«Das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen»
Weil das Munitionsdepot im Berg aufgehoben werden soll, müssen die Bewohner von Mitholz BE ihre Häuser verlassen – für zehn Jahre. Sie reden von «Psychoterror».

Monika Küenzi wuchs in diesem Haus auf. Danach wohnte sie anderswo. 1998 kehrte sie in den Ort ihrer Kindheit zurück. Die Hypothek auf das Haus hat sie schon beinahe abbezahlt, und sie freute sich, ihren Lebensabend hier verbringen zu können. Am Dienstag hat sich alles geändert. Das VBS informierte darüber, dass die Mitholzer wegen der geplanten Räumung des ehemaligen Munitionslagers für zehn Jahre wegziehen müssen.
«Das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen», sagt Küenzi. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer mit grosser Glasfront. Katzen schleichen um den Tisch, im Garten steht ein Hühnerstall. Die letzten Wochen waren für Küenzi nicht einfach; wegen einer Einladung vom VBS zu eben jenem Informationsabend am Dienstag. «Darin stand, dass wir wegmüssen. Mehr nicht.» Diese Vorenthaltung von Informationen empfand Küenzi als «Psychoterror». Dieser schien das ganze Dorf im Griff zu haben. «Es gab viele Gerüchte.»
Die Klarheit raubte Küenzi den Schlaf. «Die letzte Nacht war sehr kurz.» Denn von nun an wurde sie von unangenehmen Gedanken begleitet. Ihr erster Impuls war, in Mitholz zu bleiben bis zum Ende. Dann machte sie praktische Überlegungen. Soll sie ihr Haus noch instand halten? Soll sie frisch streichen oder die Balken waschen? «Das ist doch eigentlich völlig sinnlos, wenn es dann zehn Jahre leer stehen wird.»
«Meine Katzen lassen sich kaum transportieren.»
Doch auch ein Wegzug ist für sie mit Tücken verbunden. Bereits temporäre Evakuierungen, die es in der Vorbereitungszeit geben kann, geben ihr zu denken. «Meine Katzen sind Furien, die lassen sich kaum transportieren.» Sie müssten wohl eingeschläfert werden. Auch wer dann die Hühner füttern oder die Pflanzen giessen soll, fragt sich Küenzi. Und schliesslich ist sie auch durch ihre Arbeit an die Region gebunden. Sie kann nicht einfach nach Bern ziehen. «Ich bin keine 20 mehr. Mich stellt niemand mit Handkuss ein.»
Das VBS hat der Bevölkerung vollumfängliche Hilfe versprochen. Ein Versprechen, das Küenzi auch eingelöst sehen will. «Ich fühle mich geradezu überfordert, wie soll ich das alleine schaffen.» Sie verlangt , dass ihr das VBS ein Haus sucht, das ihrem jetzigen in nichts nachsteht, und will auch Hilfe beim Umzug. «Als junge Frau habe ich gerne gezügelt. Aber alle, die mir dabei geholfen haben, sind jetzt eben alt geworden.»
Küenzis Nachbar Martin Trachsel ist der Gemeindeschreiber von Kandergrund. Er ging am Dienstag mit einer bösen Vorahnung an den Informationsanlass des VBS. Ein Wegzug über zehn Jahre war dann aber mehr, als er erwartet hatte. «Das sprengt den Rahmen unserer Vorstellungen bei weitem.» Als der Bundesrat 2018 über die neue Gefahrenlage in Mitholz informierte, habe man hier gedacht, das sei eine Angelegenheit, die über den Sommer erledigt werden könne.
«Ich will nicht auf einer Baustelle leben.»
Trachsel hat den Grossteil seines Lebens in Mitholz verbracht. Jetzt denkt er über einen baldigen Wegzug nach. Er will nicht abwarten, bis in zehn Jahren die Räumung beginnt. Denn bis dann werden im Dorf bauliche Massnahmen zur Sicherheit umgesetzt. «Ich will nicht auf einer Baustelle leben», sagt Trachsel. Es wird wohl ein Abschied für immer sein. «Bis alles vorbei ist, bin ich im Greisenalter. Ich glaube daher nicht, dass ich zurückkehren werde.» Dennoch wünscht er sich, dass das Dorf so gestaltet wird, dass es für jüngere Generationen interessant ist, hierherzuziehen. «Gerade die Hauptstrasse, die quer durch das Dorf führt, stört extrem.»
Wie fühlt es sich an, den Ort seines Lebens verlassen zu müssen? «Es ist eine sehr spezielle Situation», sagt Trachsel. Er versucht, es positiv zu sehen. «Wir wollen uns nicht darauf versteifen, wie schön es hier war.» Auch wenn gerade erst eine Glaswand für eine schönere Aussicht ins Wohnzimmer eingebaut wurde. «Das kann auch an einem anderen Ort gemacht werden.»
Wo dieser sein wird, weiss Trachsel noch nicht. Zwar hat er die Lage bereits mit seiner Familie besprochen, Ergebnisse liegen aber noch keine vor. Dazu brauche es zuerst Klarheit vom VBS. Dieses hat nämlich auch finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Wie umfangreich die ausfallen wird, ist zurzeit unklar. «Wenn wir ein neues Haus kaufen wollen, müssen wir doch wissen, ob wir es uns leisten können.»

Nicht alle in Mitholz haben sich mit einem Wegzug so schnell abgefunden wie Trachsel. An der Informationsveranstaltung wurde prophylaktisch bereits die Frage gestellt, was passiert, wenn man sich weigert, sein Haus zu verlassen. Roman Lanz bezweifelt, dass es solche Fälle geben wird. «Ich glaube nicht, dass es zu Enteignungen oder Zwangsumsiedlungen kommt.» Denn Mitholz werde sich in der Vorbereitungsphase verändern. Er stellt Baulärm und viel Staub in Aussicht. «Das wird nichts mehr mit Lebensqualität zu tun haben.»
Kurz vor der Dorfeinfahrt führt Gisella Nünlist seit drei Jahren das Restaurant Balmhorn. Die neue Situation bedrohe ihre Existenz. Denn es ist nicht auszuschliessen, dass der Hauptstrasse, die an ihrem Restaurant vorbeiführt, temporäre Schliessungen bevorstehen. «Das wäre unser Untergang. Wir sind von der Strasse abhängig.» 90 Prozent der Gäste seien Touristen oder Leute aus dem Unterland. «Wir haben zwar auch Gäste aus Mitholz, aber die essen ja nicht jeden Tag hier.» Muss Nünlist wegziehen, wird das Balmhorn ihr letztes Restaurant sein. «Noch einmal etwas Neues aufzubauen, ist einfach zu schwierig.»
Das Hotel Blausee befürchtet Einbussen
Eine Postautostation ausserhalb von Mitholz liegt der Blausee. Zwar besteht für die dortige Hotelanlage mit Naturpark keine Bedrohung, dennoch will Stefan Linder Umsatzeinbussen nicht ausschliessen: «Wenn die Hauptstrasse gesperrt wird, kommen auch keine Besucher zu uns», sagt der Verwaltungsratspräsident der Blausee AG. Er stellt klare Forderungen an das VBS. «Wenn dadurch Umsatzeinbussen und Kosten entstehen, verlangen wir eine vollumfängliche Entschädigung.» Man werde die Situation sehr genau analysieren und notwendige Schritte einleiten.
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