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6 Balkan-Autorinnen erzählen
«Ich werde meinem Land nie entkommen können»

Lidija Dimkovska (links) schreibt ausschliesslich in ihrer Muttersprache, Frenkie rappt gegen Hass, Ivna Žic findet ihr Zuhause auch im «Jetzt». 
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Gute Bücher können wie Reisen sein, sagt der bosnische Rapper Frenkie. Die «Tage südosteuropäischer Literatur», organisiert vom Literaturhaus Zürich, sind so eine Reise, die man dieses Jahr online antreten kann.

Eingeladen sind Autorinnen, Übersetzer, Dichterinnen und weitere Kulturschaffende aus dem Balkan, der Schweiz und umliegenden Ländern. Über ihre Werke hinaus erzählen ihre persönlichen Geschichten vom ehemaligen Jugoslawien – davon, wie das Leben als Gastarbeiterin war, wie sie freiwillig ihr Land verliessen oder wie sie vor dem Krieg haben fliehen müssen.

Auch wenn heute offiziell Frieden herrscht auf dem Balkan, die Gräben, die die Gewalt der 90er-Jahre hinterliess, sind bis heute manchenorts präsent – etwa in Gestalt eines politisch toxischen Nationalismus. Ihm gegenüber stehen jene, die Brücken bauen, versöhnen und nach vorne schauen wollen. Was kann Literatur und Sprache hier leisten? Was bedeutet darüber hinaus Heimat und Verwurzelung, was beschäftigt die Autorinnen und Wortkünstler aktuell?

Wir haben uns bereits vor den Online-Lesungen und -Podiumsdiskussionen des Literaturhauses Zürich bei den geladenen Gästen umgehört und mit ihnen gemailt.

Frenkie (38), Rapper und Graffiti Artist

Frenkie wurde in Bijeljina, Bosnien-Herzegowina, geboren, floh während des Kriegs nach Deutschland, lebt heute wieder in Bosnien, in Tuzla.

Frenkie sagt: «Oft denke ich eher wie ein Deutscher.»

«Manchmal fühle ich mich daheim in Bosnien. Meistens aber nicht. Einige Male musste ich mein Zuhause verlassen, einige Male wollte ich es verlassen.

Es sind kleine Dinge, die für mich ausmachen, dass ich mich zu Hause fühle – Leute, die wissen, wie man meinen Namen ausspricht. Leute, die mich nicht komisch anschauen, weil ich eher östlich als europäisch aussehe. Aber weil ich in Deutschland lebte und viel gereist bin, kenne ich das Leben in modernen westeuropäischen Ländern. Oft denke ich eher wie ein Deutscher. In diesen Momenten fühle ich mich, als ob ich eher nach Deutschland gehöre und nicht nach Bosnien.

«Ich rappe über Nationalismus. So provoziere ich einen Dialog.»

Frenkie

Und dann gibt es Orte, an denen man einfach das Gefühl hat, willkommen zu sein, wo man sich sofort als Teil der Umgebung fühlt. Als ich zum ersten Mal in New York war und auf die Strasse trat, fühlte ich mich, als ob ich mein ganzes Leben ein New Yorker gewesen wäre.

Im Song «Pismo Milanu» von Frenkie geht es um den Hass zwischen Muslimen und Serben auf dem Balkan.

Ich rappe über Politik, Nationalismus, Nachkriegsprobleme. Im Song ‹Pismo Milanu› geht es um den Hass zwischen Muslimen und Serben auf dem Balkan und wie ich mich entschloss, der ‹anderen Seite› die Hand zu reichen. So provoziere ich einen Dialog.

Heute schlägt die Kultur Brücken über die Gräben, die der Krieg hinterlassen hat. Ich baue mit an den Brücken, mit meiner Musik. Auch ein gutes Buch kann verbinden. Es ist wie eine Reise, die Stereotypen aufbricht.»

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Lidija Dimkovska (49), Poetin, Autorin, Übersetzerin

Lidija Dimkovska wurde in Skopje, Nordmazedonien geboren, studierte dort Vergleichende Literaturwissenschaften, lebt heute in Ljubljana, Slowenien.

Lidija Dimkovska: «Heimat ist überall und nirgends.»

«Meine Muttersprache ist mein Zuhause, besonders im Schreiben. Ich verfasse ausschliesslich auf Mazedonisch, Poesie und Prosa. Die anderen Sprachen benutze ich für das alltägliche Leben, welches mich ebenso inspiriert.

Heimat ist überall und nirgends. Wenn du dein ursprüngliches Zuhause verlässt, wird Heimat zu einem relativen Begriff, genau wie deine Identität, deine Sprache, dein Dasein. All das wird auch zur kulturellen, philosophischen, politischen Frage.

«Mit dem Verlassen meines Zuhauses gewann ich viele neue dazu.»

