Coronavirus in JapanWo der Mundschutz ein Modeaccessoire geworden ist
Für die Japaner ist das Tragen einer Schutzmaske selbstverständlich. Menschen aus dem Westen haben das bislang kritisch beäugt. Doch das ändert sich gerade.
Im vergangenen Dezember musste das japanische Einzelhandelsunternehmen Aeon einräumen, dass es ein Maskenproblem hatte. Vom neuartigen Coronavirus sprach damals noch niemand, der Mangel an Masken zum Mund- und Nasenschutz war kein Thema. Im Gegenteil, die Firma fürchtete nicht etwa, zu wenige Masken zu haben, sondern zu viele maskierte Mitarbeiter. Kunden und Medien enthüllten, dass Aeon seinen Angestellten im direkten Kundenservice das Maskentragen «im Prinzip» untersagte. Entrüstung wehte durch die sozialen Medien, die Zeitung «Yukan Fuji» fragte nach, und eine PR-Person von Aeon sagte kleinlaut, dass Ausnahmen von der Keine-Masken-Regel möglich seien.
Ein Symbol für Vernunft und Verantwortung
Vielleicht wird das japanische Beispiel das Vermächtnis der Corona-Krise: Spätestens seit der H1N1-Pandemie von 2009/2010 ist der Mund- und Nasenschutz aus der Medizin in Japan zum Symbolartikel für Vernunft und Verantwortung im öffentlichen Raum aufgestiegen. Wer sich der Maske verweigert, riskiert Ansteckungen durch ungebremste Krankheitserreger – dieser Gedanke ist damals hängen geblieben.
Vor allem in ihren Riesenstädten und in den vollen Pendlerzügen gehört die Dame oder der Herr mit Mundschutz zum gewohnten Bild. Wer Schnupfen hat oder gerade erst eine Grippe auskuriert hat, soll damit nach ärztlichem Rat die Mitmenschen schützen. Selbstschutz vor den Viren anderer ist ein weiteres Motiv. Allergiker tragen die Masken gegen Pollen. Ausserdem sind die Masken längst auch ein modisches Accessoire. Andere tragen Masken, um sich dahinter inmitten der Massen zurückzuziehen.
Die Westler hadern mit den Masken
Für Ausländer aus dem Westen ist das bisher immer gewöhnungsbedürftig gewesen. Die Maske schien den Kulturunterschied zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften zu zeigen. Wenn an der U-Bahn-Station viele Personen mit grosser Selbstverständlichkeit ihren Mundschutz trugen, wirkte das für den Gast aus Fernwest wie ein Bruch mit seiner Normalität.
Augen sagen auch was, können Japaner entgegnen – und das stimmt natürlich. Aber ein Gesicht besteht eben nicht nur aus Augen. Hinter der Maske erkennt man Menschen nicht gleich, die man gleich erkennen sollte. An der Kasse fühlt man sich wie von einem Automaten angesprochen, weil man keine Lippenbewegungen sieht. Die verbindliche Freundlichkeit, die zum japanischen Selbstverständnis gehört, wird aus der Situation herausgefiltert. Am Ende ist die Maske nicht nur eine Maske, sondern eine Art Barriere, an der die Sympathien abprallen.
Viele Japaner finden das nicht so schlimm. Sie sind ohnehin so erzogen, Gefühle für sich zu behalten. Nicht alle tragen ihre Maske korrekt, manchmal sitzt sie schief oder nicht über der Nase. Andere haben sie lässig über das Kinn geschoben, wenn sie mal eine Pause brauchen davon, ständig den eigenen Atem in der Nase zu haben. Aber die Maske hat sich für sie bewährt. Vielleicht gerade weil man damit nicht so leicht von den anderen zu unterscheiden ist und besser aufgehen kann in der Masse.
Kein Platz für Romantik
Man sieht Mutter und Kind in Masken auf leeren Spielplätzen, maskierte Einzelgänger in stillen Strassen, ein Liebespaar, das seine Masken aus dem gleichen Stoff geschneidert hat. Und jetzt, in der Corona-Krise, scheint diese japanische Haltung ja tatsächlich die gesündere zu sein. Geselligkeit hat zu Masseninfektionen geführt. Social Distancing ist das Gebot der Stunde.
Es stimmt schon: In der Pandemie ist für Romantik kein Platz, die Gewohnheit ist zerbrochen. In Südkorea spottete man zu Beginn des Ausbruchs noch über Kollegen, die Masken trugen. Mittlerweile wird man dort schief angeschaut, wenn man in der U-Bahn keine trägt. Auch in der Schweiz sieht man vermehrt Menschen mit Schutzmasken im öffentlichen Verkehr oder beim Einkaufen. Das Image eines Hilfsmittels verändert sich, wenn man ums eigene Wohlergehen fürchtet.
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