Clubs müssen immer mehr bietenSchnickschnack und Bling-Bling statt Bier und Wurst
Einfach nur ein Eishockeyspiel schauen, das reicht dem Publikum meist nicht mehr. Drei Schweizer Hockey-Profis haben sich in ihrem Studium mit dem Phänomen beschäftigt.
- Die Digitalisierung verändert zunehmend das Eishockeyerlebnis in der Schweiz.
- Einfach nur dem Publikum ein Spiel bieten reicht nicht mehr.
- Die Bedeutung sogenannter «Modefans» ist dabei gross.
- Es gibt Parallelen zwischen Proficlubs und klassischen Medien.
Es mag der Traum der Traditionalisten und Romantiker sein: Ein Eishockeyspiel in einer kalten Halle, kein amerikanisierter Schnickschnack und technischer Bling-Bling, dafür Wurst und Bier in der Hand – mehr braucht es nicht. Doch die Realität ist auch in der National League, der höchsten Schweizer Liga, eine andere.
Für die Clubs reicht es längst nicht mehr, bloss ein reines Sportereignis zu bieten. Die NL ist zwar ein Erfolgsmodell, die Hallen sind gut gefüllt, dafür sorgen auch die bei einem Teil vom Stammpublikum oft als «Modefans» verspotteten Gelegenheits- und Event-Zuschauer. Ihnen muss aber nicht nur in immer moderneren Stadien einiges offeriert werden, sondern auch rund um das Ereignis. Vor allem im Internet.
Instagram? Teletext und Zeitung aus Papier!
«Dass die Digitalisierung auch im Eishockey immer weiter voranschreitet, sieht man bereits in den Stadien, wo immer mehr geboten wird», sagt Michael Hügli. Der 29-jährige Stürmer des Lausanne HC ist einer von drei Profispielern, die für ihre Bachelorarbeit an der Fernfachhochschule Schweiz NL-Clubs untersucht haben. Auf Onlineauftritte. Oder digitale Fan-Interaktionen. Aber auch auf den Einfluss des Publikums auf die gemeinsame Wertschöpfung eines Spiels.
Wer bei den Spielern Social-Media-Nerds erwartet, irrt. Hügli hat ausser bei Linkedin keine Konten. «Linkedin ist gut für Kontakte in der Schule und für das Leben nach der Eishockeykarriere», sagt Hügli. «Die anderen Plattformen haben mir nicht zugesagt, darum habe ich meine Accounts nach kurzer Zeit wieder gelöscht.»
Ein Zeitungsabo hat Hügli zwar nicht. Wenn, dann bevorzuge er beim Lesen aber die gute alte Printausgabe. Nicht minder unerwartet ist eine weitere Informationsquelle, die er für die Resultate der Eishockey-Meisterschaft konsultiert: Als er die Teletext-App auf seinem Handy inklusive Seite 301 zeigt, sorgt er bei Joel Scheidegger für Erstaunen und Amüsement.
Der 29-jährige Verteidiger beim HC Ajoie konsultiert den Teletext nicht, aber ansonsten hält er es ähnlich. Scheidegger besitzt zwar ein Instagram-Konto, er benutzt es aber nur passiv als Informationsquelle und nicht als Plattform für sein Dasein als Profisportler.
Während die meisten Einzelsportlerinnen und -sportler auf einen individualisierten Onlineauftritt angewiesen sind, können es sich Teamsportler eher leisten, darauf zu verzichten.
Hügli hat sich für seine Arbeit mit dem Onlineauftritt seines Arbeitgebers auseinandergesetzt und ist vor allem der Frage «App oder Website?» nachgegangen. Der LHC gehört zu jenen NL-Clubs, die viel und vielfältigen Inhalt generieren. Er hat wie auch andere Vereine erkannt, dass die klassische Eishockey-Berichterstattung in den Medien immer mehr abgenommen hat, und produziert darum auch eigene journalistisch aufbereitete Texte und Interviews.
«Gerade diese werden von einigen Fans lieber auf der Website gelesen statt in der App», hat Hügli herausgefunden. Ansonsten würden unter 40-Jährige grundsätzlich die App bevorzugen und Ältere die Website, wobei die Tendenz auch bei ihnen immer mehr Richtung App gehe. «Bei den Jüngeren kommt es sogar vor, dass sie die Website so gut wie gar nicht mehr benutzen», sagt Hügli.
