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Meinung

Gastkommentar zur Organspende
Schweigen ist keine Zustimmung

Es gibt davon zu wenige: Im Universitätsspital Lausanne wird ein gekühltes Spenderorgan in den Operationssaal gebracht.
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Auch wenn wir es neben Corona kaum wahrnehmen: In der Schweiz wird aktuell eine heikle Frage politisch verhandelt, die jeden betreffen kann. Es geht um die Voraussetzungen für die Organentnahme nach dem Tod zum Zweck der Transplantation. Die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» schlägt vor, die sogenannte Widerspruchslösung in der Verfassung zu verankern. Damit würde jeder, der nicht zu Lebzeiten seine Ablehnung geäussert hat, als Spender betrachtet.

Wenn ausreichend Spenderorgane verfügbar wären, so die Initiative, könnten jedes Jahr rund 100 Menschenleben gerettet werden. Diese Zahl mag angesichts der über 10’000 Menschen, die jährlich in der Schweiz allein durch Alkohol- oder Tabakkonsum sterben, gering erscheinen. Dennoch ist die Möglichkeit einer Transplantation für die Betroffenen natürlich von grosser, oftmals existenzieller Bedeutung.

Die Widerspruchslösung wäre aber eine radikale Neuerung. Bislang ist das Vorliegen einer expliziten Zustimmung des Verstorbenen oder der Angehörigen Voraussetzung für die Organentnahme («erweiterte Zustimmungslösung»). Nur etwa 16 Prozent der Schweizer haben einen Organspendeausweis, auf dem sie ihren Willen bezüglich der Spende dokumentieren können, und nur 1 Prozent hat sich bisher ins neue Organspenderegister eingetragen. Doch auch ohne dokumentierten Willen können Familien der Spende zustimmen, wenn sie der Ansicht sind, der Verstorbene habe dies so gewünscht.

Von einer Spende im Sinne einer freiwilligen Entscheidung für die Freigabe
der Organe nach dem Tod kann keine Rede sein.

Die Widerspruchslösung hingegen setzt Schweigen mit Zustimmung gleich. Das ist allerdings eine gewagte Annahme: Wie die Schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt, hat sich nur ein Viertel der Bevölkerung «voll und ganz» mit dem Thema Organspende befasst, die Mehrheit hat sich damit überhaupt nicht oder eher nicht auseinandergesetzt. Diese Zahlen sind seit 2007 relativ konstant geblieben.

Die Widerspruchslösung würde somit dazu führen, dass auch Organe von Menschen entnommen werden, die ihre Ablehnung nur deswegen nicht kundgetan haben, weil sie sich mit dem Thema nicht befassten. Oder weil sie nicht wussten, wo ein solcher Widerspruch registriert werden muss, oder weil sie Angst hatten, als Nichtspender irgendwelche Nachteile zu erfahren. Von einer Spende im Sinne einer freiwilligen, bewussten Entscheidung für die Freigabe der Organe nach dem Tod kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Eher handelt es sich um eine Inanspruchnahme brauchbarer Organe in Abwesenheit eines dokumentierten Widerspruchs.

Müssen wir uns also entscheiden zwischen mehr Organen und mehr Freiwilligkeit?

Der Bundesrat sieht in seinem indirekten Gegenvorschlag eine erweiterte Widerspruchslösung vor, die es auch den nächsten Angehörigen erlaubt, der Organentnahme zu widersprechen. Auf diese Weise kann der mutmassliche Wille der verstorbenen Person Berücksichtigung finden, auch wenn keine dokumentierte Ablehnung vorliegt. Allerdings mutet dies den Angehörigen zu, sich in einer sehr vulnerablen Situation aktiv gegen eine Spende auszusprechen.

Müssen wir uns also entscheiden zwischen mehr Organen und mehr Freiwilligkeit? Neuere Ansätze legen nahe, dass es möglich ist, die Zahl verfügbarer Organe zu erhöhen, ohne die Idee der freiwilligen Spende zu kompromittieren. Die sogenannte Entscheidungs- oder Erklärungslösung setzt darauf, die Bevölkerung nicht nur aktiv zu informieren, sondern gezielt Gelegenheiten zu schaffen, die eigene Position zur Spende zu deklarieren. Das kann bei der Ausstellung der elektronischen Gesundheitskarte sein, bei der Erneuerung der Identitätskarte oder des Fahrausweises.

In Deutschland hat das Parlament Anfang 2020 den Vorschlag, die Widerspruchslösung einzuführen, zurückgewiesen und die Entscheidungslösung beschlossen. Die Nationale Ethikkommission der Schweiz hat eine solche Lösung bereits im Herbst 2019 empfohlen. In der Tat scheint diese Strategie am besten geeignet, nicht nur den Nutzen, sondern zugleich Transparenz, Respekt, Fairness und damit das Vertrauen zu maximieren, das für den nachhaltigen Erfolg der Transplantationsmedizin unabdingbar ist.