Deutscher Dauer-PilotSeit Jahren bremst er die Formel 1 ein
Bernd Mayländer pilotierte 2000 erstmals den Safety-Car und tut das noch immer. Er spricht über befürchtete Attacken von Ferrari-Fans und sagt, warum er nur am Donnerstag Vollgas gibt.
Es war im Vorjahr in Monza, als es Bernd Mayländer mulmig wurde. Kollegen sagten ihm: «Bernd, wenn du da rausgehst, aus dem Fahrerlager, dann ziehst du besser dein Hemd aus. Sonst erkennt dich noch einer.»
Bernd Mayländer ist ein Mann, der mehr Runden ein Formel-1-Rennen angeführt hat als ein Dutzend Weltmeister, 1000 sind es bald – und doch für gewöhnlich einen Job im Schatten der Glitzerwelt verrichtet. Safety-Car-Fahrer ist der Deutsche, seit 23 Jahren schon. Und manchmal eben doch im Fokus. Wenn die Piloten hinter ihm wieder einmal meckern, er solle doch schneller fahren. Oder er den Frust der Zuschauer zu spüren bekommt.
Damals, im Autodromo von Monza, hatten sich die Tifosi eine spannende Schlussphase erhofft. Nach Daniel Ricciardos Ausfall im McLaren wurde Mayländer in seinem Safety-Car erst noch mit Beifall empfangen, weil Ferrari-Pilot Charles Leclerc so zu Leader Max Verstappen aufschliessen konnte. Doch als die Bergungsarbeiten länger und länger dauerten, wurde der Unmut immer grösser. Bis das Rennen hinter dem Auto mit den Blinklichtern endete. Die Ferraristi sahen sich um eine mögliche Attacke ihres Lieblings betrogen, gellende Pfiffe hallten über die Strecke, Mayländer war einer der Sündenböcke.
An einem sonnigen Freitag Ende Mai sitzt der Mann aus Waiblingen bei Stuttgart in einer Loggia des Gebäudes, das der Automobilweltverband FIA im Fahrerlager von Monaco aufgebaut hat. «Solche Dinge sind nicht schön, aber das kann es halt geben», sagt er. Auch wenn er der falsche Blitzableiter ist.
Ständig im Austausch mit der Rennleitung
Auf die in einem Grand Prix gefällten Entscheidungen hat Mayländer keinen Einfluss. Zwar ist er in ständigem Austausch mit der Rennleitung, gibt Bescheid, wenn er nach einem Unfall noch irgendwo Autoteile herumliegen sieht, meldet, wie die Verhältnisse etwa bei Regen sind. Doch wenn es darum geht, wann er zum Einsatz kommt und wann er wieder in der Boxengasse verschwindet, ist Mayländer nur Befehlsempfänger.
Während die Formel-1-, Formel-2-, Formel-3-, oder Porsche-Supercup-Autos ihre Runden drehen, sitzt er mit seinem Beifahrer Richard Darker im Sicherheitswagen und schaut auf die zwei Monitore, auf denen sie das Rennen verfolgen können. Sie sticheln dann jeweils gegeneinander, stets suchen sie sich unterschiedliche Lieblingsfahrer aus. Wenn es dann, mitten in dieser Alberei, zu einem Unfall kommt, «schnellt das Adrenalin hoch», sagt Mayländer, er legt automatisch den ersten Gang ein und wartet am Ende der Boxengasse auf das Kommando: «Deploy Safety-Car». Dann rast er los mit seinen über 700 PS.
In diesen Momenten ist der 52-Jährige wieder der Rennfahrer, der er einst in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft oder im Porsche Carrera Cup war. Aber nur so halb. Oft hat er die Aufgabe, das Feld näher zusammenzubringen, also auch den Letzten aufschliessen zu lassen. Dann lotet er das Potenzial seines Sportwagens nicht aus – was bei jenen Piloten Ärger verursacht, die sich darum sorgen, dass ihre Pneus schnell abkühlen bei der Bummelfahrt. «Natürlich macht es mir als ehemaligem Rennfahrer mehr Spass, Vollgas zu geben, aber die Sicherheit lässt das nicht zu.»
An den Donnerstagen vor den Rennwochenenden ist das anders, da drückt Mayländer beim sogenannten Highspeed-Test eine Stunde lang mächtig aufs Gas, geht an die Grenze, manchmal auch darüber. Aber nur dort, wo es das verzeiht, wo es Auslaufzonen oder Schikanen ohne Abgrenzung gibt. Er testet die Bremspunkte, die Technik im Auto, das GPS, den Funk, die Kamerasysteme, die Abläufe zusammen mit seinem Beifahrer, den idealen Luftdruck, «ich prüfe den Wagen auf Herz und Nieren, gewöhne mich an ihn», sagt Mayländer. Schliesslich lässt sich der Mercedes anders fahren als der Aston Martin, der seit zwei Jahren ebenfalls zum Einsatz kommt.
