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Endo Anaconda und sein Lied «Furt»
«Zärtlech, frei vertröimt u wild»

Go, Hene, go: Endo Anaconda beim Gurtenfestival 2014.

Es war eine grosse Ehre für Endo Anaconda: Vor zwanzig Jahren wurde sein Lied «Furt» in eine Sammlung mit dem Titel «Die schönsten Gedichte der Schweiz» aufgenommen, neben Gedichten von Gottfried Keller, Hans Arp, Albin Zollinger und anderen.

Herausgeber der Sammlung waren Peter von Matt, schon damals einer der bedeutendsten Germanisten, und der Lektor und Verleger Dirk Vaihinger. «Der Text von Anaconda hat poetische Energie, auch wenn sich diese erst mit der Musik zusammen voll entfaltet», schreibt Peter von Matt auf Anfrage in einer Mail.

Warum gehört dieses Lied zu den schönsten Gedichten der Schweiz?

«Furt», 1998 erschienen auf der LP «Chole», handelt vom Hauswart Hene, der eines Tages auf Nimmerwiedersehen einfach verschwindet, in der Hoffnung auf ein erfülltes Leben in der Ferne.

Die bleichen Schweizer Verschwinder

Damit greift Anaconda eines der häufigsten Motive der modernen Schweizer Literatur auf, um es pathetisch zu bekräftigen und zugleich zu ironisieren: Der Held, der plötzlich genug hat von allem und ins Unbekannte, Weite flieht, meist unter heftigen Verwünschungen heimatlicher Enge. Stiller bei Max Frisch, Konrad Zündel bei Markus Werner, der Icherzähler in Paul Nizons «Untertauchen», Raimund Gregorius in Pascal Merciers «Nachtzug nach Lissabon». 

«Auffällig viele helvetische Romanfiguren treibt es derzeit ins Nirgendwo. Was ist da los in der Alpenrepublik?», fragte sich vor einigen Jahren eine Kritikerin der FAZ und nannte als weitere, jüngere Beispiele Romane von Peter Stamm, Jonas Lüscher und Lukas Bärfuss.

Bloss sind all diese helvetischen Verschwinder bleiche Intellektuelle, Bildhauer und Gymnasiallehrer, ein NZZ-Kulturjournalist, ein Rhetorikprofessor, ein Immobilienmakler. Sie fliehen vor verdorrten Ehen, öden Berufen, Existenzkrisen, deren Gründe sie selber nicht ganz verstehen. Anaconda hingegen – das ist die Pointe seines Liedes – setzt den urbanen Verzweiflern einen Mann aus dem einfachen Volk entgegen, den das kollektive Cervelat-Gebrätel in der samstäglichen Berner Agglo-Hochhaussiedlung Holenacher in die Flucht schlägt. 

Die Treppe fegt er noch

Ein widersprüchlicher Mensch, dieser Hene: In bieder-schweizerischem Pflichtbewusstsein fegt er vor seinem Abgang noch die Treppe sauber und hängt ordentlich seinen Schurz auf, hat dann aber doch die kriminelle Energie, um die Monatsmieten des ganzen Blocks mitlaufen zu lassen. Und er träumt nicht von Genua, Barcelona oder Lissabon, nicht von den Weiten Amerikas und den Geheimnissen Yucatáns, sondern von der thailändischen Sex-Destination Pattaya. 

Bei aller Bewunderung für seinen Helden erlaubt ihm Anaconda nicht einmal im Moment des grossen Sprungs, die verschwitzte Berner Behäbigkeit abzustreifen.

«We mer chönnte, mir giengte ja ou.»

Endo Anaconda, «Furt».

Aber dann sind da auch die kalten Zeilen: «Niemer hätti sich das dänkt/ Niemer, dass är nid sich sälber eines Tags/ Sondern nume sy Abwartsschurz ufhänkt.» Was die Nachbarn im Holenacher schockiert, ist Henes Flucht. Hätte er sich stattdessen umgebracht, hätten sie es als normal empfunden. Beiläufiger, bedrohlicher lässt sich das Grauen dieser Normalität nicht schildern.

In der letzten Strophe verdichtet Anaconda die Spannung seines Liedes noch einmal. Er wird etwas pathetisch, wenn er Henes neues Leben als «zärtlech, frei vertröimt u wild» schildert – aber was bleibt von diesem Wagemut symbolisch in der Heimat zurück? Ein Abwartsschurz an einer Fahnenstange neben dem Sandkasten – «luegit Giele/ Also luegit dasch es Bild also.»

Am Ende des Refrains und am Ende des Liedes heisst es: «Go Hene go/ We mer chönnte, mir giengte ja ou.» Genau so ist es. Oder?

«Furt» ist ironisch, zärtlich, witzig und zugleich voll melancholischen Ernsts. Es hält auf grossartige Weise die Balance zwischen Heiterkeit und Traurigkeit, und es spielt souverän mit einem grossen literarischen Motiv. Darum steht es zu Recht in der Sammlung mit den schönsten Gedichten der Schweiz.  

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