Art Basel nach der PandemieGlobal, divers, korrekt
Die Art Unlimited, die Basler Schau der grossen Kunstformate, zeigt viele Newcomer aus aller Welt und hält sich bei den Stars des Kunstbetriebs zurück.

Die Art Basel ist zurück. Nach einer pandemiebedingten Pause und einer in den Herbst 2021 verschobenen Messe sind zur 52. Ausgabe wieder Tausende von Besucherinnen und Besuchern aus Europa zum traditionellen Junitermin nach Basel gekommen. Der Ansturm auf die Vernissage der Art Unlimited, die am Montag stattfand, war zwar etwas kleiner als in den Spitzenjahren vor der Pandemie. Dennoch waren vom Champagner, der jeweils zu diesem Anlass ausgeschenkt wird, schon vor 18 Uhr nur noch riesige Berge von leeren Flaschen übrig, die in grossen grauen Plastikcontainern entsorgt wurden. Wer sich zu lange von der Kunst in Bann schlagen liess, ging wie in den Jahren vor der Pandemie leer aus.
Alles wie gehabt? Nimmt man den Messeplatz zum Massstab, dann ist der Auftritt der Kunstmesse eindeutig bescheidener als in früheren Jahren. Einst setzten mächtige Kunstinstallationen, ja ganze Architekturen vor den Messehallen ein klares Signal, dass es im Innern um Kunst geht. Jetzt weisen nur ein paar weisse Sitzgelegenheiten darauf hin, dass hier ein grösserer Event stattfindet. Nach wie vor ist der Platz aber beflaggt, und nach wie vor machen die wichtigsten Kunstinstitutionen der Stadt mit gigantischen Plakaten auf der Fassaden der Gebäude am Messeplatz auf ihre Ausstellungen aufmerksam. Allen voran das Kunstmuseum und die Fondation Beyeler, die mit «Picasso–El Greco» und «Mondrian» im Juni zwei neue, grossartige Ausstellungen lanciert haben.
Die Grenzen der Kunst
Das Kunstangebot der Unlimited im Innern der Halle 1, dem Glaspalast, der vom Zürcher Architekten Theo Hotz 1999 erbaut wurde, ist weniger sensationell, weniger originell und weniger gigantisch als in früheren Jahren. Es ist, um das naheliegende Wortspiel zu bemühen, eher limited als unlimited. Unlimited ist die Schau allenfalls in geografischer Hinsicht: Giovanni Carmine, der die Grossausstellung zum zweiten Mal kuratiert, setzt anstelle der grossen Namen des internationalen Kunstbetriebs auf Globalisierung, aber auch auf Newcomer und Diversität.

Er zeigt viele kaum bekannte Künstlerinnen und Künstler aus Malaysia, aus Kamerun, der Elfenbeinküste, aus dem Libanon und Saudiarabien, Brasilien, der Slowakei und Rumänien. Man habe, so Marc Spiegler, der Direktor der Art Basel im Vorwort des Unlimited-Katalogs, vor allem auf Debütanten gesetzt, denn «die Kunstwelt und ihre Märkte öffnen sich zusehends für Perspektiven, die lange Zeit durch systematische Vorurteile, wirtschaftliche Belange und intellektuelle Trägheit marginalisiert worden waren».
Vorwiegend Gemälde
Natürlich kommt auch die diesjährige Art Unlimited nicht ohne grosse Namen wie Carl Andre, Isa Genzken, Keith Haring, Jenny Holzer, Rebecca Horn, Gerhard Richter und Wolfgang Tillmans aus. Aber diese Stars des Kunstbetriebs kommen in der Ausstellung nicht wirklich zum Glänzen. Und die weniger bekannten Namen sind eindeutig in der Überzahl. Und was noch auffälliger ist: Die grossen Installationen, die einst das Wesen der Art Unlimited ausmachten, sind eher die Ausnahme als die Regel. Da gibt es zum Beispiel die etwas verwunderliche Installation eines Stano Filko, der in der Mitte der Ausstellung mit seiner 2006 entstandenen Kombination aus horizontalen und vertikalen Metallröhren samt Ballon und Leiter so etwas wie eine private Kosmogonie zur Darstellung bringt.

Da sticht auch Folkert de Jongs «The Shooting … 1st of July 2006» hervor, eine sich auf Goyas berühmtes Gemälde «Die Erschiessung der Aufständischen» beziehende Figurengruppe aus bemaltem Styropor, die anhand einer an Kasperletheater erinnernden Szene aus der niederländischen Kolonialgeschichte nahelegt, dass Schuld und Unschuld in keinem Krieg eindeutig verteilt sind. In diese Reihe von Grossskulpturen gehört auch Leonardo Drews «Number 341», eine ganz hinten in der Hotz-Halle eingerichtete Installation, die Tausende von vorwiegend schwarz bemalten Holzsplittern so in einer Ecke aufschichtet, dass es aussieht, wie wenn eine Bombe eingeschlagen wäre. Angesichts der Zerstörung ukrainischer Städte durch die Russen ist Drews Werk so etwas wie die Kunst der Stunde.
Erinnerungen an die Kindheit
Im Grossen und Ganzen herrscht aber Flachware vor, wie man Gemälde gerne etwas despektierlich nennt. Sie sind, auch die grossen Formate, einfacher zu transportieren als die grossen Installationen. Und wenn die Malerei auf Tüchern oder Leder platziert wird, lässt sie sich sogar mit wenigen Handgriffen zur raumgreifenden Installation umfunktionieren, wie das etwa die deutsche Künstlerin Raphaela Vogel mit ihrem Werk «The (Missed) Education of Miss Vogel» (2021) beweist. Oder auch der US-Amerikaner Jim Shaw, der in einer Installation, die an eine Theaterbühne erinnert, auf hintereinandergehängten Tüchern in zarten Farben einen Abgesang auf den Superman-Mythos inszeniert.

Malerei ist auch ökologisch weniger bedenklich als Grossinstallationen, zu deren Herstellung viele spezielle Materialien verwendet werden. Insofern verhält sich Carmines Schau politisch überaus korrekt. Sie ist ein Spiegelbild der aktuellen, durchwegs sehr nachdenklichen und, ja, auch etwas braven Kunstproduktion, mit der sich Künstlerinnen und Künstler in einer Welt zu orientieren versuchen, die von Kriegen, Pandemien, Klimakatastrophen, gesellschaftlichen Spannungen und postkolonialen Traumata beherrscht ist.
Die neue Bescheidenheit – oder sollen wir Demut sagen? – kommt nicht zuletzt auch jenen Besucherinnen und Besuchern entgegen, die sich angesichts des Kriegs der Russen in der Ukraine etwas fehl am Platz vorkommen, wenn sie durch Kunstausstellungen flanieren, anstatt den Ukrainern zu helfen. Aber auch die Pandemie macht sich ja wieder still und unheimlich bemerkbar. So versteckte sich an der Vernissage der Unlimited bestimmt schon wieder eine von zehn Personen hinter einer Maske. Nichts anderes schützt einen besser vor der nächsten Krankheitswelle. Nichts anderes macht einem die eigene Kleinheit und Endlichkeit stärker bewusst.
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