappen in den letzten dreissig Jahren. Die nächste Erhöhung steht jedoch an. Wie hoch sie ausfallen wird, ist noch unklar, ebenso, ob sie bereits 2022 umgesetzt wird.
Das Paradoxe: Die Post führte die B-Post ein, um dem Berg an Briefen gerecht zu werden. Was damals niemand vorausgesehen hatte: Heute – 30 Jahre später – müssen die Pöstler Brote und Kleinpakete ausliefern, um besser ausgelastet zu sein. Eigentlich könnte man die Zweiklassengesellschaft bei den Briefen also wieder abschaffen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.