Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Ausstellung in der Fondation Beyeler
Lüsterne Blüten waren ihre Spezialität

Georgia O’Keeffe: «White Iris No. 7» (1957).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wer denkt nicht bei Georgia O’Keeffe an die geradezu lüsternen Blüten, die sie weltberühmt gemacht haben. An die mal satten und intensiv kolorierten, dann wieder weich und diffus gemalten Blütenblätter, Staubblätter und Blütenstempel, die sie so prominent ins Bild rückte wie niemand zuvor.

Mit den «Oriental Poppies» (1927) oder dem Gemälde «Jimson Weed / White Flower No. 1» (1932) zeigt die grosse Retrospektive in der Fondation Beyeler, wie plakativ Georgia O’Keeffe sein kann. Sie hat schon in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts Bilder gemalt, die so bunt, explizit und demonstrativ sind, wie uns das erst wieder in der Pop-Art der sechziger Jahre begegnen wird.

Fotografischer Blick

Sie zeigen eine Malkunst, die pflanzliche Natur unter die Lupe nimmt, sie einem technischen Blick unterzieht, der immer auch mit Sinnlichkeit gepaart ist. Nein, es ist nicht der Blick der Wissenschaftlerin durch das Mikroskop, der diesen Bildern Pate gestanden hat, sondern viel eher die Wahrnehmung einer malenden Fotografin oder einer fotografierenden Malerin, die mit ihrer Kamera einen präzisen Ausschnitt wählt und mit ihrem Objektiv die relativ kleinen Erscheinungen der Natur ins Riesenhafte vergrössert.

Georgia O’Keeffe: «Series I, No. 8» (1919).

Und dieses malerische Objektiv ist durchlässig für jene eingangs schon erwähnte Lüsternheit, die sich in den beinahe obszön erscheinenden, magisch anziehenden Formengebilden Ausdruck verschafft, die an weibliche Genitalien erinnern. Es gab Kritiker, die sie über den grünen Klee lobten, wie Paul Rosenfeld, der sie 1922 in «Vanity Fair» als Malerin «exquisiter Feinheiten» bezeichnete und etwas anzüglich meinte, dass sie «genau fühle, wo sie am meisten Frau sei» und sich als Malerin mit «gleicher Tiefsinnigkeit in die äussere Natur begebe». Wohingegen der Kritiker Clement Greenberg feststellte, ihr Werk sei «kaum mehr als getönte Fotografie».

Die 1887 geborene Künstlerin, die in ärmlichen Verhältnissen auf einer Milchfarm in Wisconsin aufgewachsen ist, arbeitete, lehrte und studierte zuerst Kunst in Texas, South Carolina, Illinois und Virginia. Sie hatte ihre Lehr- und Wanderjahre hinter sich, als eine ihrer Freundinnen in New York am Neujahrstag 1916 dem legendären Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz ihre abstrakten Kohlezeichnungen zeigte. Stieglitz war begeistert und rief erfreut aus: «Endlich eine Frau auf Papier (Finally a woman on paper).» (Die Zitate stammen aus dem Katalog.)

Abstrakte Natur

Mit den abstrakten Kohlezeichnungen und anderen Arbeiten aus den 1910er-Jahren beginnt der erste Saal dieser grossartigen Ausstellung bei Beyeler. Hier bekommt man in nuce eine Vorstellung davon, was sich in den Werken dieser Künstlerin, die 99 Jahre alt werden sollte, abspielen wird. Zu sehen sind abstrakte Formen, schneckenförmige Gebilde, der Blick aus einer dreieckigen Zelttür, die den Nachthimmel rahmt, sowie wolkige Aquarelle, in denen Landschaften zu Farbe und Form gerinnen.

Georgia O’Keeffe: «From the Lake, No. 1» (1924).

85 Ölgemälde, Zeichnungen und Aquarelle sind in Riehen zu sehen. Die allermeisten stammen aus den USA, weil sich in den dortigen Privatsammlungen und Museen auch die meisten Bilder dieser Ikone der amerikanischen Moderne befinden. Entstanden ist die Show übrigens in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou in Paris, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid und dem Georgia O’Keeffe Museum in Santa Fe. Dadurch konnten die europäischen Museen die Transportkosten der Bilder durch drei teilen. Die Koproduktion macht nicht zuletzt auch unter ökologischen Gesichtspunkten Sinn.

