«Art on Ice»-Chef zum Fall Kamila Walijewa«Wir sprechen von 8-Jährigen, die mehr können als bei uns 20-Jährige»
Oliver Höner ist weltweit der bedeutendste Veranstalter von Eislauf-Shows. Völlig unabhängig des Kriegs hat er erstmals keine jungen Russinnen für «Art on Ice» verpflichtet – trotz Druckversuchen des Verbandes.
Der Fall der 15-jährigen russischen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa erschütterte die Winterspiele. Was denken Sie darüber?
Er ist auf jeden Fall tragisch. Wenn ich die Umstände betrachte, finde ich es aber schade, dass das Eiskunstlaufen in einen Doping-Zusammenhang gestellt wird, obwohl es kein Dopingsport ist. Aber es war die meistdiskutierte Geschichte der Spiele, gerade weil sie so dramatisch und negativ war. Und mit Walijewa ein junges Mädchen im Mittelpunkt stand, das dem Druck verständlicherweise nicht standhalten konnte. Es war ein Eislauf-Drama pur. Bei mir meldeten sich verschiedene Veranstalter weltweit, die nichts mit Eiskunstlaufen zu tun haben. Sie fanden, es sei ja wahnsinnig, was gerade abgehe, und fühlten sich an die Kerrigan-Harding-Geschichte (die Eisenstangen-Affäre, die Red.) erinnert, die einen Eislauf-Hype auslöste.
Wie gross ist der Schaden, den die Affäre angerichtet hat?
Ich hoffe, dass man diesen Fall isoliert betrachtet, als Einzelfall in der Schule von Trainerin Eteri Tutberidse. Ich bin überzeugt davon, dass Doping kein Thema ist im Eiskunstlaufen, zumindest nicht die flächendeckende Anwendung von leistungssteigernden Mitteln. Der Fall ist noch hängig, ich will niemanden vorverurteilen. Wenn sich aber erweisen sollte, dass Walijewa gedopt wurde, dann nicht, damit sie an den Spielen rausläuft und zehnmal besser ist als alle anderen. Sondern um die Trainingsintensität und -kapazität zu erhöhen. Der junge Körper muss ja irgendwie fertigwerden mit einer solch grossen Belastung.
Dass junge russische Läuferinnen auftauchen, abräumen und verletzt oder mit Magersucht wieder abtauchen, das geht schon seit Jahren so. Wieso werden Trainerinnen wie Eteri Tutberidse nicht gestoppt?
Wenn man ihr ein Fehlverhalten nachweisen kann, hoffe ich schon, dass sie noch gestoppt wird. Das Problem ist, dass sie innerhalb des russischen Verbandes eine sehr starke Position hat. Das hängt immer direkt mit dem Erfolg zusammen. Jene Trainer mit erfolgreichen Schülerinnen und Schülern haben im russischen Verband einen hohen Stellenwert und dementsprechend Einfluss. Ich weiss nicht, ob sich das je ändern wird. Allerdings fände ich es gut, wenn ein Zeichen gesetzt würde, wenn das Umfeld zur Rechenschaft gezogen würde. Ich finde nicht, dass ein 15-jähriges Mädchen für das verantwortlich ist, was man ihm gibt. Das ist anders als beispielsweise bei 28-Jährigen, die selber entscheiden können. Ich kann aber nicht beurteilen, wie stark das Umfeld untersucht wird. Oder ob Walijewa mit einer sechsmonatigen Sperre belegt wird, und dann ist wieder gut.
Wie muss man sich die Arbeitsweise mit 13- bis 15-Jährigen in einer solchen russischen Schule vorstellen?
Die Kinder werden viel eher und stärker gepusht. Sie beginnen ja nicht erst mit 13, dann sollten sie schon bereit sein für die Wettkämpfe. Wir sprechen von 8- oder 9-Jährigen, die schon mehr technische Schwierigkeiten beherrschen als bei uns 18- oder 20-Jährige. Die Kinder werden viel früher zu Höchstleistungen getrieben, weil man gemerkt hat, dass man so bei den 15- bis 17-Jährigen am meisten Erfolg hat – in einem System, in dem die technischen Schwierigkeiten sehr stark belohnt werden. Man ist sich aber auch bewusst, dass sie mit 18 oder 19 nicht mehr dabei sind, weil die nächste Generation sie schon verdrängt hat.
Auch Sie gehören zu jenen, die an internationalen Titelkämpfen wie WM, EM oder Olympia ein Mindestalter von 17 Jahren fordern.
Ja, definitiv. Das würde extrem helfen. Die Internationale Eislauf-Union ISU ist auch für eine Erhöhung des Mindestalters, das ist zumindest das, was ich höre. Das Problem sind die Verbände mit viel Macht, gerade der russische ist total dagegen. Und entschieden wird im Kongress oder im Council.
«Wird das Mindestalter auf 17 hinaufgesetzt, wird die Karriereplanung automatisch eine andere.»
Wieso legte die ISU das Alter überhaupt bei 15 fest?
Weil es früher kein Mindestalter gab, alles offen war. Man ist sich bewusst, dass man dies anpassen muss. Diese Forderung könnte auch vom Internationalen Olympischen Komitee kommen, es gibt Überlegungen, generell wieder ein Mindestalter für die Spiele einzuführen.
Was würde sich für die Sportlerinnen ändern?
Wird das Alter hinaufgesetzt, wird die Karriereplanung automatisch eine andere. Wenn eine Athletin weiss, dass sie erst mit 17 international bei der Elite antreten kann, dann wird sie nicht auf Teufel komm raus überall starten, sondern eine Verletzung ausheilen lassen, wenn sie verletzt ist. Sie würde nicht riskieren, mit 17 nicht bereit zu sein.