Manchmal, wenn er in einer Schikane geradeaus rast, geschieht das nicht, weil er sich verbremst hat, sondern weil er die Bodenschleifen prüft, die dort verbaut sind. Sie melden den Kontrolleuren, wenn ein Fahrer an dieser Stelle abgekürzt hat.
Er war auch schon fitter – das Knie macht Sorgen
Trotz oft rasanter Fahrt sei er noch nie abgeflogen, sagt Mayländer. Einmal allerdings, 2011 in Shanghai, rutschte er bei Regen gefährlich weg, konnte das Auto aber gerade noch auffangen. Die Reflexe des Rennfahrers sind auch heute noch da, allerdings war Mayländer schon fitter. Das rechte Knie machte ihm in den letzten Jahren zu schaffen, im Winter liess er es operieren, bald ist das linke dran. «Ich kann auch nicht mehr so viel trainieren, weil ich geschäftlich sehr involviert bin», sagt er.
«Die Buben wollen auch etwas von mir haben. Von ihnen kann ich viel lernen, wie man frei sein kann, sich entspannen sollte.»
Für die FIA arbeitet Mayländer nur als Freelancer, sein Geld verdient er als Markenbotschafter von Mercedes, mit Kursen in Fahrsicherheit, zudem ist er in seiner Herkunftsregion seit zwei Jahren Weinproduzent – und seit fünf Jahren Vater von Zwillingsbuben. «Sie wollen auch etwas von mir haben. Ihre Entwicklung zu sehen, ist faszinierend. Von Kindern kann ich viel lernen, wie man frei sein kann, sich entspannen sollte und nicht immer so stressen.»
Es sind Eigenschaften, die Mayländer auch bei seinen Einsätzen braucht. Oft schon ist er an Unfällen vorbeigefahren, hat schreckliche Bilder gesehen. Ein Unfall ist ihm besonders geblieben: jener von Robert Kubica 2007 im BMW-Sauber. Mit 230 km/h ist der Pole in Kanada in die Leitplanke gekracht, von dort schmetterte es das Auto über die Strecke, wo es seitlich zu stehen kam.
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Kubica lag noch reglos im Cockpit, als Mayländer vorbeifuhr. «So etwas prägt sich ein», sagt er. Dass das Rennen nicht unterbrochen, sondern lediglich neutralisiert wurde, ist 16 Jahre danach schwer nachvollziehbar. «Heute würde sofort die rote Flagge geschwenkt, und das ist auch richtig. An solchen Dingen sieht man, wie sich die Formel 1 immer weiterentwickelt», sagt Mayländer.
Kubicas Unfall ist für ihn im ersten Moment ein Schock – später kommt die Faszination. Der Pilot kann nur 24 Stunden danach mit Prellungen, einer leichten Gehirnerschütterung und einer Fussverstauchung das Spital verlassen, derart sicher sind die Rennwagen schon damals. Heute sind sie diesbezüglich noch viel weiter.
Das Debüt des Safety-Cars wird zum Debakel
Das ist, was Mayländer mag an diesem Sport: dieser stetige Drang, sich zu verbessern, gerade, was die Sicherheit angeht. Dass sich die Formel 1 verändert und wächst.
An diesem Wochenende steht der nächste GP von Kanada an. Und für Mayländer wird es ein spezieller. Die FIA zelebriert das 50-Jahr-Jubiläum des Safety-Cars. Als der einheimische Egbert Wietzes 1973 im Mosport Park erstmals auf die Strecke einbog, tat er das in einem zitronengelben Porsche 914 – und sorgte für Verwirrung statt für Ordnung. Es war bald nicht mehr klar, welcher Fahrer nun führte, letztlich entbrannte gar eine Debatte darüber, wer denn gewonnen hatte. Derlei ist im heute hochprofessionellen Sport unvorstellbar.
Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Bernd Mayländer Teil davon. Und weil er vor seinen Einsätzen noch genauso nervös sei wie bei seinem Debüt 2000 in Australien, habe er auch nicht im Sinn, daran bald etwas zu ändern. «Ach was, jetzt geht es erst richtig los, schliesslich braucht es in meinem Job Erfahrung, und die habe ich mit über 430 Formel-1-Rennen.» In dieser Kategorie führt er übrigens unangefochten. Fernando Alonso kommt ihm mit 363 Starts noch am nächsten.
Eisbrecher
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