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Schweizer Wintersport-Hoffnung
Und dann passierte noch der Unfall wegen seiner Katze – Pascal Müllers unglaublicher Weg zur WM

Ski Nordisch Kombinierer Pascal Müller im Schnee in Näfels, trägt Winterjacke mit Sponsorenlogos. Rückkehr nach Verletzungspause.
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In Kürze:
  • Pascal Müller ist der einzige Schweizer Nordisch-Kombinierer im Weltcup.
  • Der 23-Jährige entschied sich trotz fehlender Unterstützung für die Sportart.
  • Müller war in glänzender Verfassung, verletzte sich aber beim Gang zum Tierarzt.
  • Nun feiert der Glarner am 1. März in Trondheim seine WM-Premiere.

Plötzlich hält Pascal Müller inne, lacht und sagt: «Ja, und jetzt bin ich noch immer hier.» Was musste der 23-Jährige alles hinnehmen? Immer wieder zurückgeworfen, oft belächelt, sogar von Trainern abgeschrieben. Wo andere längst aufgegeben hätten, blieb Müller standhaft und ging unbeirrt seinen Weg. Jetzt sitzt er vor einer Tasse Kaffee, die er seit einer halben Stunde kaum angerührt hat – und erzählt fast unaufhörlich. Seine Augen leuchten.

Müller ist der einzige Schweizer Nordisch-Kombinierer im Weltcup. Dank einer Kooperation ist er seit dreieinhalb Jahren Teil des deutschen Teams. «Ich bin nicht einfach der Schweizer, der noch dabei ist», sagt der Glarner. «Ich bin voll integriert, fühle mich fast schon als Deutscher. Es wäre wahrscheinlich ziemlich komisch für mich, wenn wir plötzlich ein Schweizer Team hätten und ich nicht mehr mit Deutschland um die Welt reisen könnte. Dennoch hoffe ich sehr, dass wir eines Tages wieder ein Schweizer Team im Weltcup stellen können.»

Natürlich hatte er anfangs Bedenken, ob er gleich behandelt würde und dasselbe Material bekäme. Doch das legte sich schnell. Müller kennt fast alle Geheimnisse seiner Teamkollegen, die seinen Dialekt augenzwinkernd kommentierten und ihn scherzhaft fragten, ob er nie Halsweh bekomme. Er lud sie sogar ins Glarnerland ein und servierte ihnen selbst gefangenen Fisch.

Simon Ammann ist Müllers grosses Vorbild

Schon mit knapp zwei Jahren, als er vor dem Fernseher dem späteren doppelten Doppelolympiasieger Simon Ammann zusah, äusserte er den Wunsch, selbst einmal auf einer Schanze zu stehen. Ammann, heute 43, war stets Müllers Vorbild. «Oft heisst es, Simi habe den Absprung verpasst», sagt Müller. «Dabei ist er eine Sportlegende und muss niemandem mehr etwas beweisen.»

Müllers Vater frönte dem Langlauf. Mit sechs Jahren stand Pascal dann erstmals selbst auf Ski. Zwei Jahre später wagte er in Einsiedeln seinen ersten Sprung von der Schanze. «Da habe ich mich verliebt», schwärmt der Oberurner über die Nordische Kombination, die zu den anspruchsvollsten Sportarten überhaupt zählt, weil sie zwei völlig unterschiedliche körperliche Anforderungen vereint. «Skispringer müssen leicht und schnellkräftig sein, während im Langlauf Ausdauer und Muskelkraft gefragt sind. Steigert man das Ausdauertraining zu sehr, leidet die Schnellkraft – und umgekehrt.»

Pascal Mueller aus der Schweiz während des Sprungs bei der Nordischen Kombination der Männer im Weltcup Seefeld 2024.

Die Nordische Kombination, seit den ersten Winterspielen 1924 in Chamonix olympisch, galt einst als Königsdisziplin. Bis vor 30 Jahren gehörten Schweizer Kombinierer zu den Medaillengaranten. Doch mit der vernachlässigten Nachwuchsarbeit geriet die Sportart in eine Krise und stand hierzulande vor dem Aus. Mit 14 Jahren musste Müller eine Entscheidung treffen: zum Skispringen wechseln oder als Kombinierer weitermachen – allerdings ohne Zugang zum Nationalen Leistungszentrum. Er entschied sich für Ersteres. Doch glücklich wurde er nicht.

«Skispringen gibt dir den Kick», beschreibt Müller, «aber du stösst nicht an deine körperlichen Grenzen. Ich wollte beides.» Zudem machten ihm seine körperlichen Voraussetzungen zu schaffen. Mit 1,70 Metern und 61 Kilo war er rund fünf Kilogramm zu schwer für einen Skispringer. «Ohne gesundheitliche Risiken einzugehen, hätte ich mein Optimalgewicht nicht erreichen können.»

Essstörung und Übertraining

Zwei Jahre lang kämpfte Müller mit seinem Gewicht. Nach Trainings wagte er es oft nicht, Kohlenhydrate zu essen – aus Angst, zuzunehmen. Dabei hätte sein Körper die Energie dringend gebraucht. Der ständige Verzicht zehrte an seiner Substanz, sportliche Erfolge blieben aus. «Ich habe die Freude am Sport verloren», räumt der 23-Jährige ein.