Die besten Läuferinnen zeigen schon mit 15 Vierfachsprünge – was sie mit 17 nicht mehr in jedem Fall können. Würden solche Höchstschwierigkeiten gar nicht erst eingeübt?
Das glaube ich nicht. Aber ich denke, die Läuferinnen hätten mehr Zeit, sie müssten sie nicht schon mit 13 beherrschen. Es brächte eine gewisse Entspannung in dem Alter, in dem sie noch voll im Wachstum sind. Sie werden grösser, und es geht nicht nur um die weibliche Figur, die ihnen bei solchen Sprüngen eher im Weg ist. Es geht vor allem darum, dass man die jungen Läuferinnen in der Wachstumsphase schützt. Aber ich bin überzeugt, dass es auch bei Mindestalter 17 Läuferinnen geben wird, die vierfach springen. Ich rede bewusst immer von den jungen Frauen, weil bei den Männern die Situation eine ganz andere ist.
Wieso vertrauen sich junge Läuferinnen noch immer einer solchen Trainerin an – obwohl sie von den physischen und psychischen Schäden anderer wissen?
Sie war in den vergangenen Jahren die weltweit erfolgreichste Trainerin – und dies vermittelt sie den Mädchen natürlich: Ich bin dein Erfolgsgarant. Bei mir kannst du es an die Spitze schaffen, anderswo nicht. Es gab Läuferinnen, die sie verliessen – und nach einem Jahr zurückkehrten.
Erstmals haben Sie für «Art on Ice» keine junge russische Läuferin verpflichtet – als Folge dieses Skandals?
Konkret mit dem Fall Walijewa hat das nichts zu tun, ich hatte schon vorher so entschieden. Ich will nicht der Spielball sein von Leuten, die viel Einfluss nehmen und ihre Macht auch gegenüber Veranstaltern ausbauen wollen – via russischen Verband. Zu ihnen gehört auch Trainerin Tutberidse. Wir bestimmen, welche Läuferinnen und Läufer zu welchen Konditionen auftreten können.
«Ich will mich nicht in solche Angelegenheiten verwickeln lassen, ich will unabhängig entscheiden.»
Die Trainerin versucht, ihre Schülerinnen in Shows unterzubringen?
Offiziell natürlich nicht. Aber es gibt diese Tendenzen. In solche Angelegenheiten will ich mich nicht verwickeln lassen, ich will unabhängig entscheiden. Und wenn die Russen parallel zu «Art on Ice» Veranstaltungen ansetzen, um zu zeigen, dass sie das auch können, verpflichten wir andere. Es gibt ganz viele andere tolle Läuferinnen und Läufer. Russland hat bei Olympia ja nur eine von vier Goldmedaillen gewonnen, der Teamwettkampf ist noch hängig. Das ist schon fast eine Niederlage. Ich hoffe, sie haben verstanden, dass ich nicht einer jener Veranstalter bin, die kuschen.
Sie arbeiten mit der ISU bei einer Art Oscar-Verleihung zusammen, worum geht es?
Wir haben ein Konzept für eine Award-Show entwickelt, die bisher pandemiebedingt virtuell stattgefunden hat, künftig aber die Gala am Ende einer WM ergänzen oder ersetzen könnte. Die Idee dahinter ist, dass Kategorien bewertet werden, die beim Wettkampf untergehen. Das unterhaltsamste Programm etwa, der faszinierendste Auftritt – und es hängt nicht davon ab, ob jemand gewonnen hat. Es werden auch Coaches und Choreografen ausgezeichnet, welche an Wettkämpfen nicht beurteilt werden. Und beispielsweise auch das beste Kostüm, da hat das Eiskunstlaufen immer noch grossen Nachholbedarf, es gibt immer wieder ganz schlimme Beispiele. Wir versuchen einen Gegenpol zu schaffen.
Hand aufs Herz – interessiert nicht einfach, wer die WM-Titel und Olympiagold gewonnen hat? Ein solcher Oscar ist nett, sportlich aber bedeutungslos.
Ein Titel steht sicher zuoberst, aber ein solcher Award kann einen gewissen Stellenwert bekommen – weil er von Fans, Publikum und Medien mitbewertet wird. Und: Es gibt in fast allen Sportarten Awards.
Ist es eine leise oder gar laute Kritik am bestehenden Bewertungssystem?
Es ist nicht eine Kritik am System, es ist ein Anstoss zur Veränderung. Meine Hoffnung ist tatsächlich, dass wir via Awards ein wenig beeinflussen können, wie künftig bewertet wird. Das Punktesystem für die Elemente hat sich bewährt, aber jetzt müssen wir schauen, dass die künstlerische Seite anders oder besser gewichtet wird. Es sollen nicht einfach nur jene an die Spitze geschwemmt werden, die am meisten technische Schwierigkeiten zeigen. Damit hätten auch reifere Läuferinnen und Läufer wieder eine Chance, falls das Mindestalter nicht hinaufgesetzt würde.
Sie haben aber noch eine andere Idee.
Ja, mein Vorschlag ist, dass man das Gremium der Punkterichter teilt: Die einen bewerten nur die Technik, die anderen nur die Komponenten, wie gelaufen wird, wie der Ausdruck ist. Da haben die Letzteren dann wirklich die Verantwortung, die Komponenten sauber zu bewerten. Das könnten vom Typ her auch andere Punkterichter sein. Meiner Meinung nach gäbe es ganz andere Bewertungen. Weil nicht einfach das Niveau des Technischen auch das Niveau der Komponenten ist, wie es heute viel zu oft der Fall ist.
Ist das erst ein Gedankenspiel?
Nein, der Vorschlag ist bei der ISU deponiert.
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