Papablog: Dörflicher Schoggitaler-VerkaufBandenkrieg im Schoggimilieu
Das Kind unseres Papabloggers muss Süsses für die Artenvielfalt verkaufen – und plötzlich kippt im Dorf die Stimmung.
In der Primarschule musste ich damals Pro-Juventute-Briefmarken verkaufen. Eigentlich dachte ich, dass Schulen im Jahr 2023 niemanden mehr dazu nötigen, an den Häusern fremder Menschen zu klingeln, die dann mit nassen Haaren und nur einem Handtuch bekleidet die Tür öffnen und einen erzürnt zur Sau machen. Aber da spricht das Trauma aus mir.
Tatsächlich sind auch heute noch Drückerkolonnen aus 8- und 9-Jährigen im Einsatz. Brechts Klasse muss aktuell Schoggitaler für die Artenvielfalt verkaufen. Es ist freiwillig, aber wer nicht mitmacht, hasst die Umwelt.
Dienstag, 9:45
Lehrer Stämpfli teilt die Klasse in Gruppen ein und weist ihnen Quartiere zu. Die Kinder sollen in Gangs revierweise Suchtmittel an die Bevölkerung verticken. Soll einer sagen, die Schule bereite die Kinder nicht aufs Leben (im Milieu) vor.
Dienstag, 16:15
Ich frage mich, weshalb Herr Stämpfli ausgerechnet das laute, impulsive Kind mit ADHS zum Chef von Brechts Gang ernannt hat. Er will offenbar das Dorf brennen sehen.
Mittwoch, 14:00
Die Kinder treffen sich auf dem Parkplatz der Landi. Eins kommt schon mit Schoggimund an. Zum Glück habe ich dem Brecht eingebläut: «Niemals selbst konsumieren.» Das gilt ganz besonders für ihn als Gangleader.
Mittwoch, 14:15
Während der Verkauf bei den «Helen’s Angels» unter der laschen Führung von Helena-Sophie Ackermann stockt, läuft es bei den Brechtidos rund. Als vielversprechend erweisen sich Verkaufsargumente wie: «Wäre doch schade, wenn den Gladiolen in Ihrem Garten etwas zustösst.» Oder: «Lustig, Ihr Auto ist so staubig und es hat noch niemand mit dem Finger ein Schnäbi draufgemalt.»
Jennifer-Shakira wird so schnell nicht mehr bei den ungeraden Hausnummern links der Hauptstrasse klingeln.
Mittwoch, 14:28
Jennifer-Shakira klingelt bei Zwygarts, deren Haus nicht in ihrem Revier liegt. Das ältere Ehepaar – beide Diabetiker – ist in der Szene beliebt, weil man den Stoff nach dem Deal selber essen darf.
Mittwoch, 14:41
Gerüchte gehen um, eine Gang im ärmeren Süden des Dorfes würde ihre Schokolade mit Milka strecken.
Mittwoch, 15:32
Es geschieht alles blitzschnell: Joël am Lenker und Lea-Marihuana mit der «Super Soaker» auf dem Gepäckträger tauchen praktisch aus dem Nichts auf und schon liegt Jennifer-Shakira komplett durchnässt am Boden. Sie wird so schnell nicht mehr bei den ungeraden Hausnummern links der Hauptstrasse klingeln.
Mittwoch, 16:10
Das ausgebrannte Velo aus dem Drive-by-Shooting wird von der Dorfpolizistin in einem Waldstück gefunden.
Mittwoch, 16:25
Jaqueline, Chefin der Gang Jaquza, hat Turnverein und ihr Protégé Loïc muss ins Blockflötlen. Die berüchtigte Bande MS-4b um Maximilian-Jason Stückelberger nutzt das Machtvakuum sofort aus und reisst sich die östliche Hälfte der Mühlenweidlisiedlung und das ganze Geissenhügelquartier unter den Nagel.
Mittwoch, 17:00
Beissender Rauch aus alten Ölfässern legt sich über die Strassen. Das hat mit dem Bandenkrieg allerdings nichts zu tun. So entsorgt man auf dem Land traditionell seine Abfälle.
Mittwoch, 17:16
Das Auto von Valentin Landmann wird vor Jennifer-Shakiras Haus gesichtet.
Donnerstag, 8:20
Maximilian-Jason erscheint nicht zur Schule.
Freitag, 11:38
Herr Stämpfli fragt den Brecht, warum er ihm das Geld aus dem Schoggiverkauf noch nicht übergeben habe und flüstert: «Es wäre doch schade, wenn du bei der nächsten Mathe-Lernkontrolle ein ‹nicht erfüllt› hättest».
Montag, 10:05
Maximilian-Jason ist heute wieder in die Schule gekommen, aber er wirkt verändert. In der grossen Pause übergibt er sein Znüni – zwei Milchschnitten und eine saure Zunge – wortlos und ohne Blickkontakt an Jaqueline und Loïc.
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