Zwei Monate vor Saisonbeginn informierte er die Verantwortlichen im Nationalen Leistungszentrum von Swiss-Ski über seine Rückkehr zur Nordischen Kombination. Sie fragten ihn, wie er sich das vorstelle, schliesslich stand kein Budget zur Verfügung. Seinen Trainer Sven Arnold bezahlte Müller aus eigener Tasche, ebenso musste er die Kosten für Wettkämpfe selbst tragen oder durch Sponsorengelder finanzieren. Zumindest erhielt Müller Zugang zum Leistungszentrum.

Finanziell ein Kraftakt: Mindestens 20’000 Franken investierten der Athlet und seine Eltern in den Sport. Noch heute gestaltet sich die Suche nach Sponsoren schwierig. Ausser auf Gönnerbeiträge, die er über seine Website sammelt, kann Müller auf ein treues Umfeld und gute Freunde zählen. Als ein potenzieller Kopfsponsor absagte, sprang kurzerhand NHL-Star JJ Moser ein. Die beiden lernten sich während der Spitzensport-RS kennen und sind mittlerweile befreundet. Moser half ihm mit mehreren Tausend Franken.

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Auch sportlich war die Rückkehr zur Kombination eine Herkulesaufgabe. Im Langlauf hatte Müller kaum noch Chancen, fiel nach dem Skispringen von Rang 8 auf Platz 50 zurück. Die zwei Jahre als «Nur-Skispringer» ohne Ausdauertraining machten sich bemerkbar. Sprüche wie «Das wird eh nie etwas» spornten ihn zusätzlich an. Müller sagt: «Als Junge träumte ich davon, Olympiasieger zu werden. Ein kleiner Kreis von Menschen glaubte immer an mich. Ich habe nie daran gedacht, aufzugeben. Etwas in mir sagte immer: Mach weiter. Irgendwann wirst du belohnt.»

«Der Schweiz fehlt ein Trainingskonzept»

Allein zu trainieren, erfordert Motivation. Der gelernte Kaufmann findet sie, indem er Videos von Sportlern schaut, die Grosses geleistet haben – von Ammann, von Roger Federer, von den Skistars. Doch wie man die Kombination wirklich trainiert, wusste er nicht. «Der Schweiz fehlt ein Trainingskonzept, wie man die Nordische Kombination von Grund auf richtig trainiert, wir haben leider schlichtweg nichts! Ich musste mir am Anfang vieles selbst aneignen. Daher passierten auch Fehler.»

Der Einzelkämpfer übertrieb es, stürzte sich ins Übertraining, konnte nicht einmal mehr Treppen steigen und musste 2019 die Saison abbrechen. «Mein deutscher Trainer sagte später, ich hätte in drei Jahren trainiert, wofür andere normal fünf brauchen.»

Ski Nordisch Kombinierer Pascal Müller in winterlicher Landschaft in Näfels, mit schneebedecktem Hintergrund, nach Verletzungspause zurück.

Doch selbst das konnte Müller, dieses Stehaufmännchen, nicht aufhalten. Beim letzten Sommer-Grand-Prix erreichte er den Höhepunkt seiner bisherigen Karriere: Er sicherte sich den dritten Platz in der Gesamtwertung und war bester Skispringer. Müller freute sich auf den Winter. Doch dann geschah das Unglaubliche: Als er seine Katze zum Tierarzt bringen wollte, sprang sie plötzlich aus der Transportbox. «Ich wollte sie noch packen, drehte mich weg und hörte dann ein Knacken im rechten Knie, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Ich konnte das Knie nicht mehr strecken.»

Riss des Innenmeniskus, so die MRI-Diagnose. Müller ging sechs Wochen an Krücken – und das ausgerechnet in der WM-Saison. Das Knie müsse schon vorher lädiert gewesen sein, mutmasst er. «Ich bin im Sommer beim Joggen ausgeglitten.» Müller fragte seinen Arzt, ob ein Comeback bis zur WM realistisch sei. Die Antwort: «Schwierig, aber theoretisch möglich», was für Müller bedeutete: «Es ist möglich.»

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Müller nutzte die Zwangspause, um an seiner Schwäche, der unteren Rumpfmuskulatur, zu arbeiten. Anfang Februar kehrte er tatsächlich in den Weltcup zurück. Zwar konnte er die Selektionsrichtlinien mit zwei Top-30-Klassierungen nicht mehr erfüllen, doch seine Leistungen im Sommer-Grand-Prix und sein unermüdlicher Einsatz beeindruckten die Verantwortlichen, weshalb Müller nun an den Nordischen Skiweltmeisterschaften im norwegischen Trondheim (ab Mittwoch) zu seiner WM-Premiere kommt.

Am 1. März wird er das Compact Race mit dem Springen auf der Normalschanze und dem Verfolgungsrennen über 7,5 Kilometer bestreiten. Eine Woche später folgen das Springen auf der Grossschanze und der Lauf nach Gundersen über 10 Kilometer.

Seit zehn Jahren vertraut Müller auf eine Mentaltrainerin, setzt auch auf Hypnose und Selbsthypnose, um seine Ziele zu erreichen. Müller sagt: «Ich war nie ein Talent und wusste, dass ich hart arbeiten muss. Aber wenn man wirklich etwas will, kann man ziemlich viel erreichen. Und jetzt kann ich schon sagen: Der Weg hat sich gelohnt.»