Wie Frauen ihr Potenzial nutzen«Kurz vor der Mens sind wir enorm kreativ»
Menstruation und Hormonschwankungen sind für die meisten Frauen ein Übel. Das könnte anders sein, wenn sie mehr über ihre Tage wüssten, sagt Zyklusberaterin Josianne Hosner.
Frau Hosner, Sie plädieren dafür, dass Frauen ihren Zyklus im Alltag besser berücksichtigen. Als Mutter kann ich mir das nicht gut vorstellen. Ich kann ja meine Kinder nicht einfach in den Tiefkühler stecken, wenn ich kurz vor meinen Tagen stehe.
Ja, das stimmt (lacht). Aber es ist schon mit dem Wissen über die verschiedenen Zyklusphasen extrem viel getan. Wenn Sie Ihre Zyklusphasen kennen, können Sie grössere Familienaktivitäten, die Sie stressen, so planen, dass sie nicht gerade kurz vor der Mens stattfinden.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Bei mir ist das etwa das Weihnachtsguetslibacken mit zwei Kleinkindern. Wenn wir das nach der Mens machen, vor dem Eisprung, dann bin ich easy drauf. Kurz vor der Mens raste ich aus, wenn all das Mehl dann am Boden liegt. Das Beispiel zeigt: Man muss nicht den ganzen Familienalltag auf den Zyklus der Mutter abstimmen, einfache Anpassungen können schon viel bewirken.
Welches ist der beste Tag des Zyklus?
Die kurze Antwort lautet: Den gibt es nicht. Die ausführlichere Antwort: Den besten Zyklustag kann man für sich selber herausfinden. Es gibt immer Lieblingstage, an denen einem einfach vollkommen wohl ist und man mit sich und der Welt irgendwie im Reinen ist. Meistens ist das im «inneren Sommer», und dieser findet um den Eisprung herum statt.
Und welches ist der schlimmste Zyklustag?
Für mich persönlich wars jahrelang der Zyklustag 21. Das ist dann, wenn das Easy-peasy-Lebensgefühl verschwindet und das prämenstruelle Syndrom PMS vor der Türe steht. Eben noch war doch alles so gut, was ist denn jetzt mit mir los? Oder mit meinen Kindern, die ticken ja völlig aus?
Sind wir unseren Hormonen einfach ausgeliefert?
Nein. Aber wir müssen den Weg hindurch finden. Etwa indem wir anfangen, diese Zeit anders zu gestalten, damit dieses Ohnmachtsgefühl uns nicht so trifft. Wenn wir beispielsweise vor der Menstruation sehr dünnhäutig sind, können wir einen Babysitter organisieren für einen Nachmittag. Und zwar nicht für ein Date mit dem Partner am Abend, sondern einfach, um Zeit für uns allein zu haben. Oder, was auch gut funktioniert: Vorkochen! Während eines Eisprung-Energieschubs zwei Lasagnen machen und eine in den Tiefkühler stecken. Das ist dann später Gold wert, wenn das Stehen am Herd anstrengend ist. Ganz viel ist aber schon allein mit dem Bewusstsein und der Akzeptanz getan. Wir müssen lernen, dass auch die häufig schwierigen Tage vor der Menstruation ihre Berechtigung und Bedeutung haben. Und sogar gute Eigenschaften hervorbringen.
Welche denn?
Wir sind dann unschlagbar in der Qualitätskontrolle. Kurz vor der Menstruation fällt vielen Frauen plötzlich alles auf, was nicht funktioniert. Von der schmutzigen Kaffeemaschine über das quietschende Tram bis zu Fehlern in einem Text – wir sind dann einfach viel sensibler und zugleich intuitiver. Wenn wir uns danach richten könnten, wären das alles auch Vorteile: Wir können die Zeit nutzen, um Dinge aus unserem Leben zu entfernen, die nicht mehr funktionieren. Kurz vor der Menstruation sind wir auch enorm kreativ. Wenn man das weiss, kann man dann auch extrem in einen Schaffensprozess eintauchen.
Viele Dinge lassen sich einfach nicht ändern. Ich muss auch arbeiten gehen, wenn ich meine Tage habe.
Aber da lässt sich trotzdem viel machen. Mehr Zeit für den Arbeitsweg einplanen beispielsweise. Auch bei der Arbeit dem Essen genug Aufmerksamkeit einräumen. Weniger sprechen, weniger Wörter brauchen, weniger Small Talk, weniger Whatsapp, weniger Instagram. Wenn ich mit den Kindern bin: beispielsweise eine Aktivität wie Malen einplanen, bei der ich sitzen kann.
Warum musste ich 39 werden, um das zu erfahren? Als ich ein Teenie war, zeigte man den Mädchen Binden oder Tampons und verschrieb dann vielleicht bald einmal auch die Pille, und das wars dann mit dem «Zykluswissen». Ist das heute anders?
Ich würde grob sagen: Etwa 90 Prozent erleben genau das, wie Sie es beschrieben haben. Man meint ja, wir seien heute aufgeschlossener, aber diesen sehr negativen und schambehafteten Umgang mit der Menstruation gibt es nach wie vor, und er wird immer noch so an Mädchen weitergegeben. Die Pille, die ja den weiblichen Zyklus ganz einfach unterdrückt, wird vielleicht ein bisschen zurückhaltender verschrieben. Aber unser Wissen über die Menstruation und den Zyklus der Frau ist immer noch beschämend klein – und sehr negativ geprägt: «Jetzt hast du die Mens, jetzt hast du diesen schmerzhaften Mist auch.» Das ist auch eine der Hauptmotivationen für meine Arbeit, dass unsere Töchter das nicht auch so erfahren müssen.
Sarah Pfäffli (39) ist Mutter von zwei Kindern (4 und 6 Jahre) sowie ehemalige «Tages-Anzeiger»-Journalistin.
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