Grosser Protest in FrankreichDemonstrationen und Streiks gegen Rentenreform
Präsident Emmanuel Macron will, dass in Frankreich zwei Jahre länger bis zur Pensionierung gearbeitet wird. Gegen diesen Plan wird heftig protestiert.
Am ersten grossen Protesttag gegen die geplante Rentenreform gingen am Donnerstag in Frankreich mehr als eine Million Menschen auf die Strasse. Massive Streiks legten Teile des öffentlichen Lebens lahm, betroffen waren unter anderem Schulen, Züge, der Pariser Nahverkehr, Raffinerien und der öffentliche Dienst. Präsident Emmanuel Macron will das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anheben. Dies sei «gerecht und verantwortungsvoll», sagte Macron.
Nach Angaben des Innenministeriums demonstrierten landesweit 1,12 Millionen Menschen, 80’000 davon in Paris. Der Generalsekretär des Gewerkschaftsbunds CGT, Philippe Martinez, schätzte die Zahl der Demonstranten in ganz Frankreich auf «mehr als zwei Millionen». Laut CGT demonstrierten in Paris 400’000 Menschen. Der Vorsitzende der als gemässigt geltenden Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, sagte, die Mobilisierung «liegt über dem, was wir erwartet hatten». Die meisten der rund 200 Proteste verliefen friedlich.
«Macron will, dass wir bei der Arbeit sterben», sagte Hamidou, ein 43 Jahre alter Mitarbeiter der Müllabfuhr, der an der Demonstration in Paris teilnahm. «Manche meiner Kollegen stehen um 3 Uhr morgens auf. Wir können nicht bis 64 arbeiten», sagte er. Béatrice, die seit Januar ihre Rente bezieht, sagte: «Ich habe mehr als 40 Jahre Beiträge gezählt, um jetzt eine winzige Rente zu bekommen.» Auf Plakaten war zu lesen: «Metro-Arbeit-Friedhof».
Aus Solidarität auf die Strasse
«Es geht gar nicht so sehr um mich, denn ich bin leitender Angestellter, ich habe mit 25 Jahren angefangen zu arbeiten, also gehe ich auch ohne die Reform mit 65 Jahren in Rente», sagte der 36-jährige Damien Mathieu, der in der IT-Branche arbeitet und in Toulouse im Südwesten Frankreichs demonstriert. Er gehe aus Solidarität auf die Strasse, «weil es eine (...) ungerechte Reform ist, die die Arbeiterklasse stark benachteiligt».
«Wenn sich alle Gewerkschaften einig sind, was selten ist, dann zeigt es, wie gross das Problem ist», sagte CGT-Gewerkschaftsführer Martinez dem Sender Public Sénat. Zu dem Streik hatten die acht grössten Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen. «Viele Leute, die sonst nicht auf die Strasse gehen, sind dieses Mal dabei», sagte CFDT-Chef Berger dem Sender BFM.
Mitarbeiter des staatlichen Stromversorgers EDF drosselten aus Protest die Stromproduktion um mindestens das Doppelte des Verbrauchs der Stadt Paris. Beim Energieunternehmen TotalEnergies streikten nach Gewerkschaftsangaben an den meisten Standorten zwischen 70 und 100 Prozent der Beschäftigten. Auch das Verkehrswesen wurde stark bestreikt, es fuhren kaum Regionalzüge und nur wenige Hochgeschwindigkeitszüge.
Premierministerin Elisabeth Borne hatte in der vergangenen Woche die grossen Linien der Rentenreform bekannt gegeben. Macron hatte bereits 2019 versucht, das komplizierte französische Rentensystem zu vereinfachen und durchzusetzen, dass Franzosen und Französinnen länger arbeiten. Dies hatte zu der längsten Protestwelle seit der Studentenrevolte 1968 geführt. Das Reformprojekt wurde dann wegen der Corona-Pandemie zunächst auf Eis gelegt.
Ziel: Zukünftige Finanzierung sichern
Die Regierung will durch die Reform die langfristige Finanzierung des Rentensystems sichern. Derzeit weist die Rentenkasse ein Plus auf, aber die Regierung rechnet mit einem Defizit von 14 Milliarden Euro bis 2030. Das Rentensystem kostet Frankreich laut OECD derzeit etwa 14 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.
Daher soll das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. Ursprünglich hatte Macon 65 Jahre als Ziel genannt. Für Menschen, die sehr früh angefangen haben zu arbeiten, und solche in besonders anstrengenden Berufen soll es weiterhin Sonderregelungen geben. Zugleich soll die Mindestrente auf 1200 Euro erhöht werden. Die Regierung will ausserdem dafür sorgen, dass mehr Senioren und Seniorinnen als bisher im Beruf bleiben. Ende 2021 waren lediglich 36 Prozent der 60- bis 64-Jährigen berufstätig.
Der Gesetzentwurf soll kommende Woche im Kabinett vorgestellt und anschliessend in der Nationalversammlung debattiert werden.
AFP/fal
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