Die App punktet mit einfacherem Zugang. «Auch ich nutze sie eher, da ich mich zum Beispiel am Morgen schneller durchscrollen kann», sagt Hügli. Diesbezüglich besonders modern aufgestellte Clubs wie die ZSC Lions überzeugen zudem mit Zusatzdienstleistungen während des Spiels, wie der Möglichkeit der Bestellung von Essen via App.
Die Vereine freuen sich aus mehreren Gründen über ihre App-Benutzer, sagt Hügli: «Der personalisierte Account liefert dem Club Hinweise über das Onlineverhalten, dies kann zum Beispiel hilfreich sein bei der personalisierten Kontaktierung für den Verkauf von Tickets und Abos.»
Das Phänomen, das auch die klassischen Medien kennen
Scheidegger hat die Strategien der NL-Clubs auf ihren Instagram-Konten analysiert und ist dabei diesen Fragen nachgegangen: Sorgen mehr Posts auch für mehr Interaktionen bei den Benutzern? Welche Art von Posts generieren vor allem Reaktionen? Und spielt sportlicher Erfolg eine Rolle?
Die Antwort auf letztere Frage überraschte Scheidegger. Teams, die häufiger verlieren als gewinnen, generieren im Verhältnis zur Anzahl Follower mehr Interaktionen. Ein Phänomen, das auch klassische Medien kennen: Bad News werden besser geklickt und sorgen für mehr Kommentare. Und dies, obwohl in beiden Fällen die Dunkelziffern wegen gelöschter Kommentare höher sind.
Scheidegger teilte die Instagram-Posts der Clubs in sechs Kategorien. So konnte er feststellen, welche Art von Inhalt am meisten interessiert. Beiträge mit Fan-Bezug wie Choreos vor dem Spiel werden am häufigsten geteilt und kommentiert. Dass Fans sich am liebsten selbst sehen, passt wohl zum Zeitgeist. Club-Informationen, rein sportlicher Content wie Mannschaftsaufstellungen stossen hingegen auf deutlich weniger Interesse, dasselbe gilt auch für Posts zu den Frauen-Teams.
Scheidegger will den Clubs mit seiner Arbeit auch Empfehlungen abgeben. Zum Beispiel, dass Videos, inklusive der kurzen sogenannten Reels, am besten funktionieren. Bloss beim Thema «Misserfolg = mehr Traffic» tut er sich mit der endgültigen Formulierung schwer: «Im Moment habe ich es so gelöst: ‹Diese Hypothese lässt keine direkte Empfehlung für die Praxis zu.›»
Das Spiel geniessen? Oder auch Frust ablassen?
Tobias Geisser schliesslich beschäftigt sich mit der eingangs erwähnten Thematik des Eishockeyspiels als Event. In seiner Umfrage wollte der 25-jährige Verteidiger des EV Zug vom Publikum seines Clubs wissen, worauf es wirklich ankommt beim Matchbesuch: die Leistung der Mannschaft? Die Stimmung? Der Service in der Arena? Bei Letzterem konnten die Teilnehmenden das Stadion an sich, aber auch die Show, die Gastronomie oder die Sicherheit bewerten sowie deren Wichtigkeit für das Gesamterlebnis.
Geisser liess sich von einer Studie zur Fussball-WM 2014 inspirieren, bei der die gleiche Methodik einer bestimmten Wertschöpfungs-Logik zur Anwendung kam: «Dabei bestimmt auch der Kunde den Wert eines Unternehmens», erklärt er. «In unserem Fall ist er nicht nur zahlender Zuschauer und Fan, sondern sorgt auch für die nötige Atmosphäre.»
Geisser hat die Umfrage noch nicht ausgewertet. Er wäre aber nicht überrascht, wenn der sportliche Aspekt nicht für alle Zuschauerinnen und Zuschauer zuoberst steht, sondern das Pflegen sozialer Kontakte im Stadion. Oder die Ablenkung vom Alltag: «Und dazu gehört für einige wohl auch das Loswerden von im Alltag oder bei der Arbeit angestautem Frust.»
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