Lidija Dimkovska

Ich musste mein Zuhause nie verlassen. Aber meine innere Kosmopolitin wollte sehen, wie mein Leben anderswo sein könnte. Ich verliess mein Land 1994 – während der Kriege in Ex-Jugoslawien. Mazedonien befand sich als unabhängiges Land in einer intensiven Transition. Erst wollte ich sechs Monate in Rumänien bleiben. Daraus wurden sieben Jahre. Nun lebe ich seit 20 Jahren in Ljubljana, Slowenien.

Ein jugendliches Spiel mit lebenslangen Konsequenzen? Schicksal? Ich weiss nur, dass ich mit dem Verlassen meines Zuhauses viele neue dazugewann. Oder wie einer der besten mazedonischen Poeten, Kočo Racin, schrieb: Die ganze Welt ist mein Zuhause.

Heute habe ich in jedem Winkel der Balkanregion mindestens drei Lieblingsautorinnen und -autoren. Sie sind meine Brücken, nicht nur zu unserer gemeinsamen Vergangenheit, sondern auch zu unserer nicht so verschiedenen Gegenwart und auch Zukunft.»

Luljeta Lleshanaku (52), Poetin

Luljeta Lleshanaku wurde in Elbasan, Albanien, geboren, studierte Literatur in Tirana und machte ihren Abschluss in den USA. Sie arbeitete als Journalistin, TV-Autorin und Universitätsdozentin. Aktuell arbeitet sie als Wissenschaftlerin am Institut zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus in Albanien.

«Es ist wie ein Haus, von dem du weisst, dass es nie ganz deins sein wird»: Luljeta Lleshanaku.

«Das Land, in dem ich lebe, Albanien, gibt mir das Gefühl, in einem gemieteten Haus zu wohnen. Es zwingt mir seine Regeln auf, seine Macht und hinterlässt mich gleichzeitig machtlos und unmotiviert, wenn ich etwas verändern möchte; es ist wie ein Haus, von dem du weisst, dass es nie ganz deins sein wird und du es früher oder später verlassen wirst.

Die politische Transition, in der das Land seit den 90er-Jahren steckt, ist ein langwieriger, erschöpfender Prozess. Er lässt unsere Erwartungen, in einer menschlichen Gesellschaft zu leben, in der die Leute ihr Schicksal selbst in der Hand haben, Tag für Tag mehr verkümmern.

«Meine Familie durchlebte die Hölle unter dem Regime.»

Luljeta Lleshanaku

Zuhause ist Familie, und Familie ist Vertrauen. Wir fühlen uns nur sicher unter Leuten, denen wir vertrauen. Und meine Erfahrung aus der Vergangenheit lehrte mich, dass dein Land, das der sicherste Ort sein sollte, dein grösster Feind sein kann.

Meine Familie durchlebte die Hölle unter dem kommunistischen Regime: Exekution, Gefängnis, Deportation! Albanien damals zu verlassen, galt als Landesverrat. Es ist diese Erfahrung, die alle romantischen Vorstellungen eines Heimatlandes stürzte.

«Oft werden die schmerzhaftesten Momente konserviert.»

Luljeta Lleshanaku

Als Künstlerin nehme ich mein Land, mein Zuhause überallhin mit, wie die Schildkröte ihren Panzer. Du kannst dich nicht daraus befreien, auch wenn du das möchtest. Auch folgt die Erinnerung ihren eigenen Auswahlkriterien. Sie konserviert oft nicht die besten, sondern die schmerzhaftesten Momente – jene, die deine Identität prägten. Ich glaube nicht, dass ich meinem Land je werde entkommen können.

Ich fühle mich zu Hause unter Leuten, mit denen ich dieselben Gedanken, dieselbe Sensibilität und Lebensperspektive teile, auch wenn wir unterschiedliche Hintergründe haben. Ich traf einst den ägyptisch-kanadischen Poeten Iman Mersal in Berlin. Wir unterhielten uns über zwei Stunden. Dann kam der Moment, in dem wir nichts mehr sagen mussten. Es war, als ob wir uns ewig kannten. Das sind die Brücken, an die ich glaube.»

Marko Dinić (33), Autor

Marko Dinić, geboren und aufgewachsen in Belgrad, studierte in Wien, lebt heute dort, schreibt auf Deutsch.

«Heimat und Verwurzelung sind für mich schale Begriffe»: Marko Dinić.

«Österreich ist zu meiner Heimat geworden, wenn man davon ausgeht, dass Heimat immer dort ist, wo man sich am meisten schämt. Heimat und Verwurzelung sind für mich schale Begriffe, die dazu dienen, nichts zu hinterfragen, sondern alles hinzunehmen.

Wo ‹Zuhause› ist? Wo nicht? Ich musste meines verlassen – und zwar wütend, gekränkt und enttäuscht. Ob ich das wollte? Manchmal gibt es kein Wollen.

