Steigende Mieten und WohnungsnotBei Leerkündigungen ziehen ältere Mieterinnen und Mieter als Erste aus
Weil das Haus saniert oder abgerissen werden soll, müssen die Bewohner ausziehen. Welche Personen die Verdrängung in der Stadt Zürich besonders trifft.

- Jährlich werden schweizweit über 2000 Mehrfamilienhäuser leergekündigt.
- Betroffene Mieterinnen und Mieter haben durchschnittlich drei Jahre Zeit bis zum definitiven Auszug.
- Nach einer Sanierung haben neue Mieter ein monatlich um 3623 Franken höheres Einkommen als die Vormieter.
An der Döltschihalde in Wiedikon ist es passiert, an der Winterthurerstrasse in Schwamendingen und zuletzt an der Neugasse im Kreis 5, wo die bekannten Sugus-Häuser stehen: Weil die Wohnungen saniert oder die Häuser Zwecks Neubau abgerissen werden sollen, erhielten alle Mieterinnen und Mieter die Kündigung.
Die genannten Adressen sind nur drei unter vielen: Zwischen 2018 und 2022 wurden in der gesamten Schweiz jährlich mehr als 2000 Mehrfamilienhäuser mit knapp 30’000 Bewohnenden leergekündigt, und zwar hauptsächlich in den grossen Städten und Tourismuszentren. Das schreibt die Zürcher Kantonalbank (ZKB) in ihrer Studie zu Leerkündigungen vom November 2024.
In dieser Zeitspanne entfielen allein auf die Stadt Zürich 1270 der schweizweit insgesamt 10’900 entmieteten Mehrfamilienhäuser. In keiner anderen Stadt kam es zu mehr Leerkündigungen.
ZKB-Studie liefert Informationen zu Leerkündigungen
Aktuelle Zahlen zeigen nun: Nachdem die Leerkündigungen im Kanton Zürich im Jahr 2021 ihren Höhepunkt erreichten und dann abnahmen, ist auf 2023 wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor.
Die ZKB geht in ihrer aktuellen Studie der Frage nach, wie lange Mieterinnen und Mieter Zeit haben, eine neue Bleibe zu finden, nachdem sie die Kündigung erhalten haben. Und wer von ihnen wie schnell auszieht.
Anders als im Fall der Sugus-Häuser, bei denen die Bewohnerinnen und Bewohner zuerst eine Frist von vier Monaten erhielten, die später um sechs Monate verlängert wurde, gelten in der Regel längere Zeitfenster. Laut ZKB-Analyse haben Mieterinnen und Mieter mindestens drei Jahre Zeit, bevor sie ihre Wohnung endgültig verlassen müssen.
Ob dies auf Initiative der Vermieterinnen geschieht oder ob Mieter den Auszug nach dem Kündigungsschreiben hinauszögern können, kann allerdings nicht beantwortet werden.
Zwischennutzungen durch 20- bis 30-Jährige
Untersucht wurden auch die Altersstruktur der Mieterschaft und die Frage: Wer zieht wann aus? Betrachtet wurden dafür Gebäude, die 2023 vollständig entmietet sein sollten. Bereits mehr als drei Jahre davor ging der Anteil älterer Personen zurück. «Das legt nahe, dass die Mietenden schon damals von der Entleerung wussten und die Ü-60-Jährigen am frühesten eine neue Wohnlösung gefunden haben», schreibt die ZKB.
Und dort, wo ältere Personen eine Wohnung verliessen, rückten junge zwischen 20 und 30 Jahren als temporäre Zwischenmieter nach. Bis zur Leerräumung 2023 gehörte jeder fünfte Bewohner zu dieser Alterskategorie.
Wohin die Menschen ziehen, die ihre Wohnungen zwangsweise verlassen mussten, zeigte die ZKB bereits Ende 2024 auf: Zwei Drittel fänden innerhalb der Gemeinde eine neue Wohnung, und 12 Prozent kämen in einer Nachbargemeinde unter. Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter blieben zu fast 80 Prozent in der Gemeinde, und von den über 65-Jährigen, blieben 84 Prozent in der Stadt und davon mehr als die Hälfte im Quartier.
Nur die wenigsten können sich die neuen Mieten in ihren alten Wohnungen nach einer Sanierung noch leisten. Eine Studie der ETH Zürich und «Spur – Raumentwicklung und Stadtpolitik» von 2023 kommt zu dem Ergebnis, dass Haushalte nach einer Renovation monatlich ein Einkommen haben, das 3623 Franken höher ist als das der Vormieterschaft.

Dass zwischen 60 und 80 Prozent der aus ihren Wohnungen verdrängten Personen im Quartier oder in ihrer Gemeinde bleiben können, sehen auch die ETH-Forscher: Verdrängte Personen in Zürich zögen mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Kreise 11 und 12 (Oerlikon, Schwamendingen) oder in die Umgebung der Stadt, zum Beispiel nach Regensdorf, Bülach, Schlieren, Dietikon oder Adliswil.
Auf den ersten Blick sei es zwar eine gute Nachricht, wenn verdrängte Personen vornehmlich in ihren Gemeinden bleiben könnten, aber es reiche nicht, nur eine Kennzahl zu betrachten, sagt David Kaufmann, ETH-Professor und Co-Autor der Studie. Denn unter Leerkündigungen seien zwei Gruppen überdurchschnittlich betroffen: die ausländische Bevölkerung und alleinerziehende Eltern. «Renovationen führen zu einer Verdrängung von Personen mit tiefen Einkommen», sagt Kaufmann.
Gefahr der Mehrfachverdrängung durch Sanierung
Um in ihrer Gemeinde bleiben zu können, zögen sie oft in ältere Gebäude und Nachbarschaften mit tieferen Einkommen. «Bei älteren Gebäuden besteht die Gefahr einer Mehrfachverdrängung aufgrund von Abriss und Sanierung», sagt er.
Auch ältere Personen seien besonders von Leerkündigungen betroffen. Vergleicht man die freiwilligen Umzüge der Personen über 60 mit den erzwungenen, fällt der Anteil erzwungener Umzüge doppelt so hoch aus. Und wollen sie in ihrem vertrauten Umfeld in der Nachbarschaft bleiben, finden sie dort oft keine für sie bezahlbare Wohnung mehr. «Ältere Menschen gehen deshalb oft früher ins Altersheim, obwohl sie vielleicht noch gar nicht wollen», sagt David Kaufmann.
Die ZKB kommt in ihrer Studie zu dem Schluss: «Es braucht daher einen Grundstock alter Wohnungen mit Sanierungsbedarf. Nur so kann günstiger Wohnraum das Angebot von Genossenschaften ergänzen.»
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