Leser fragenWie weit darf Tierliebe gehen?
Man sollte die Inkonsequenz, dass im Dosenfutter auch ein Tierleben steckt, weder verleugnen noch beschönigen.
Eine Bekannte von mir hat einen Hund aus Italien nach Hause gebracht. Er ist alt, hat eine Rückenverletzung und braucht ständig Schmerzmittel. Sie hält ihn am Leben, wohl wissend, dass dafür ein anderes, gesundes Tier sterben muss – schliesslich frisst ihr Hund Fleisch. Ich halte dies, ehrlich gesagt, für verfehlte Tierliebe. Was meinen Sie dazu? Denke ich – selbst Hundebesitzer – zu kategorisch, zu rational? G.A.
Lieber Herr A.
Ich fürchte: Ja. Ich habe nichts für Tierfreunde übrig, die für Tierrechte auch über Menschenleichen gehen würden, und nichts für unbelehrbare Taubenfütterer, die es nicht schert, was sie damit bei ihren Lieblingen anrichten. Ich habe etwas gegen Hundehaltung, die darin besteht, das Tier in einem Handtäschchen herumzutragen, statt für den Auslauf zu sorgen, den auch ein sehr kleiner Hund braucht. Etc. Vielleicht haben Sie ja recht, dass der gut gemeinte Versuch Ihrer Bekannten, den armen alten kranken Hund am Leben zu erhalten, mittlerweile eher Tierquälerei als Tierliebe ist. Das kann ich aus der Ferne nicht entscheiden. Aus der Nähe könnte ich das aber wahrscheinlich auch nicht. Mindestens kann ich Ihre Bekannte gut verstehen.
Ich habe eine Twitter-Freundin, die (u.a.) Schnecken pflegt und deren Häuschen repariert. Ich finde das nicht nur rührend, sondern auch richtig. In der Zeit, in der sie das tut, könnte sie natürlich auch kellnern und das verdiente Geld für Flüchtlinge spenden. Wäre das besser? Schnecken in freier Wildbahn leben ohnehin nur ein paar Jahre, verletzte werden von den Raben gefressen, und die wollen schliesslich auch essen.
An einem Pol waltet blinde Sentimentalität, am anderem unmenschliche Vernünftelei und pure Zweckrationalität.
Ich kann die Grenze nicht angeben, jenseits derer die Vernunft langsam, aber sicher in Rohheit übergeht, in gefühlskaltes Kalkül. Es ist ein Spektrum, an dessen einem Pol blinde Sentimentalität waltet und am anderem Pol unmenschliche Vernünftelei und pure Zweckrationalität herrschen. Auch Vernunft kann nämlich pervertieren. Zwischen diesen beiden Enden gibt es Inkonsequenz, Unklarheit, aber eben auch Mitleid und Menschlichkeit.
Menschlichkeit gegenüber Tieren ist natürlich immer anthropozentrisch gedacht, und es ist gewiss klug, diese Anthropozentrik zu reflektieren und gegebenenfalls zu zügeln. Sie lässt sich aber nicht beseitigen. Es wäre keine menschliche Gesellschaft, in der das Leben eines Gesunden gegen das eines Kranken aufgerechnet würde. Dasselbe dem Leben eines Tieres zuzugestehen, ist vielleicht nicht sehr vernünftig, aber es ist in einem guten Sinne menschlich. Doch Sie haben in einem Punkt recht: Man sollte die Inkonsequenz, dass im Dosenfutter auch ein Tierleben steckt, weder verleugnen noch beschönigen. Möglicherweise kommt man zum Schluss, dass man besser keinen Hund hält.
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