Magnus Carlsen vor der Schach-WM23 Niederlagen an einem Tag: So bereitet sich der Übermächtige also vor
Der Norweger dominiert die Schachwelt seit 2013, nun steht er in Dubai vor seiner dritten Titelverteidigung. Doch sein Herausforderer, der Russe Jan Nepomnjaschtschi, wird zur grossen Aufgabe.
Zweikampfsportarten haben nicht nur mit körperlicher Fitness, sondern auch viel mit Psychologie zu tun. Das gilt insbesondere für Schach, weil dort über Sieg und Niederlage vor allem kognitive Fähigkeiten entscheiden – und die sind bekanntlich von Emotionen begleitet. Selbstzweifel beispielsweise stören da die Performance enorm, denn sie mindern nicht nur Intensität und Präzision beim Durchrechnen der Varianten, sondern bauen allenfalls sogar die Zuversicht des Gegners auf.
Wie matchentscheidend die psychologischen Qualitäten sind, kann man vom aktuellen Weltmeister Magnus Carlsen lernen. Er hat seinen Titel im klassischen Turnierschach bereits zweimal erfolgreich gegen Spieler verteidigt, die vom Schachverständnis her als gleichwertig einzustufen waren. Sowohl der Russe Sergei Karjakin 2016 in New York als auch Fabiano Caruana 2018 in London kamen in ihren Wettkämpfen über zwölf Runden auch zu Chancen, nutzten sie aber nicht alle und brachen dann im Tiebreak ein, der US-Amerikaner Caruana geradezu kläglich.
Der in Oslo lebende Norweger hatte die kritischen Momente besser überstanden als seine Gegner, weil er von seinen Qualitäten überzeugt ist und keine Konfrontation scheut. Wann immer er herausgefordert wird, nimmt er den Kampf an, sei es im Tennis, im Basketball oder bei seinem Lieblingsfreizeitsport Fussball. Auch in diesen Disziplinen ist er gefürchtet, weil er in der Sporthalle wie auf dem Sandplatz oder dem Rasen wenig zimperlich in Zweikämpfe geht.
Fans sorgen sich um seinen Formstand
Mentale Fitness in Form von Spasshaben steht in der Prioritätenliste von Carlsen auch vor seiner dritten Titelverteidigung ab Freitag in Dubai ganz oben. Vor drei Wochen war er in der ARD-Sportschau kurz Thema, als ihn die TV-Kamerateams beim Champions-League-Spiel von Dortmund gegen Ajax Amsterdam an der Seite seines verletzten Landsmanns Erling Haaland ausmachten. Und jüngst war in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zu lesen, dass er fast zwei Wochen lang bei der Internetplattform lichess.org eingeloggt gewesen sei, um Blitzschach zu spielen. Unter seinem Nicknamen «DrNykterstein» habe er da an einem Tag 23 von solchen 1-Minuten-Partien verloren.
Offenbar führte das zu einigen negativen Kommentaren, Fans sorgten sich um seinen Formstand, was wiederum Carlsens Vater Henrik überraschte, der seinen Sohn seit der Kindheit an wichtige Turniere begleitet und ihn jetzt auch beim WM-Match in Dubai betreut. Laut FAZ gab der IT-Fachmann bezüglich WM-Vorbereitung seines Sohnes jedoch Entwarnung. Das Einzige, was bis anhin nicht nach Plan laufe, sei sein eigener Sturz bei der Reparatur am Hausdach gewesen, weshalb er seinen Sohn jetzt auf Krücken in die Arabischen Emirate begleiten müsse. Dort beginnt der 14-rundige WM-Match am Freitag, 26. November.
«Mein grösster Vorteil ist, dass ich besser Schach spiele.»
Wer sonst noch im Team Carlsen mitarbeitet, gehört – wie immer bei Schachweltmeisterschaften – zu den bestgehüteten Geheimnissen. Ein wesentlicher Grund für diese Abschottung ist, dass man so beispielsweise nicht erahnen kann, auf welche Eröffnungen oder andere Theorieelemente sich ein Spieler speziell vorbereitet. Denn im Spitzenschach ist bekannt, wer für welche Systeme oder auch Mittel- und Endspielkonstellationen als Experte gilt.
Auf die Frage, ob er es als Plus einschätze, dass er in WM-Kämpfen mehr Erfahrung habe als sein Gegner, antwortete der mittlerweile 30-jährige Norweger jüngst wenig diplomatisch: «Mein grösster Vorteil ist, dass ich besser Schach spiele.» So klar als Favorit hatte er sich weder vor seinem ersten Titelgewinn gegen Wiswanathan Anand noch vor den Matches gegen Karjakin und Caruana geäussert.
Nepomnjaschtschi kaum beeindruckt
Seinen jetzigen Gegner Jan Nepomnjaschtschi wird dieses selbstbewusste Statement kaum beeindrucken, er wird es eher als Ansporn nehmen. Denn er hat in klassischen Partien bisher nur einmal gegen Carlsen verloren, dafür zu Juniorenzeiten und später je zweimal gewonnen.
Geboren wie Carlsen 1990, aber am 14. Juli und somit viereinhalb Monate älter als der Norweger, galt auch er als hochbegabt. Aufgewachsen in einer intellektuellen und literaturaffinen Familie in der etwa 300 km von Moskau entfernten Stadt Brjansk, war er bereits als Achtjähriger Meisteranwärter und gewann einige russische wie internationale Jugendmeisterschaften.
2005 in Belfort wurde Nepomnjaschtschi U-16-Weltmeister, worauf viele weitere beeindruckende erste Plätze an internationalen und nationalen Turnieren folgten, unter anderem 2010 an der russischen Landesmeisterschaft, an der er im Stichkampf Karjakin bezwang. Auch in den Kategorien mit verkürzter Bedenkzeit gilt er aufgrund seiner kreativen Kombinationskunst als sehr gefährlich, weshalb sich Carlsen diesmal bei einem allfälligen Stechen deutlich weniger sicher sein kann als noch gegen Caruana.
Er liebt Kino, Katzen und Hunde
Mit wem genau sich der in Moskau lebende Nempomnjaschtschi auf Dubai vorbereitet hat und wer dort in seinem Sekundanten-Team auftauchen wird, ist genauso geheim wie bei Carlsen. Sicher ist nur, dass er schon vor mehr als 20 Monaten seinen Lebenswandel umgestellt hat und jetzt erstmals in seiner Karriere so seriös am Schach arbeitet, wie man es von einem Profi mit Titelambitionen erwartet. Eine Parallele zu Carlsen war zuvor nur insofern zu sehen, als auch er viel Zeit und Leidenschaft in Computerspiele investierte.
Auch wenn die meisten Beobachter auf einen Sieg Carlsens tippen: WM-Kämpfe sind immer speziell. Dieser bevorstehende in der Messehalle der Weltausstellung könnte durchaus einen neuen Weltmeister hervorbringen, den ersten russischen seit 2007 – und einen der leidenschaftlich gern ins Kino geht und von klein auf Hunde und Katzen mag.
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