«Der Stellenwert der Literatur in Serbien erodiert.»

Marko Dinić

Heute sehe ich Hoffnung in jenen jungen Leuten, die nie gestritten und Krieg geführt haben, heute aber Versöhnung suchen.

Der Stellenwert der Literatur in Serbien ist, wie überall in der Welt, am Erodieren. Mich verlässt grundsätzlich das Gefühl nicht, Literat*innen beziehungsweise Intellektuellen würde heutzutage mit mehr Misstrauen begegnet.»

Marko Dinićs erster Roman, «Die guten Tage», erschien 2019 (240 S., Paul-Zsolnay-Verlag, ca. 33 Fr.).

Ivna Žic (34), freie Autorin und Theaterregisseurin

Ivna Žic wurde in Zagreb geboren, wuchs in Zürich auf, studierte Angewandte Theaterwissenschaften, Schauspielregie und Szenisches Schreiben in Deutschland und Österreich. Heute lebt sie in Zürich und Wien.

 «Zerbrechlichkeit zulassen.»

«Zuhause ist an den Orten oder bei den Menschen, zu denen man stets zurückkehren kann – egal, wann, egal, warum, egal, nach wie langer Zeit — und mit offenen Armen empfangen wird. Aber auch die pure Gegenwart kann Zuhause sein. Eine klar gespürte Gegenwart. Jetzt.

Es liegt ein weites Netz gespannt über den Orten, die für mich bedeutsam sind. Ich kehre an die Orte zurück. Ich vermisse sie. Ich kann sie niemals gleichzeitig bewohnen.

«Mich beschäftigen tief drinnen schon die Veränderungen, die jetzt gerade draussen stattfinden.»

Ivna Žic

Wie Brücken bauen? Sich genau zuhören, füreinander da sein, nahe sein, miteinander sein. Nicht müde werden. Nicht wütend werden. Nicht in die Abgrenzung gehen. Durchlässig bleiben, füreinander. Kraft schöpfen daraus. Kraft finden. Geduldig bleiben. Und Zerbrechlichkeit zulassen.

Mich beschäftigen tief drinnen schon die Veränderungen, die jetzt gerade draussen stattfinden. Die sichtbaren Risse, die schon immer da waren, die nun schärfer werden, grösser, klarer. Die Wunde liegt in der Gesellschaft, und wir müssen wieder, langsam und behutsam, eine gemeinsame Sprachen finden, um langsam zu heilen.»

Dragica Rajčić Holzner (61), Gedicht-, Roman-, und Theaterstückautorin

Dragica Rajčić Holzner wurde in Kroatien geboren, lebte und arbeitete in der Schweiz, ging zurück nach Kroatien, arbeitete als Journalistin, floh später vor dem Krieg in die Schweiz und studierte soziokulturelle Animation. Heute lebt und schreibt sie in Zürich und Innsbruck. Ihr Stil: angelehnt an das sogenannte Gastarbeiterdeutsch, eine oberflächlich rudimentär-fehlerhaft wirkende Schreibweise.

Dragica Rajčić Holzner lebt und schreibt in Zürich und Innsbruck.

«Seit zwei Jahren beschäftigt mich dem Leben Wally Neuzil (1894–1917) erotischer Objekt, helfende Krankenschwester in ersten Weltkrieg und ihr Gesicht und Körper wurden Millionenwert.

Sie war Model von Egon Schiele und starb als Krankenschwester in ersten Weltkrieg in der näh meines Geburtsortes in Sinj, Dalmatien. Ein Grab mit eine Nummer stand dort, ihr Porträt kam aus USA zurück und ist Millionen Wert ihre Lebensreste aber fast vergessen.

Mein schreiben kreist um die Relation Künstler–Model ihre Liebe welche sterben musste wegen seinen Entschluss eine ‹Annehmbare› Frau zu heiraten und dort knüpfe ich an die Biografie meiner Grossmutter , eine gewöhnliche Schaff Hüterin mit zehn Kindern in Zeiten der zwei Weltkriege.

«Auf eine Art die Herkunft wird als Ursache für Talent rezipiert.»

Dragica Rajčić Holzner

Über diese Frauen zu schreiben und nachzudenken bestärkt mich zu sehen wie ihre Kraft und ihre Liebe sich gespeist hat in diesen ausserordentlich schweren Umständen, und was und wie das weitergegeben ist an uns Frauen heute.

Seit dem ich Schweizer Literaturpreis als eine Autorin nicht deutsche Muttersprache bekommen habe (ich lebe ja mehr als vierzig Jahre in deutschsprachigen Raum und Interessant ist Phänomen das ich publik als kroatische Autorin jetzt wurde und auf eine Art die Herkunft wird als Ursache für Talent rezipiert. Darüber und über die Zweisprachigkeit schreibe ich für eine Poetik Vorlesung für Uni Cork in Irland welche in April statt findet.»