Aktmodell für Stieglitz

O’Keeffe verbrachte die ersten Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der Metropole New York. Sie hatte in Alfred Stieglitz, der mit seiner grossen Galerie 291 an der Fifth Avenue die Kunst der europäischen Moderne propagierte, einen einflussreichen Förderer, grossen Bewunderer und zwanzig Jahre älteren Liebhaber, der sich nicht nur für ihre Kunst erwärmte, sondern unzählige Aktfotos von ihr machte, die er dann auch ausstellte. 1924 heirateten die beiden.

Georgia O’Keeffe: «Lake George with Crows» (1921).

Die von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung bei Beyeler widmet dem Bild von dieser schönen und eigenwilligen Künstlerin, die für viele auch eine modische Stilikone war, einen ganzen Raum. Danach begibt sich die Schau mit O’Keeffe und ihrer Kunst auf eine geografische Reise durch die USA. Dabei lernen wir auf relativ kleinem Raum die Blumenmalerin kennen. Noch beschränkter ist die Auswahl von Stadtbildern, die bei O’Keeffe oft aus schemenhaften Wolkenkratzern vor wolkigen Himmeln bestehen, auf denen Lampen und Leuchten besondere Akzente bilden. Viel wichtiger sind in dieser Show aber die Gemälde, die am Lake George entstanden sind, einem See in der Nähe New Yorks, an dem die Familie Stieglitz ein Haus hatte.

Landschaft am Lake George

In den 1920er-Jahren hielt sich O’Keeffe dort regelmässig allein oder mit ihrem Mann auf und malte den See, die Bäume, die Herbstblätter. Sie fand dabei immer wieder den Weg ins Abstrakte, stellte ungemein bunte und farbenfrohe, wellenartige Berge dar, liess verschlungene, ja geradezu schlangenförmige Bäume und Sträucher entstehen und zeichnete Herbstblätter, in denen man, so man will, auch weibliche Körperformen erkennen kann.

Georgia O’Keeffe: «Black Hills with Cedar» (1941).

Das Anthropomorphe begegnet einem auch wieder in den Bildern aus New Mexico, das O’Keeffe 1929 zum ersten Mal mit ihrem Mann besuchte und wo sie dann 1949, drei Jahre nach dem Tod von Alfred Stieglitz, Wohnsitz nimmt. Hier wird sie in ihrer «Ghost Ranch» bis zu ihrem Lebensende 1986 wohnen. Sie macht immer wieder Ausflüge in die «Bisti Badlands» im Navajo-Gebiet mit ihren kargen, aussergewöhnlichen Gesteinsformationen, die sie «The Black Place» nennt.

Die Berge in New Mexico

Während des Zweiten Weltkriegs entstehen hier mehrere Werkserien, welche die grauschwarze Hügellandschaft mit einer ungewohnt dunkeln Farbpalette wiedergeben. O’Keeffes wellenförmige Berge erinnern an faltige Haut. Der symmetrische Aufbau der Gemälde an liegende Menschen. Es kommt einem vor, wie wenn das moderne, städtische Künstlerinnensubjekt in der gebirgigen, den Indianern heiligen Natur sich gespiegelt gesehen hätte.

Verbrachte die ersten Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der Metropole New York, später zog es sie nach New Mexico: Georgia O'Keeffe.

Das Spätwerk schliesslich, das bei Beyeler rund um ein Mobile von Alexander Calder gruppiert ist, teilt sich in die berühmten Gemälde von ihrem Haus in New Mexico, die wie Vorläufer der Farbfeldmalerei wirken, und hinreissend sanften, nahezu abstrakten Landschaftsbildern aus der Vogelperspektive, in denen Flüsse oder Strassen geschwungene Linien zeichnen.

Georgia O’Keeffe: «Patio with Cloud» (1956).

Die Ausstellung dauert vom 23.1. bis zum 22.5.2022. Der Katalog zur Ausstellung kostet 62.50 Franken.